Der Rosenthaler Platz unterhält sich…

So heißt es in dem ersten modernen Großstadtroman der deutschen Literatur, „Berlin Alexanderplatz“ von Alfred Döblin.
Mal hören, was er alles zu erzählen hat.

Den heutigen Namen Rosenthaler Platz gibt es erst seit 1910. Der Platz selbst ist älter und hieß zunächst „Platz am Rosenthaler Tor“. Er entstand im Zusammenhang mit einer Toranlage. Also war hier einmal die Stadt Berlin zu Ende.
Und Rosenthal? Etwa ein jüdischer Besitzer oder eine bedeutende Persönlichkeit? Nein. In Berlin war es üblich, die Stadttore nach den Zielorten oder -gegenden zu benennen.
So verfuhren unsere Urgroßväter auch mit der Bezeichnung der Bahnhöfe. In der Nähe gab es z. B. den Stettiner Bahnhof. Der wurde 1952 für den Personenverkehr stillgelegt und, weil im Krieg zerstört, Mitte der fünfziger Jahre abgerissen. Stettin gehörte nach dem 2. Weltkrieg nunmehr zu Polen und hieß Szczeczin. Das Bahnhofsgelände erhielt deshalb 1950 den Namen Nordbahnhof; der polnischen Bezeichnung wollten die Behörden in Ostberlin nicht folgen.

Das Tor

Über den Platz fährt eine Straßenbahn und biegt in den Weinbergsweg ab. An der Anzeige steht „Rosenthal-Nord“ und die Liniennummer 53. Sie kommt vom Hackeschen Markt und braucht gut 40 Minuten zu ihrem nördlichen Endpunkt.
Rosenthal ist heute ein Ortsteil von Pankow. Als dieser 1920 als 19. Verwaltungsbezirk geschaffen wurde, kam dieser kleine Flecken zusammen mit Pankow nach Berlin. Erwähnt wurde der Ort erstmals 1356. Dorf und Rittergut hatten Ende des 17. Jahrhunderts dem Kurfürsten Friedrich III. ein „Lustschloss“ zu verdanken. Seinem Sohn, dem sogenannten Soldatenkönig, verging wohl die „Lust“, denn er ließ es abreißen. Im 18. Jahrhundert werden noch Fasanerie und Windmühle verzeichnet, im späten 19. Jh. wurde die Gegend Fäkalienverteiler von Berlin: es entstanden Rieselfelder.
Also gab das Stadttor den Hinweis auf den Weg nach Rosenthal. Heutzutage erwächst die Verwunderung vor allem daraus, das sich mit dem Ort nichts Großes und Bedeutendes mehr verbinden lässt. In westlicher Nachbarschaft stand wenigstens ein Oranienburger und ein Hamburger Tor, in östlicher hingegen „nur“ das Schönhauser Tor. Der Ort Niederschönhausen, heute ebenfalls zum Pankower Bezirk gehörig, war auch nicht viel größer, besitzt das Schloss aber noch.

