Taxi-Dienstag

Wie sieht eigentlich eine normale Taxi-Schicht aus? Etwa so:

1. Fahrgast
17.20 Uhr, der erste Auftrag. „Bitte zum Flughafen Tegel, aber wir müssen vorher noch bei einem Optiker vorbei“. In der Turmstraße halte ich bei Bardorf, einem Traditionsbetrieb. Mein Kunde braucht eine neue Kontaktlinse, die alte ist ihm schon am Morgen rausgefallen, den ganzen Tag über lief er halbblind durch die Gegend. Nach 5 Minuten kommt er begeistert wieder heraus, freut sich über die nette Bedienung. „Das wird jetzt mein Stamm-Optiker!“ sagt er mir auf dem Weg nach TXL. Er ist ein Geschäftsmann aus München, der jede Woche in Berlin ist. In Tegel angekommen bedankt er sich nochmal für den Halt bei Bardorf und entschwindet Richtung Bayern.
Ich bleibe nicht am Flughafen, sondern fahre Richtung Süden. Die Halte Tegeler Weg ist leer, auf dem Funk ist jede Menge los, gute Aussichten also auf eine „schnelle Nummer“. Aber so schnell gehts dann doch nicht weiter.

2. Fahrgast
Nach einer Dreiviertelstunde ein freier Ausruf: Kaiserin-Augusta-Allee. In vier Minuten ist das kaum zu schaffen, weil einem doch mehrere Ampeln im Weg stehen. Da der Kunde genau am anderen Ende der Straße wartet, wähle ich lieber einen nicht so korrekten Weg durchs Wohnviertel, parallel zur Hauptstraße, dort sind nur zwei Ampeln im Weg.
Der Fahrgast steht bereits draußen, ein geschniegelter Herr mit Köfferchen, wieder ein Geschäftsmann. Er spricht nur Englisch und will zur „Main Hall“. Meine Englisch-Kenntnisse reichen offenbar nicht so weit, jedenfalls bestätige ich „Rotes Rathaus“. Aber er protestiert: „No, Airport Tegel, please.“ Okay, also wieder TXL, es gibt ja anscheinend nur eine Haupthalle in Berlin. Während der Fahrt telefoniert er die ganze Zeit so laut, dass sein Gesprächspartner ihn wahrscheinlich auch ohne Telefon verstanden hätte.
Direkt nach dem Ausladen kommt ein freier Ausruf: „Flughafen Tegel, Rechnungsfahrt.“ Natürlich drücke ich wie verrückt, aber ein anderer Kollege kriegt den Auftrag. Also fahr ich wieder zurück zum Tegeler Weg. Mittlerweile ist es dunkel. Weil sich hier aber nichts tut und ständig die Halte Turm/Strom angesprochen wird, mache ich mich auf den Weg dort hin. Sieben Taxis stehen vor mir, davon mindestens zwei Würfler. Na super. Trotzdem bleibe ich erstmal hier.

3. Fahrgast
Etwa eine halbe Stunde dauert es, bis „Schrumm-schrumm“ angesprochen wird, die anderen Würfel-Taxis sind mittlerweile weg. Auftrag ist das Teleport Alt-Moabit, ein Fabrikgelände aus den 90ern, viele High-Tech-Firmen. Hier muss man erst eine Karte ziehen, damit sich die Schranke zur Zufahrt öffnet. Der Kunde kommt mir schon mit einem Paket auf dem Arm entgegen: „Zur DHL, Forckenbeckstraße in Schmargendorf.“ Damit das Paket noch am nächsten Tag ankommt, muss es abends direkt dort abgegeben werden. Der Fahrgast ist müde und schweigsam, offenbar hat er einen anstrengenden Arbeitstag hinter sich.
Beim DHL-Lager müssen wir erst über das ganze Gelände, doch die Tür ist zu. „Anlieferung bis 20 Uhr“ steht auf einem Schild, wir sind eine halbe Stunde zu spät. Aber der Mann lässt sich jetzt nicht mehr aufhalten, er will sein Paket loswerden. Dafür rennt er quer durchs Lager, irgend ein Arbeiter sagt ihm, dass er nur lange genug vorn klingeln solle. Das tut er auch und tatsächlich öffnet sich die Tür und mein Fahrgast verschwindet im Gebäude. Als er nach ein paar Minuten wieder heraus kommt, wirkt er noch müder als vorher. Ich fahre ihn noch zum Bahnhof Zoo, im Auto schläft er schon fast ein.
Nach dem Ausladen gehts zum Savignyplatz, hier stehen gerade nur vier Wagen.

4. Fahrgast
Als ich an der Reihe bin, klingelt die Rufsäule. Ein gebrochen Deutsch sprechender Mann ruft mich zu einem Lokal in die Goethestraße 17. Zwar finde ich dort kein Lokal, aber den Mann, der sich mit einem Gitarrenkoffer auf die Rückbank setzt: „Sprengelhaus“ sagt er. Es geht in den Wedding. Der Rasta-Man nimmt dort gleich an einer Jam Session teil, mit ein paar Kollegen. Er erzählt während der Fahrt, dass er aus Wroclaw stammt, dem früheren Breslau, wo es viel mehr Möglichkeiten zu solchen Sessions geben soll als in Berlin. Am Ziel lädt er mich ein, mit reinzukommen, aber ich lehne ab, meine Schicht ist noch lange nicht zu Ende.
Von der Sprengelstraße gehts auf die Suche nach einer geeigneten Halte. Weddingplatz, Dreispitz sind voll, ich lande am Adlon, gleich als Erster auf der Rücke.

