Russenkaserne Karlshorst

Alten Ost-Berli­nern ist sie noch ein Begriff, die „Russenkaserne“. Seit 1945 befand sich in der einstigen NS-Wehrmachts-Pionierschule Karlshorst in der Zwieseler Straße, nördlich der Bahnstrecke, fast 50 Jahre lang das Oberkommando der sowjetischen Streitkräfte und der Verwaltung des KGB. Nur wenige Meter davon entfernt wurde im Offizierskasino in der Nacht des 8. Mai 1945 die bedingungslose Kapitulation der deutschen Wehrmacht unterzeichnet.
Karlshorst war während der gesamten DDR-Zeit ein Synonym für die Sowjets in Ost-Berlin. Dies lag auch an der Kaserne in der Hermann-Duncker-Straße, die heute wieder ihren alten Namen Treskowallee führt. Südöstlich des Bahnhofs, zwischen Trabrennbahn und dem Sommerbad Wuhlheide, standen stets zwei sowjetische Soldaten vor dem großen Metalltor. Rechts davon die Plattenbauten mit den Offizierswohnungen. Es war nicht ratsam, sich vor dem Tor aufzuhalten, um einen Blick auf das Kasernengelände zu werfen. Das war erst nach dem Abzug der Roten Armee 1994 möglich.

Im Sommer 1999 fotografierten wir auf dem Gelände. Das Tor an der Einfahrt war zwar versperrt, aber natürlich gab es rundherum einige Möglichkeiten, die bröcklige Mauer zu übersteigen. Kaum auf dem Gelände angekommen, fühlte man sich in einer anderen, unwirklichen Welt.
[mygal=110103_kaserne]
Der Blick vom Tor ins Innere des Komplexes zeigt als Erstes eine Allee. Auf der linken Seite, hinter der die Trabrennbahn liegt, standen einige kleine Häuser, ein paar Geschäfte. Ein Stück weiter das alte Kulturhaus. Von dem war nicht mehr viel übrig, die Hälfte des Gebäude eingestürzt, doch an der Bühne hing noch der Vorhang. Diesen unwirklichen Eindruck sollten wir noch öfter haben.

Rechts der Allee standen Verwaltungsgebäude und die Mannschaftsunterkünfte. Dahinter ein großer Aufmarschplatz, vielleicht hundert Meter im Quadrat. Fahnenstangen und Plakatwände mit Parolen weisen ihn als das Zentrum der Kaserne aus. Wie viele junge Rekruten hier wohl in Sommerhitze, im Regen oder in der winterlichen Kälte marschieren oder stramm stehen mussten? Diese Plätze gibt es wohl in allen Kasernen der Welt.
Hinter dem Platz ein wichig erscheinendes Gebäude, in dem sich wahrscheinlich die Generalität befand. An den Außenwänden Bildern stilisierter Soldaten und des Kremls. Innen das verblasste Bild eines ruhmreichen Sowjetkämpfers. Im Anschluss standen mehrere Zweckgebäude, eine Kaufhalle, ein kleines Hospital und ein Heizkraftwerk.

Interessanter wurde es auf dem Weg der Allee folgend. Dort eröffnete sich der Zweck der Kaserne: Die Panzerhallen. Von hier aus fuhren am 17. Juni 1953 die Russenpanzer nach Mitte, um den Arbeiteraufstand niederzuwalzen. Dutzende, wohl einige hundert T-34, T-54 und T-64 waren hier untergestellt. Etwa die Hälfte der „Garagen“ war mit Toren verschließbar, die anderen waren nur Unterstände. Um die Panzerstände herum konnte man noch die einstigen Werkstätten erkennen, mit ihren großen Hallen, in denen die schweren Fahrzeuge offenbar auch hochgehoben werden konnten.

