Das Elend im Taxi (2)

Die Funk­ge­sell­schaf­ten bieten auch den Service an, von den Fahrern Einkäufe erle­di­gen zu lassen. So bringt man dann manch­mal Schnaps zu Alko­ho­li­kern, Lebens­mit­tel zu Rent­nern oder schmug­gelt Ziga­ret­ten ins Kran­ken­zim­mer. Manche Kolle­gen nehmen Aufträge für diese Einkaufs­fahr­ten nicht an, wegen des Risi­kos, dass sie ihre Ausla­gen nicht ersetzt krie­gen. Gerade bei diesen Fahr­ten ist man oft mit Menschen konfron­tiert, die schwerst im Elend leben.
Der Auftrag kam im freien Ausruf, “Einkaufs­fahrt Reich­wein­damm”. Vom Tege­ler Weg aus sind das ja nur ein paar hundert Meter, der Edeka-Markt hatte auch noch geöff­net, also meldete ich mich mit “10 bis 15 Minu­ten”. Die Einkaufs­liste ließ nichts Gutes erah­nen: Neben Ziga­ret­ten und Bier wollte der Kunde noch Schnaps.
15 Minu­ten später stand ich mit der vollen Tüte unten am Haus und klin­gelte. Und noch­mal, und immer wieder. Gerade als ich aufge­ben wollte, ging die Gegen­sprech­an­lage: “Ja bitte?”, sagte eine brüchige Frau­en­stimme. Ich tippte auf alte Rent­ne­rin und sagte ihr, dass ich mit dem Einkauf da sei. Sie nuschelte etwas, dann war wieder Ruhe. Also begann ich wieder zu klin­geln und eine Minute später hörte ich erneut: “Ja bitte?”. Dies­mal schlug ich eine etwas härtere Tonart an: “Öffnen Sie bitte die Tür, hier ist ihr Einkauf!” Sie betä­tigte den Öffner und als ich vor der Wohnungs­tür stand, begann  das Spiel erneut. Mir war jetzt klar, dass ich es wohl mit einer schwer Alko­ho­li­sier­ten zu tun hatte. Die Tür öffnete sich nur einen Spalt. Ich schaute auf einen vermüll­ten Flur voller leerer Bier­fla­schen, eine Gehhilfe und ganz unten auf einen nack­ten Fuß.
“Kommen Sie rein”, krächzte es hinter der Tür. Ich betrat die Wohnung mit einem Gefühl von Abscheu und Entset­zen: Hinter der Tür lag eine fast nackte Frau mit völlig ausge­mer­gel­tem Körper, das Knie blutete und sie streckte mir ihre Hand entge­gen, damit ich ihr hoch helfe. Sie sagte, dass sie einen Unfall hatte und ich ihr ins Wohn­zim­mer helfen sollte. Mein Ange­bot, einen Kran­ken­wa­gen zu rufen, lehnte sie laut­stark ab. Im Wohn­zim­mer setzte sie sich auf die Couch, dünn fast wie ein Skelett und hilf­los wie ein klei­nes Kind. Ich ekelte mich, aber gleich­zei­tig hatte ich großes Mitleid mit ihr.
Sie nahm den Beutel mit dem Alk, konnte ihn aus eige­ner Kraft nicht halten, wir stell­ten ihn zusam­men auf den Tisch. Aus ihrer Geld­börse nahm sie 28 Euro für meine Fahrt und den Einkauf. Sie meinte, dass heute ihr 50. Geburts­tag wäre und strahlte mich plötz­lich an. Ich stand da vor dieser kaput­ten Frau, mit ihrer klei­nen kurzen Freude, gab ihr die Hand und wünschte ihr alles Gute. Viel­leicht hat sie gemerkt, dass das ernst gemeint war, jeden­falls lächelte sie.
Ich frage mich, ob sie denn keine keine Verwand­ten, keine Mutter hat, die sich noch um sie kümmern. Oder haben die aufge­ge­ben, weil sie nichts mehr ändern können? Wieder auf der Straße wünschte ich ihr noch­mal alles Gute, auch wenn ich nicht glaube, dass sie es da raus schafft. Aber wünschen tu ich es ihr trotz­dem.

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