In der barocken Fortifikation der Stadt Berlin, wie auch in der mittelalterlichen Mauer, gab es ein „Spandauer Tor“. Zu diesem Stadttor führten Straßen, die nicht das Resultat einer Stadtplanung waren, sondern alte Verkehrswege. Deshalb verwundert die Benennung nach den verschiedenen Orten nicht, denn es galt, die Richtung und damit eine Orientierung zu erhalten.
Vor diesem „Spandauer Tor“ entwickelte sich seit dem späten 17. Jh. eine „Vorstadt vor dem Spandauer Tore“, später Spandauer Vorstadt genannt, die durch eine neue Stadtgrenze eingefaßt wurde. Nun lag der Anfang des Weges nach Rosenthal in Berlin, zwischen dem alten, aufgegebenen und dem neuen Stadttor verlief die Rosenthaler Straße. Und was lag näher, als auch das Stadttor nach dem kleinen Ort zu benennen?
Schon in der mittelalterlichen Stadt Berlin verfuhr man so: die Spandauer, die Oderberger (später König-, heutige Rathausstraße) und die Stralauer Straße führten auf gleichnamige Toranlagen zu. Nach der Stadterweiterung im 18. Jh. ging man genauso zu Werke: am Ende der Oranienburger, der Hamburger, Rosenthaler, Schönhauser, Prenzlauer, Landsberger und Frankfurter Straße lagen die entsprechend bezeichneten Stadttore.
Der neue Stadtrand, die „Linie“, wird uns noch heute durch den Verlauf und die Bezeichnung der Linienstraße verraten. Doch war das keine große Verteidigungsanlage mehr, sondern eine hölzerne Palisadenwehr, die in erster Linie Zollgrenze zu sein hatte. Deshalb ergab es sich fast wie von selbst, an den verschiedene Schnittpunkten mit Handels- und Verbindungsstraßen Stadttore einzubrechen, um dort die sogenannte Akzise, eine seit dem Großen Kurfürsten erhobene Verbrauchssteuer auf eingeführte Waren, einzutreiben.
Dieses hölzerne Werk hatte nur ein paar Jahrzehnte Bestand. Es wurde seit 1788 durch eine Steinmauer mit zum Teil repräsentativen Stadttoren ersetzt. Diese neue Stadtmauer verlief nicht mehr auf der alten „Linie“, sondern ein paar Meter nach außen verschoben, in der heutigen Torstraße.
Damit verschwanden auch die beiden ursprünglichen Pfosten des alten Rosenthaler Tores. Noch vor der Vollendung des Brandenburger Tores wurde das Rosenthaler 1787/88 durch den in Bayreuth geborenen Christian George Unger (1743-1799), der ab 1781 in Berlin tätig war und schließlich 1787 den Rang eines Oberhofbaurats erhielt, errichtet.
Seinen Torbau entwarf er in Anlehnung an römische Triumphbögen: ein erhöhtes Mitteltor, flankiert von zwei niedrigeren Seitendurchgängen, über denen große Reliefs angebracht waren. Alle drei Durchgänge wiesen eine aus Säulen bestehende Rahmung auf, die beiden äußeren sprangen risalitartig hervor und wurden von Dreieckgiebeln mit jeweils zwei dahintergesetzten vollplastischen Figuren – handfeste, antikisierende Krieger – betont. Den oberen Abschluß bildete ein sich verjüngender Aufsatz mit Girlandenmotiv und einem bekrönenden Helmbusch. Die niedrigeren seitlichen Toranbauten in Gestalt von Arkaden setzte Unger in Bogenform. Sie hatten die Funktion, auf der linken Seite in dem „Einnehmerhaus“ die Steuerbehörde und auf der rechten die Wachmannschaft aufzunehmen. Wie heute noch am Brandenburger Tor zu sehen.

