Gestank der Armut

Alle schauen sie nach Afrika. Während der Fußball-WM sieht man in den Medien aber nicht nur Sport, sondern auch manche Sendung über das Leben dort. Natürlich werden die Klischees bedient, wie Armut, Kriminalität, AIDS, Hoffnungslosigkeit. Doch nur weil es Klischees sind, sind sie leider nicht falsch. Jeder der wollte, könnte derzeit wenigstens einen kleinen Eindruck über den „schwarzen“ Kontinent bekommen. Ich glaube aber nicht, dass es viele Menschen hier interessiert. Die oberflächliche Buntheit Afrikas, die man auch im Wedding findet, bedient die Erwartungen, klar. Dürre Jungs spielen auf einem staubigen Platz Fußball. Frauen in farbigen Umhängen, Männer mit Gesichtern, in die das Leben Furchen gezeichnet hat. Man will es nicht mehr sehen. Und man will es auch nicht mehr zeigen.

Die Journalisten haben den Auftrag bekommen, doch mal was vom Leben da unten zu berichten. Aber nicht zu eklig bitte. Doch die Reporter wollen das nicht. Sie zeigen das, was man auch im Reiseführer sieht oder bei Google Street View. Sie fühlen sich ein bisschen wie Kriegsreporter, nur ohne Schüsse. Leute, die sich lieber an der Hotelbar aufhalten und zu Hause nur berichten, was sie dort gehört haben.
Es ist ihnen nicht zu verdenken. Denn das Leben in den richtig armen Teilen der Welt, egal ob Afrika, Indien, in den Mega-Citys oder in den trockenen Gegenden, das ist nichts, was die Fernsehzuschauer sehen wollen. Ich kenne es aus eigener Erfahrung, es ist schon lange her. Vom Hotel mit den Cool Drinks geht es in einem stabilen Auto quer durch die Millionenstadt. Die Straßen sind voll, ständig muss der Fahrer hupen und bremsen, trotzdem fährt er wie ein Henker. Aus dem Fenster sieht man die Slums der Großstadt, mal riesengroß, mal nur ein Hektar. Wenn man anhalten muss, sind sofort die Bettler da. Alte Leute ohne Zähne und mit wirren Haaren, kleine Kinder, manche erst fünf, sechs Jahre alt. Sie berühren das Auto nicht, klopfen nicht mal an die Scheibe, aber sie halten die Hände auf.
Die Straßen werden breiter, je weiter man Richtung Stadtgrenze kommt. Auf den Mittelstreifen stehen Stangen in die Erde getrieben, darüber Plastikplanen, unter denen Menschen liegen. Ganze Familien leben hier.

Außerhalb der Stadt beschleunigt der Fahrer auf 70 Stundenkilometer, obwohl ständig Menschen und Tiere auf der Straße laufen. Karren werden geschoben, es gibt viele Fahrräder und noch viel mehr Leute. Es ist unklar, wohin sie eigentlich unterwegs sind. Die Felder rechts und links der Straße sind verdorrt, trotzdem sieht man Menschen darauf arbeiten. Mit Hacken bearbeiten sie den Boden, falls doch mal Regen fällt, soll er auch in die Erde gelangen. Aber Regen kommt erst wieder in ein paar Wochen.
Nach drei Stunden anstrengender Fahrt in der Hitze fahren wir eine kleine Straße rein, irgendwann ist es nur noch harter Boden. Es gibt wenig Vegetation, Büsche vor allem, kaum Bäume. Nur wo das Grundwasser etwas höher steht, sieht man grüne Inseln, ein paar hundert Meter lang.

