Alexander, Guido, Gesine und der Kommunismus

Und wieder einmal geht ein Aufschrei durch die Parteien. Meist sind es ja Hitler-Verglei­che (egal von welcher Seite), die die künst­li­che Empö­rung auslö­sen, dies­mal aber hat sich die Linke Gesine Lötzsch das Fett­näpf­chen selbst hinge­stellt. Aber warum auch nicht, Show gehört zum poli­ti­schen Geschäft, und mehr als Show kann ich lang­sam auch nicht mehr darin erken­nen.
Aber der Reihe nach:
Gesine Lötzsch stammt aus der DDR, war dort schon flei­ßige Partei­ar­bei­te­rin und durfte dafür Jahre vor der Wende im nicht­so­zia­lis­ti­schen Ausland studie­ren. Seit der Umwand­lung der SED in die PDS war sie immer wieder Funk­tio­nä­rin in den obers­ten Etagen der Partei. Man kann wohl davon ausge­hen, dass sie nach mehr als 25 Jahren poli­ti­scher Erfah­rung weiß, was sie sagt.
Aber was hat sie gesagt?
Die eins­tige FDJ-Zeitung “Junge Welt”, die heute vor allem von kommu­nis­ti­schen Sektie­rern und Auto­no­men gele­sen wird, druckte am 3. Januar Auszüge einer Rede, die Lötzsch am Wochen­ende bei einer Veran­stal­tung halten wird und bei der sie u.a. mit Gewerk­schaft­lern, einer Ex-RAF-Frau und Auto­no­men Anti­fas auf dem Podium sitzt. “Wege zum Kommu­nis­mus” ist der Text über­schrie­ben und er lässt keine Zwei­fel aufkom­men, dass sie genau den auch will: Den Kommu­nis­mus. Doch was ist das für ein Kommu­nis­mus? Die DDR? Stalins Sowjet­union? Maos China? Pol Pots Kambo­dscha? Oder viel­leicht Orte­gas Nica­ra­gua?
In ihrem Text ist sie sich da nicht so sicher: “Sind wir wirk­lich schlauer?” fragt sie. Und wenn auch ihre jetzige Partei noch immer kein Programm hat, zählt Lötzsch doch schon einige Punkte auf, die ihrer Meinung dort wohl hinein gehö­ren. “Über­gang zu einer dezen­tra­len Ener­gie­pro­duk­tion und ‑versor­gung, weit­ge­hende Verla­ge­rung der Trans­porte auf die Schiene und Ausbau des öffent­li­chen Perso­nen­nah­ver­kehrs bis hin zu entgelt­freien Ange­bo­ten. Schnelle ener­ge­ti­sche Sanie­rung des Wohnungs- und Gebäu­de­be­stan­des, Mindest­löhne, soziale Sicher­heit…” Alles Punkte, über die man als Ziele reden muss, die sich aber nicht als Schreck­ge­spenst eignen. Wenn man aller­dings die Links­par­tei sieht, wundert man sich eher, dass sie sich noch nicht selber gegen­sei­tig abge­schafft hat. Aber das ist ein ande­res Thema, auch wenn Gesine Lötzsch, die Partei immer wieder mit kommu­nis­ti­schen Ideen verknüpft.

Warum aber ist “der Kommu­nis­mus” heute immer noch so ein großes Reiz­thema? Immer­hin hat die Ankün­di­gung dieser Rede dazu geführt, dass CSU-Gene­ral­se­kre­tär Alex­an­der Dobrindt gleich das Verbot der Links­par­tei fordert. Dass Wester­welle auch sofort gegen die Linke hetzt und in seiner “großen Rede” gestern sogar Passa­gen daraus verlas, wundert nieman­den.
Wundern tu ich mich aber, dass eine Partei wie die CSU das Verbot der Linken fordert. Mit welchem Recht denn? Wenn die CSU für Demo­kra­tie ist und die Linke verbie­ten will, weil diese unde­mo­kra­tisch sei, dann ist diese Forde­rung doch auch unde­mo­kra­tisch, oder? Schließ­lich heißt Demo­kra­tie ja, dass es poli­tisch unter­schied­li­che Parteien geben soll. Oder bedeu­tet für Dobrindt Demo­kra­tie, dass die CSU allein regie­ren muss? Und muss Bundes­kanz­le­rin Merkel dann auch abge­setzt werden, weil sie ja mal Funk­tio­nä­rin einer kommu­nis­ti­schen Orga­ni­sa­tion war?