Die Berliner Stadttore durfte jeder passieren, soweit er sich, wenn er von Ferne kam, entsprechend ausweisen konnte und die Akzise entrichtete. Oft ein hinderliches Procedere, aber hier begann auch spürbar der Rechtsstatus einer Stadt.
Dieser war besonders für Juden deprimierend. Die jüdische Gemeinde haftete für jedes ihrer Mitglieder und hatte deshalb schon an der Stadtgrenze ihre Observierer, die zunächst als Vermittler und Dolmetscher zwischen den preußischen Beamten und den hebräisch und jiddisch sprechenden Hergereisten tätig waren. Ihre Kompetenz ging sogar so weit, mittellose und suspekte Personen abzuweisen. Fremde Juden hatten diverse Auskünfte zu liefern, und das bestand nicht nur in der Frage nach dem Woher und Wohin und der Angabe desjenigen, zu dem der Einlassbegehrende – unter Angabe der Gründe – in der Residenzstadt wollte, sondern auch in der Offenlegung der Vermögens-Verhältnisse. Solche „Rapporte“ sind zum Beispiel im Brandenburgischen Landes-Hauptarchiv erhalten geblieben.
Die aus der Solidarhaftung resultierende Herzlosigkeit der eigenen Glaubensbrüder hielt sich insofern in Grenzen, da es am Rosenthaler Tor eine Judenherberge gab. Im ersten Berliner Adress-Kalender aus dem Jahre 1799 ist ein Gelände speziell für diese Zwecke zwischen „Linienstraße“ und der an der Stadtmauer gelegenen „Straße an der Communikation“ als Baustelle zur Judenherberge und diese selbst angegeben.
Schon ein paar Jahre früher hat Johann Georg Rosenberg (1739-1808) eine Ansicht Berlins mit dem „Voigtland“ am Rosenthaler Tor durch eine Radierung festgehalten, die um 1785 datiert wird. Der Weg im Vordergrund fällt zur Brunnenstraße ab. Erst am anderen Ende der Straße gibt es auf der linken Seite – stadteinwärts gesehen – Bebauung. Vor einem größeren mehrgeschossigen Haus ist ein niedrigerer Bau mit fünf Schornsteinen zu erkennen, die Judenherberge. Auf einer Zeichnung von L. L. Müller aus dem Jahre 1807 ist das Betteljudenhaus am Rosenthaler Tor ebenfalls vor dem größeren Bau, der dem Kaufmann Streithorst gehörte, abgebildet.
In dem Buch „Salomon Maimons Lebensgeschichte. Von ihm selbst geschrieben und herausgegeben von Karl Philipp Moritz (1792)“ wird eine anschauliche Beschreibung der Situation gegeben, die sich aus der Kollektivhaftung zum einen und der in Berlin gering zu haltenden Zahl an Juden zum anderen ergab: Im Spätsommer 1777 kommt Maimon als Betteljude aus Polen daher und möchte hier Medizin studieren, wird aber von einem Rabbi bei den Ältesten, die über jeden Verbleib entscheiden, wegen seiner „ketzerischen Denkungsart“ angeschwärzt. Er muss nach ermöglichter Übernachtung und dem Erhalt eines Zehrpfennigs als „unerwünschte Person“ weiterziehen. Erst beim zweiten Versuch klappt es, auch weil er beim schon berühmten Moses Mendelssohn vorstellig werden konnte. Maimon darf für’s erste unangefochten in Berlin bleiben.
Mendelssohn war es im Oktober 1743 ähnlich schlecht ergangen, denn er wurde am Halleschen Tor ab- und zum Rosenthaler Tor verwiesen, musste notgedrungen um die halbe Stadt laufen. Dass er sich hier Einlass verschuf, war aufgrund seiner Mittellosigkeit durchaus erstaunlich. Doch konnte er, der als 13-Jähriger aus Dessau kommend seinem Lehrer Fränkel gefolgt war, auf eben jenen Rabbiner verweisen und auf die Frage, was er hier wolle, mit der Antwort verblüffen: Lernen. (Thorastudium und das anderer Heiliger Schriften war schließlich eine heilige Pflicht.) Er bekommt letztlich bei Heimann Bamberger in der Probstgasse eine Dachkammer und zweimal in der Woche Essen. Und wird in den nächsten Jahren zu einem der bedeutendsten Emanzipatoren des Judentums.
So war das Betteljudenhaus eine Berliner Besonderheit für von außen einreisende Juden, sowohl mit der Funktion eines kurzzeitigen Aufenthaltsortes für arme Juden, die der Gemeinde in Berlin nur zur Last gefallen wären, als auch des Heqdesh, was übersetzt wohltätige Stiftung heißt und bedeutet, dass die oft Kranken und Ausgemergelten nicht fähig waren, die Rück- oder Weiterreise anzutreten und deshalb hier verpflegt und medizinisch versorgt werden konnten.
Genauso erniedrigend war die Zahlung eines Leibzolls. Ephraim Moses Kuh (1731-1790) lässt in einem Dialog einen Zöllner anschaulich sagen: Das fragst du noch! Weil du ein Jude bist. Wärst du ein Türk‘, ein Heid‘, ein Atheist, so würden wir nicht einen Deut begehren. Als einen Juden müssen wir dich scheren. 1 Gar vielen wird das Rosenthaler Tor auch deshalb in schlechter Erinnerung geblieben sein.

