Volkswagen

Rocvin heißt die Firma, die normalerweise für die Fahrten der Bundestags-Abgeordneten zuständig ist. Wenn aber Parlamentssitzungen sind, reichen die etwa 60 schwarzen, protzigen Mercedes-Limousinen nicht aus, immerhin gibt es fast 600 Bundestags-Mitglieder. Und kaum jemand nutzt für die Heimfahrt einen BVG-Bus oder den vor der Tür liegenden U-Bahnhof. Also weicht die Parlamentsverwaltung seit einigen Jahren auch auf Taxis aus, die gesondert abgerechnet werden. Diese Fahrgäste müssen für die Fahrt nichts zahlen, das übernehmen wir Steuerzahler. Vor allem, wenn wichtige Gesetze durchgebracht werden,  sind fast alle Bundestagsmitglieder anwesend. Bisher stauten sich die Taxen dann hinter dem Reichstag, fast bis zur Spree. Durch die erhöhten Sicherheitsmaßnahmen ist der Platz für uns gemeines Volk nun aber geschlossen, obwohl es sich beim Bundestag ja um unsere Vertretung handelt. Das hat zwar keine nachvollziehbare Logik, aber egal.

Ich bekomme den Auftrag beim Überqueren des Leipziger Platzes, und so kann ich schnell als fünfter Wagen in der Reihe stehen. Wir müssen uns jetzt in der Scheidemannstraße sammeln, also an der südlich vom Reichstag liegenden Straße. Dummerweise gibt es dort nur drei Standplätze für Taxis, bald reicht die Schlange von nachfolgenden Kollegen hinter mir 150 Meter, bis zum Reichstagsgebäude. Das ruft natürlich die Polizei auf den Plan, sie verlangt, dass wir weiter fahren sollen. Aber die Mitarbeiter von Rocvin, die vor Ort verantwortlich sind, diskutieren mit ihnen. Ich höre, wie sie vom Volkssouverän sprechen und dass sie als Beauftragte des Parlaments über der „ausführenden Gewalt“ ständen. Nette Argumentation, die hätte ich denen gar nicht zugetraut. Ein einzelner Polizist versucht noch kurz, einzelne Taxifahrer zu verscheuchen, aber keiner fährt weg.

Zur offiziellen Vorbestellungszeit sehe ich, dass sich hinten die Taxen schon bis zum Brandenburger Tor zurück stauen. Auf der gegenüberliegenden Seite vom Platz der Republik, in der Paul-Löbe-Allee, stehen die vielen schwarzen Wagen von Rocvin. Sie dürfen bis zum Reichstagsgebäude vorfahren. Eine Viertelstunde lang tut sich nichts, die Kollegen stehen an ihren Autos und rauchen, die Taxameter laufen, das ist leicht verdientes Geld.
In der Zwischenzeit wird den Abgeordneten offenbar klar, dass sie ja bis zum ersten Wagen laufen müssten, vom Eingang Ost, wo sie heraus kommen, sind das 250-300 Meter Fußweg. Zu viel für unsere Vertreter: Offenbar machen sie Druck bei der Polizei, dass sie uns doch vorfahren lassen sollen. Denn plötzlich heißt es: Ab zum Reichstag Nord. Nun fährt eine lange Schlange von Taxis einmal um den gesamten Platz, am Kanzleramt vorbei, in die Paul-Löbe-Allee, wo wir jedoch auf die Rocvin-Autos stoßen. Und an denen kommen wir nicht vorbei, es ist zu eng. Super Koordination. Also heißt es wieder warten, bis vorn alles abgeräumt ist und wir langsam nachrücken. Als ich endlich am Reichstag ankomme, ist die eigentliche Bestellzeit schon 30 Minuten überschritten – aber egal, sie wird ja bezahlt.
Schließlich fahre ich meinen Fahrgast noch zu einer arabischen Botschaft, bei der ihm dann einfällt, dass er doch woanders hin wollte. Auch diesen Wunsch erfülle ich ihm. Immerhin ist er ja unser aller Volksvertreter.

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