“Die Wege zum Kommu­nis­mus können wir nur finden, wenn wir uns auf den Weg machen und sie auspro­bie­ren, ob in der Oppo­si­tion oder in der Regie­rung.”
Dieser Satz aus dem Mund von Guido Wester­welle ist schon merk­wür­dig, hier kann man ihn sich anhö­ren:

[audio:kommunist_westerwelle.mp3]

Natür­lich ist der Kommu­nis­mus aufgrund der Geschichte diskre­di­tiert. So wie auch der Faschis­mus, den es im 20. Jahr­hun­dert eben­falls in mehre­ren Spiel­ar­ten gab. Aber was ist die Alter­na­tive? Ist die parla­men­ta­ri­sche Demo­kra­tie wirk­lich die Lösung? Verges­sen wir nicht, dass die USA als Demo­kra­tie Kriege wie gegen Viet­nam geführt haben, die nichts ande­res waren als Völker­mord. Auch im Irak hatten sie nichts zu suchen. Und es ist diese Demo­kra­tie, die noch immer Afrika ausbeu­tet, über Mono­kul­tu­ren in den Erzeu­ger­län­dern Hunger produ­ziert, die zulässt, dass Anti-Aids-Medi­ka­mente für ganze Völker unbe­zahl­bar sind, und, und, und…
Sicher, Demo­kra­tie ist besser als Dikta­tur, so wie Sonnen­brand besser ist als Erfrie­run­gen. Aber gehört es nicht zur Demo­kra­tie, dass man sich öffent­lich Gedan­ken darüber machen darf, ob es nicht einen Weg gibt, der für die Mensch­heit besser ist? Nicht nur für die oberen Zehn­tau­send, die 99 Prozent der Produk­ti­ons­mit­tel kontrol­lie­ren, sondern auch für den lächer­li­chen Rest von 6,5 Milli­ar­den Menschen?
Viel­leicht geht es gar nicht um Demo­kra­tie contra Dikta­tur. Sonst würden die USA nicht seit 200 Jahren immer wieder Dikta­to­ren unter­stüt­zen, solange diese nur brav mit dem Schwanz wedeln, wenn US-Amerika das Stöck­chen hinhält. Geht es nicht viel eher um eine soziale Frage? Also darum, dass es viel wich­ti­ger ist, jedem Menschen auf der Erde ein menschen­wür­di­ges Leben zu garan­tie­ren, ohne Hunger, mit einem siche­ren Zuhause, ohne Angst vor Folter. Das würde aber bedeu­ten, dass manche Aktio­näre etwas weiger Divi­dende bekä­men, was offen­bar schon reicht, um soziale Forde­run­gen zu bekämp­fen.
Der Kommu­nis­mus hat auf jeden Fall so viele dunkle Flecken auf der Weste wie andere Dikta­tu­ren. Aber die Demo­kra­tie ist eben­falls nicht sauber, sie kann ihre Flecken nur besser kaschie­ren und notfalls recht­fer­ti­gen. So wie in Afgha­ni­stan, wo es beim Einmarsch 2002 angeb­lich nur um den Sturz eines terro­ris­ti­schen Regimes ging. Doch nach­dem es im selben Jahr gestürzt wurde, sind die Inva­so­ren nicht etwa wieder abge­zo­gen. Nein, die Demo­kra­ten sind noch immer dort und sie wundern sich, darum so viele Menschen aus der Bevöl­ke­rung gegen sie sind. Nicht nur Talib­ans und Al-Qaida-Anhän­ger. Viel­leicht wollen sie ja die west­li­che Demo­kra­tie nicht? Aber sie wird ihnen aufge­zwun­gen, mit allen Mitteln. Koste es soviel Menschen­le­ben, wie es wolle.

Ich glaube nicht, dass Gesine Lötzsch einen Kommu­nis­mus a la Stalin oder Mao möchte. Solche Leute gibt es in der Links­par­tei sicher auch, das kann schon sein. Aber im Gegen­zug tut die CDU oder die CSU auch bis heute nichts gegen die Rechts­extre­mis­ten, die sie in ihren Reihen schon immer hatten.
Dass nun auf Lötzsch und die Linke rumge­tram­pelt wird, weil sie das Wort Kommu­nis­mus in den Mund genom­men haben, sagt mehr über das unde­mo­kra­ti­sche Denken von Dobrindt , Wester­welle & Co. aus als über das der Links­par­tei. Wer allein schon die Thema­ti­sie­rung verhin­dern will, macht sich verdäch­tig.

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3 Kommentare

  1. Hallo Ralle,

    abso­lute Klasse!
    — Lesen
    — Sacken lassen
    — Verste­hen
    — Herz­lich Lachen
    — Schlu­cken
    — Heulen

    Oh Mensch es gibt noch viel zu tun…

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