Dieser repräsentative Torbau stand nicht einmal hundert Jahre. Kurz vor dem Abriss hat ihn der bekannte Berliner Photograph Albert Schwartz noch aufgenommen.
Am 1. Januar 1861 trat nämlich nach einem ministeriellen Beschluss das Eingemeindungsgesetz in Kraft. Nun kamen Wedding und Moabit, sowie die nördlichen Teile Schönebergs und Tempelhofs zu Berlin. Das neue Berliner Stadtgebiet umfasste 5.923 Hektar. Durch die Volkszählung vom 3. Dezember 1861 kennen wir auch die neue Bevölkerungszahl mit insgesamt 523.678 Personen. War eine Stadtmauer für steuerliche Belange überhaupt noch nötig? Dass hier das Militär in Form des preußischen Kriegs-Ministeriums sehr lautstark gegen einen Abriss protestierte, resultierte aus der Funktion dieser Stadtgrenze nach Innen: bei Aufständen und Revolten oder beim Ausbruch sozialer Konflikte konnte die Innenstadt der Residenz abgesperrt werden. Der preußische Kriegsminister von Roon – in Bronze verewigt steht er heute am Großen Stern im Tiergarten – wollte nach dem Abriss der Steinmauer wenigstens einige Stadttore für die Militär-Verwaltung erhalten. Schließlich entschied der preußische König Wilhelm I. durch eine Kabinettsordre vom 29. Juni 1865, „dass der Abbruch der Stadtmauer von Berlin, nachdem die Verlegung der Steuer-Erhebung an die Grenze des engeren Steuerbezirks zum 1. Juli d.J. vollständig bewirkt sein wird, vorgenommen und nach und nach zur Ausführung gebracht werde.“ 2 Ein terminus post quem. Ein Zeitpunkt also, von dem aus wir den Abbruch dieser Stadtmauer des 18. Jh. ansetzen können. Und es ist gründliche Arbeit geleistet worden: ein kleines Stück steht noch in der Hannoverschen Straße am Robert-Koch-Platz, ein anderes in der Stresemannstraße, jedoch aufgrund von im Boden gefundenen Resten neu aufgemauert.
Den Stadttoren ging es nicht viel besser, obwohl mancher Verlust kaum zu bedauern wäre. Das übrige geht auf das Konto des II. Weltkrieges. So steht nur noch ein einziges an Ort und Stelle: das Brandenburger Tor. Ansonsten verweisen U-Bahnhofs-Bezeichnungen auf die ehemaligen Standorte: Oranienburger Tor, Schlesisches, Kottbusser und Hallesches Tor. Und – nicht zu vergessen – die am Oberlauf der Spree gelegene Oberbaumbrücke als Erinnerung an eines der beiden Wassertore, die zunächst durch massive Baumstämme geschlossen wurden, wodurch sich der Name erklärt. Zu dieser Stadtgrenze gehörte einst auch das nicht mehr existente Rosenthaler Tor.

Durch die Wege, die auf das Rosenthaler Tor zuführten, entstand der Platz vor dem Rosenthaler Tor, nach der Beseitigung des Torbaus eine Straßenkreuzung. Derselbe Fakt, das sich vor einem Stadttor eine wichtige Straßenkreuzung entwickelte, liegt auch der Herausbildung des Alexanderplatzes oder des Potsdamer Platzes zugrunde. Nur ist der hiesige nie so berühmt und bekannt geworden, wie die beiden anderen Berliner Plätze. Er wird bleiben, was er war: eine Verkehrskreuzung, bestehend aus mehreren aufeinander stoßenden Straßen.
Alfred Döblin nennt sie uns in seinem Roman „Berlin Alexanderplatz“. Vom Platz gehen ab die große Brunnenstraße, die führt nördlich, die AEG, liegt an ihr auf der linken Seite vor dem Humboldthain. Lag an ihr, denn sie wurde 1996 endgültig aufgelöst. Der Name der Straße erinnert an die Heilquelle im Wedding, den Gesundbrunnen, und den Weg zu ihm. Vom Süden kommt die Rosenthaler Straße auf den Platz. Von ihr haben wir schon gehört. In der Elsasser Straße haben sie den ganzen Fahrweg eingezäunt bis auf eine kleine Rinne. (…) An der Haltestelle Lothringer Straße sind eben eingestiegen in die 4 vier Leute, zwei ältliche Frauen, ein bekümmerter einfacher Mann und ein Junge mit Mütze und Ohrenklappe. Erstere Straße führte westliche zum Oranienburger Tor, letztere östliche zum Prenzlauer Tor. Dort bezog nach dem II. Weltkrieg das Zentralkomitee der 1946 gegründeten SED das ehemalige Kreditwarenhaus Jonass. Wilhelm Pieck, Mitbegründer der KPD (und ihr Sekretär nach der Inhaftierung Thälmanns) sowie jener Einheitspartei, hatte hier seine Arbeitsstätte. Nach der Gründung der DDR im Jahre 1949 wurde er der erste und zugleich letzte DDR-Präsident, dessen Sitz das Schloss Schönhausen war. 1951 tilgte Ostberlin die Erinnerung an den Gebietszuwachs nach dem Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 und nannte die Elsässer und Lothringer Straße kurzerhand nach dem lebenden Vorbild der Arbeiterbewegung um. Sein Arbeitszimmer blieb nach seinem Tod als Gedenkzimmer im „Institut für Marxismus-Leninismus“ erhalten. Die anlässlich seines hundertsten Geburtstages im Jahre 1976 am Haus angebrachte Gedenktafel ist seit der „Wende“ verschwunden. Mittlerweile auch der Straßenname. Schließlich ist Berlin Bundeshauptstadt, Sitz des Bundespräsidenten und der Regierung. Schließlich ist Wilhelm Pieck nicht Bismarck. Und schließlich empfahl eine „Unabhängige Kommission zur Umbenennung von Straßen“ 1994 die Rückbenennung in Torstraße. Proteste blieben nicht aus, jedoch der Erfolg. Wer eine Diktatur, wie die der Nationalsozialisten, bekämpft, um eine neue zu errichten, hat in einer Demokratie keinen Freibrief. Vielen war dies egal. Den Geschäftsleuten nicht, denn sie mussten Adressen und Briefköpfe ändern.
Stadtführer sind in diesem Punkt aber dankbare Befürworter. Denn nun lässt sich ein wichtiger Wachstumsring von Berlin besser darstellen. Und: der neutrale unpolitische Name ist außerdem krisenfest.