Wir kommen an ein Dorf, auch hier kaum Wasser, kaum Häuser aus Stein, viele aus Ton mit Reisigdächern. Ich wundere mich über die vielen Holzhütten, wo es doch hier so wenig Bäume gibt. Später erfahre ich, dass der Baummangel auch damit zu tun hat, dass die Menschen sie früh abholzen. Das Leben heute ist eben wichtiger als das morgen. Zu Fuß gehen wir durch das Dorf. Hier betteln nur ein paar Kinder, unser Fahrer schlägt auf sie ein, bis wir dazwischengehen. Die Menschen hier sind arm. Nicht arm im Sinne von Hartz IV, sondern arm im Sinn von verloren. Wer keine Arbeit und keine Verwandten hat, der verhungert. Die meisten sterben aber an Erschöpfung, und weil sie austrocknen. Sie sterben an der Armut, die so brutal auf mich einschlägt, wie eine Baseballkeule. Ich könnte die ganze Zeit heulen.
Es stinkt. Natürlich gibt es keine Toiletten wie wir sie kennen. Nur Gruben und in der Hitze legen sie einen Geruchsteppich über das Land, den man wohl nur aushalten kann, wenn man hier wohnt. Dazu kommt der Gestank der Verwesung. Auch wenn die Menschen wenig Nahrung haben, essen sie doch nicht alles. Tote Hunde bleiben einfach am Straßenrand liegen und zerfallen im Lauf der Zeit. Oder Ratten fressen sie nach und nach auf, auch dieser Anblick ist fürchterlich.

Wir werden freundlich empfangen, das Elend hat den Menschen hier nicht ihre Würde genommen. Sie laden uns ein, aber ich will erst von niemandem etwas annehmen, keinem was weg essen. Das wird aber nicht akzeptiert, auch meine Kollegin drängt mich. Wenn wir die Gastfreundschaft ablehnen, bedeutet das für die Leute dort, dass wir sie als Menschen ablehnen. Also trinken wir gemeinsam Tee und essen einen undefinierbaren Brei. Ich frage lieber nicht, habe Würgegefühle, lasse mir aber nichts anmerken.

Die Geschichten der Menschen dort sind frustrierend, voller Hoffnungslosigkeit. Es sind teilweise schlaue Leute, denen ihr Leben lang jede Chance verwehrt wird, aus ihrem Elend rauszukommen. Selbst Erwachsene lernen noch lesen und schreiben, aber wenn sie dann in einem Brief an die Regierung Unterstützung einfordern, kommt die Polizei. Sie provoziert, sie spielt mit ihren Schlagstöcken und demonstriert, auf wessen Seite sie steht. Es ist nicht die Seite der Armen.
Trotzdem sehe ich viel Lachen, viel mehr als in Berlin. Bei fast allen Kindern, aber auch die Erwachsenen schaffen es, das Elend zu verdrängen. Die Armut und die Fröhlichkeit, betteln und lachen, diese intensiven widersprüchlichen Eindrücke verwirren mich total.

In der Nacht rasen wir über die unbeleuchtete Staße zurück in die Stadt. Auch sie stinkt, nicht nur nach Armut, sondern auch nach giftigen Abgasen, undefinierbar.
Im Hotelzimmer gibt es keine Klimaanlage, nur einen Ventilator an der Decke. Selbst den empfinde ich jetzt als Luxus, schäme mich schon fast dafür.
Ja, das alles ist Klischee und die armen Länder sind natürlich nicht nur so. Aber sehr viele Menschen leben trotzdem unter solchen Bedingungen, wie ich sie dort erlebt habe. Vielleicht sind es eine Milliarde, vielleicht auch zwei, keine Ahnung, in jedem Fall zu viel. Diese Seite Afrikas wird im Moment nicht gezeigt, die WM soll ja das gute Gefühl befördern und nicht en Frust. Es fällt mir schwer, all diese Widersprüche zu akzeptieren. Teure Fußballstadien in armen Gegenden. Reiche IT-Firmen und Luxushotels in Indien unmittelbar neben Slums mit zigtausenden Bewohnern. Silberne Mercedes-Limousinen neben verhungernden Bettlern. Es kann einen verrückt machen.

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3 Kommentare

  1. Danke für diesen anderen Blickwinkel.
    In unserer „Wohlstandsgesellschaft“ vergißt man doch recht schnell, das es noch weitaus ärmere Menschen auf der Welt gibt.

    Und warum irritiert uns ein Lachen in solcher Umgebung?

    Nun ich denke es liegt an anderen Wertvorstellungen auch in solcher Umgebung Lachen zu können. Dort zählen offensichtlich noch Werte/Begriffe wie „mein Nächster“, „Liebe“ oder „Rücksicht“ mehr als bei uns, und der Begriff „Glück“ definiert sich anders.

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