Manche Nachtschichten können wirklich stressig sein. Nachmittags habe ich in der Zeitung noch gelesen, dass in Friedrichshain ein Taxifahrer überfallen wurde. In den Wochen vor Weihnachten ist das immer so, da nehmen die Angriffe auf Taxifahrer zu, nix mit Fest der Liebe. Ob die Leute Geld für Weihnachtsgeschenke klauen müssen? Keine Ahnung, warum das so ist.
Aber egal, ich hole also das Taxi ab, es ist total verdreckt und ich darf vor der Arbeit erstmal in die Waschanlage fahren. Natürlich sind noch zwei Kunden vor mir, so dass ich erst nach 20 min. Warten reinfahren kann. Dann läuft erstmal stundenlang nichts, selten ein Fahrgast, vor allem nichts Interessantes, die Kasse wird nicht voller.
Als ich auf einen anderen Kanal schalte, bekomme ich gerade noch mit, wie die Zentrale vom Angriff auf einen Kollegen erzählt und dass man hinfahren soll, um ihm zu helfen. In diesem Moment sagt aber jemand, dass die Polizei eintrifft, Hilfe von uns ist nicht mehr nötig. Per Handy rufe ich in der Funkzentrale an und biete an, dass sie den Kollegen fragt, ob er noch Beistand braucht, dann würde ich hinfahren, falls es nicht am anderen Ende der Stadt sei. Das Funkenmariechen sagt aber, dass jetzt genügend Kollegen vor Ort sind und bedankt sich.
Also weiter cruisen. An der Tauentzien- Ecke Nürnberger Straße winken mich drei Männer, türkisch oder arabisch aussehend, alle um die zwanzig. „Pankstraße“. Gleich nach dem Losfahren macht der hinter mir Sitzende das Fenster auf, mein Beifahrer auch. Es ist offensichtlich, dass sie mich nervös machen wollen, aber sie erreichen das Gegenteil. Ich habe zwei Pullover an und reagiere überhaupt nicht, nach ein paar hundert Metern fangen sie wohl an zu frieren und machen die Bude wieder dicht. Während der Fahrt mustert mich mein Beifahrer die ganze Zeit, ich schaue ihn auch an und dann demonstrativ in den Spiegel. Bei diesen Fahrgästen habe ich kein gutes Gefühl, es stimmt von Anfang an nicht. Mein Beifahrer sieht, dass ich seine Kumpels im Spiegel betrachte, schaut selber nach hinten, ich verstehe nicht, was er sagt.
Am Bahnhof Pankstraße angekommen steigen alle drei aus, ich sage laut und reichlich aggressiv „14 Euro 20!“. Die beiden die hinten gesessen haben wollen weggehen, aber der andere ruft sie zurück. Sie diskutieren, einer rennt in den U-Bahnhof. Die anderen beiden stehen etwa einen Meter vom Auto entfernt und sehen, dass ich ihnen direkt ins Gesicht schaue. Sie würde ich wiedererkennen, das ist ihnen klar. Einer von ihnen murmelt was von „kein Geld“, dann fasst er sich aber in die Hosentasche und holt eine Handvoll Münzen raus. Umständlich zählt er bis 8 Euro, lässt das restliche Geld in der Hose verschwinden und sagt: „Mehr habe ich nicht“. Als er sich ins Auto beugt, um mir die 8 Euro zu geben, sage ich energisch: „Dann bekomme ich noch 6 Euro 20!“ Jetzt bloß keine Schwäche zeigen, sonst kann ich das restliche Geld abschreiben. Andererseits will ich auch keine Auseinandersetzung beginnen, da hätte ich sicher schlechtere Karten. Er gibt mir widerwillig das Geld aus seiner Hosentasche und wartet, bis ich es gezählt habe. Die übrig bleibenden 50 Cent gebe ich ihm zurück, er nimmt sie und knallt die Tür zu. Ich bin mir recht sicher, dass sie vor hatten, ohne zu bezahlen abzuhauen.
Später am Adlon steigen mir zwei Männer ins Auto, die ins Bel Ami wollen. Die ganze Zeit über erzählen sie sich von ihren Erfahrungen mit Schlägereien, wie einer „den Albaner fertiggemacht hat“, der andere einen Hamburger Luden usw. Sie sind ekelhaft, aber wenigstens großzügig und zahlen mir für die 17-Euro-Fahrt einen 20er.
Danach fahre ich zur Halte Savingyplatz, mittlerweile ist es 1 Uhr. Plötzlich sagt die Zentrale, dass ein Kollege in der Straße des 17. Juni angegriffen wird. Ich brettere sofort los und will den genauen Standort wissen, die Straße ist ja nicht weit, aber sehr lang. Erst meint sie, es ist an der Nummer 31, Ecke Klopstockstraße. Aber dort ist nichts, auch keine Nr. 31, sondern die 100. Also muss es weiter Richtung Brandenburger Tor sein. Auf dem Funk ist mittlerweile einige Aufregung, weil mehrere Kollegen die Straße abfahren, um das entsprechende Taxi zu finden. Auch ich bin mit Tempo 80 unterwegs. Zwischen Großem Stern und Yitzak-Rabin-Straße finden wir den Kollegen, es sind auch bereits drei andere Taxen vom Bärchenfunk vor Ort, mit mir kommen weitere Wagen an.
Der angegriffene Kollege ist völlig durch den Wind. Sein Fahrgast hatte sich über die Musik beschwert und dann im Auto randaliert, Sachen aus den Halterungen gerissen und rumgeschmissen. Mehrere Kollegen stellen sich schon um ihn rum, damit er nicht flüchten kann. Es ist ein ca. 50-jähriger Mann, der sich nun darüber aufregt, dass so viele Taxifahrer kommen, nur um ihn zu verprügeln. Dabei fasst ihn niemand an. Der Mann ist im feinen Anzug, Typ Geschäftsmann, aber Hui und Pfui schließen sich ja nicht gegenseitig aus. Ich spreche kurz mit dem angegriffenen Kollegen, der immer noch total aufgeregt ist. „Wir sind ja nun da, es passiert jetzt nichts mehr“, versuche ich ihn zu beruhigen. Er ist etwa 65 Jahre alt, ich könnte ihn mir als gemütlichen Opa vorstellen, der seinen Enkeln Märchen vorliest. Er tut mir sehr leid, wie er mit dieser Situation völlig überfordert ist. Mittlerweile stehen die Taxis in drei Reihen auf der Straße, als endlich auch ein Polizeiwagen eintrifft. Ich steige in meinen Wagen und fahre nach Hause, für heute reicht es mir.
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