5. Fahrgast
Keine fünf Minuten später steigen mir zwei Damen ins Auto, anscheinend eine alte Mutter mit ihrer Tochter. Sie wollen in die Körnerstraße und sind ganz erstaunt, als ich frage, in welche Körner. Wie so viele Straßennamen gibt es auch diesen mehrmals. Wir fahren nach Tiergarten. Hinter mir flüstern die beiden, vielleicht denken sie, dass Taxifahrer die Gespräche der Fahrgäste interessant finden und aufmerksam zuhören. In Wirklichkeit aber hört man gar nicht mehr, was sich die Leute erzählen.
Da die Potsdamer/Lützow-Halte voll ist, fahre ich weiter zum Potsdamer Platz, hier gibt es gleich vier Taxihalten zur Auswahl.

6. Fahrgast
Das Hotel Marriott ist eine Edelabsteige, mitten in Beisheims Reich. Hier steigen mir wieder zwei Frauen ins Taxi, Französinnen, etwa 30 Jahre als und sehr laut. Beide reden sie auf mich ein, aber ich verstehe kein Wort. Bis ich irgendwann „Hotel du Rome“ heraus höre. Ich frage, ob sie in dieses Hotel wollen. Sie klatschen in die Hände: „Ja“. Die Fahrt dauert nur ein paar Minuten, dann cruise ich durch die Gegend.

7. Fahrgast
Am Gendarmenmarkt winken mich ein paar Leute heran, die eben von Lutter & Wegner kommen. Sie sprechen Englisch, aber ein älterer Mann ist offenbar Deutscher. Er bittet mich, ihnen ein paar Sehenswürdigkeiten zu zeigen und so fahren wir eine halbe Stunde durch Mitte und Tiergarten, Reichstag, Philharmonie, Bellevue, Siegessäule, die Steinreihe, die den Verlauf der einstigen Mauer markiert. Am Novotel Bhf. Tiergarten sind wir am Ziel, sie bedanken sich alle und geben noch 5 Euro Trinkgeld. Ich bleibe gleich dort am Hotel stehen.

8. Fahrgast
Bald kommt vom S-Bahnhof ein junger Typ angeschlendert, in der Hand ein Tüte von Burger King. Er möchte in die Leberstraße und während unserer Fahrt nach Schöneberg futtert er, was die Tüte hergibt. Und das ist so viel, dass sie immer noch nicht leer ist, als wir am Ziel ankommen.
Von dort aus gehts es wieder auf Jagd, Schöneberg, Wilmersdorf. In der Berliner Straße gehe ich in den Supermarkt, der rund um die Uhr geöffnet hat, ein paar Sachen fürs Frühstück kaufen. Danach weiter cruisen, Kudamm, Kantstraße, alles voller leuchtender Taxischilder. Also Stopp am Hotel Palace. Die Halte ist nachts oft leer, so auch heute. Schon nach wenigen Minuten winkt mich der Doorman zu sich, drei beanzugte Bayern wollen nach Mitte. Auf der Fahrt stellt sich heraus, dass sie CSU-Mitglieder bzw. Funktionäre sind, sie tauschen sich über „den jungen Beckmann“ aus, ihren neuen Landeschef, dann wird noch etwas über irgendwelche „Kollegen“ gelästert.

9. Fahrgast
Am Adlon kann man auch nachts stehen, hier kommen immer mal wieder Fahrgäste aus irgendwelchen Ecken des Pariser Platzes. Es dauert nur 10 Minuten, bis ich von der sechsten auf die erste Position vorgerückt bin, dann ist der Run aber erstmal vorbei. Eine Viertelstunde später kommt ein etwa 35-Jähriger der nach Marzahn möchte. Auf dem Weg über die Linden und die Landsberger Allee erzählt er mir von seinem Job als Programmierer, dass er früher Webseiten gebaut hat, das aber aufgegeben hat, weil er so viel Frust mit den Kunden hatte. Er ist schon 1994 in die Webseitenprogrammierung eingestiegen, noch während seines Informatikstudiums.
Meine Rückfahrt führt mich dann über die B5, Frankfurter Allee. Die ganze Zeit leere Taxis vor mir, ich entschließe mich zum Feierabend.

10. Fahrgast
Auf der Torstraße in Mitte dann aber doch noch ein Winker, bzw. drei. Die hübschen Jungs sind um die 20 Jahre, haben gute Laune und wollen ins Cookies, Kurzstrecke. Auf dem Weg spielen sie noch miteinander, wollen sich gegenseitig geil machen, es ist eine lustige Fahrt.
Danach ist wirklich Feierabend. Es war eine ganz gute Schicht, ohne Stress, nette Fahrgäste und der Umsatz dank zwei langer Touren auch nicht schlecht.

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3 Kommentare

  1. Hallo,
    ich finde Deinen Bericht super geschrieben und kann das als Taxifahrer auch völlig vergleichen mit den erlebnissen, die ich immer habe.

    Gruß vom Kollegen….

    Decki

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