Anfang der Woche kam die Nachricht, dass der Bundesgerichtshof in Leipzig die Urteile gegen zwei Männer aufgehoben hat, die am Mord an ihrer Schwester Hatin Sürücü beteiligt gewesen sein sollen. Beide waren 2006 freigesprochen worden, während ihr jüngerer Bruder eine Haftstrafe erhielt, er hatte die Tat gestanden. Grund für den Tod der 20-Jährigen war lediglich ihr westlicher Lebensstil, so wurde das Verbrechen als „Ehrenmord“ bezeichnet – und zwar auch von der deutschen Presse. Doch was ist daran ehrenhaft? Dass die Brüder meinten, Hatin Sürücü müsse sterben, weil sie die „Ehre der Familie“ verletzt hätte? Es hat aber nichts mit Ehre zu tun, jemanden wegen seiner bzw. ihrer Lebenseinstellung zu ermorden, sondern mit Intoleranz und Borniertheit.
In Deutschland wird oft genug weggeschaut, wenn vor allem arabische Männer Frauen diskriminieren und gewaltsam unterdrücken, weil das eben in deren Kulturkreis normal sei. Doch das ist nicht Toleranz, sondern mit Ignoranz! Das gleiche gilt für die Sprache: Wer den Begriff des Ehrenmords nutzt, erkennt damit bereits einen positiven Hintergrund für die Tat an. „Hassmord“ wäre wohl die passendere Bezeichnung.
„Intoleranz und Borniertheit“ greift ein bisschen zu kurz, die Probleme liegen tiefer:
„Die Konzepte von sevgi, saygi, seref und namus garantieren das enge Eingebundensein in ein soziales Netz, das soziale Kontrolle ausübt und gegenseitige Unterstützung gewährt. Kinder sollen sich unterordnen, gehorsam sein, sich konform verhalten und Loyalität zeigen, damit ein hoher Grad an Zusammenhalt und gegenseitiger Abhängigkeit gewährleistet bleibt. Prozesse und Erziehungsziele wie Individuation, Autonomie, Initiative, Aktivität oder Neugier sind bei Kindern eher unerwünscht, würden sie doch die Kohäsion der Gemeinschaft gefährden.“
Wolfgang Bilsky, M. Toker: Jugendliche nichtdeutscher Herkunft im Strafprozeß. In: R. Lempp, G. Schütze, G. Köhnken (Hrsg.): Forensische Psychiatrie und Psychologie des Kindes- und Jugendalters. Steinkopf, Darmstadt 1999, S. 287–299