Hinter einer dieser Werkstätten trafen wir auf den beklemmendsten Ort der Kaserne. Ein kleiner Hof war einst extra gesichert, die Stacheldrahtrollen hingen herunter, die Zaunspitzen verhießen nichts Gutes. Von außen nicht einsehbar ging es um die Ecke und von dort direkt in das kleine Gefängnisgebäude. Die Zellen waren winzig, vielleicht drei Quadratmeter, sie hatten keine Fenster und waren schwarz gestrichen. Im selben Haus, nur einen Raum weiter, wurden offenbar Leichen aufgebahrt.
Mit Sicherheit war dies auch für die hier stationierten Soldaten ein Ort, den sie nie von innen sehen wollten.
Makaber, aber wahr: Genau diese Stelle, der Hof mit den Zellen und der Totenhalle, war in den 90er Jahren zum Partyort geworden. Einmal aber, im Herbst 1999, fand hier auch eine Auseinandersetzung zwischen jungen Neonazis und Antifaschisten statt. An dem Wochenende nachdem meine Fotos entstanden, trafen um die hundert Leute zusammen, die eigentlich zum Feiern gekommen waren. Dass sie hier auf ihre Gegner treffen, war wohl nicht beabsichtigt. Die Polizei sprach von 20 Verletzten.
Eher friedlich gesinnt war eine andere Gruppe von Leuten, die sich damals vor allem wochentags hier trafen: Der hintere Teil der Kaserne hatte sich zu einem Treffpunkt entwickelt, an dem sich schwule Männer zum Sex trafen. Das Cruising Area war sogar tagsüber besucht, die vielen verwinkelten Räume und Häuserecken waren dafür perfekt. Sogar die Pornobranche entdeckte das Gelände für sich, mindestens ein schwuler und ein Hetero-Porno wurden in der ehemaligen Kaserne gedreht.

Noch hinter den Panzerhallen, am letzten Ende des Areals, gab es ein Schießgelände. Hier wurde offensichtlich mit scharfen Waffen trainiert, allerdings nicht mit Panzergranaten. Da war wohl die Gefahr zu groß, dass sie mal über das Ziel hinaus schießen könnten, in den damaligen Pionierpark Ernst Thälmann. Und die freie deutsche Jugend sollte ja nun wirklich nicht gefährdet werden.

Im Jahr 2006 bekamen einige der alten Gebäude noch einmal eine kurze Nutzung. Im Vorfeld der Fußball-Weltmeisterschaft probte die Feuerwehr die Evakuierung eines Krankenhauses nach einer Explosion.
Zehn Jahre nach dem Abzug der sowjetischen Armee wurde das einstige Kasernengelände dem Volkspark Wuhlheide zugeschlagen.
Heute ist es kaum noch wiederzuerkennen. Sämtliche Gebäude wurden abgerissen, nur die Allee existiert noch immer. Und auch der große Aufmarschplatz liegt noch da wie früher, lediglich der Betonboden ist verschwunden. Anstelle der Panzerhallen findet man heute einen großen Rundkurs, vielleicht wird dort ein Sportplatz errichtet.
Ganz hinten aber, wo einst scharf geschossen wurde, entsteht seit dem Jahr 2007 ein neues Land. Mehr als fünfzig Modelle berühmter Bauwerke aus Berlin und Brandenburg sind dort im Maßstab 1:25 unter freiem Himmel aufgestellt, jedes Jahr kommen einige dazu. Dort kann man den mannshohen Reichstag genauso besuchen wie die Oberbaumbrücke, die Marzahner Mühle, die Siegessäule oder das Schloss Oranienburg.
Nur Panzer, die findet man dort heute nicht mehr.

print

5 Kommentare

  1. Nein, die Kaserne ist mittlerweile abgerissen, das Gelände wächst langsam zu. Soweit ich weiß, wurde es der Wuhlheide angegliedert.

  2. Hey Aro,
    Ich bin momentan auf der Suche nach einer Drehlocation für unseren kleinen Kurzfilm „Prehistoria“.
    Und dabei bin ich auf die Russenkaserne Karlshorst gestoßen.
    Vielleicht kannst du mir ja ein par Fragen beantworten.
    Gibst das Ding noch so? Hatte mal was gegenteiliges irgendwo gelesen.
    Wenn ja, wo?
    Und wen kann ich anrufen, um n Kontakt auf zu bauen?

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.


*