Mauerbau

So wären wir wieder bei jener Stadtgrenze angelangt, vor der die Straße 1735 als „Communication“ angelegt wurde. Anfang des 19. Jh. hieß dann der Verbinder an der Stadtmauer „Thor Straße“. Der östliche Abschnitt nach dem Rosenthaler Tor wurde 1832 in Wollankstraße umbenannt, einer Familie zu Ehren, der unweit des Stadttores nach Rosenthal auch einmal die Weinberge gehörten. Der Gastwirt Louis Gräbert hatte dort sogar eine Restauration gleichen Namens: Wollanks Weinberg. Und richtig, da gibt es ja noch den „Weinbergsweg“, den hat uns Döblin zunächst glattweg unterschlagen.
Weinberge in der Nähe der Zollmauer. Durstig wird bei dem Gedanken keiner. Zunächst waren sie im Besitz eines Feldmarschalls, Otto Christoph Graf von Sparr (1599-1668). Der Bezirk Prenzlauer Berg hat in sein neues Stadtbezirkswappen immerhin eine Weintraube aufgenommen. Und von der Rosenthaler Straße geht schließlich auch noch eine Weinmeisterstraße ab, die durch den Garten des Weinmeisters Strohse gelegt wurde. Hieß nicht der süffige Rotwein, der zu DDR-Zeiten durch viele Kehlen floss, Rosenthaler Kadarka? Aber das führt nun wirklich auf den Holzweg, denn damit ist nicht unser Rosenthal gemeint. Eigentlich ja auf den Sandweg, denn wir sind in der Mark Brandenburg.

Apropos Sand. Dieser bereitete dem nördlichen Bereich von Berlin große Sorgen. Dabei war der Mensch, wie so oft, selbst der Verursacher der Plage. Noch in der Zeit des 30-jährigen Krieges gab es hier ausgedehnte Waldflächen. Darauf verweist Pfarrer Kuntze von der nahen Elisabethkirche in einer Chronik von 1855. Doch nicht nur für die neue Umwallung Berlins in der 1. Hälfte des 18. Jh. – im Zusammenhang mit der Erweiterung der Stadt über die barocke Fortifikation hinaus – wurden Hölzer für die Palisade gebraucht, sondern auch für die rege Bautätigkeit der expandierenden Stadt. Holz war zudem ein wichtiges Brennmaterial, sowohl zum Kochen als auch zum Heizen. Und so schlugen die Forstmänner die Bäume in den die Stadt umgebenden Wäldern, bis diese zunehmend verschwanden, denn der Bedarf war immens. Gehölz-Nachpflanzungen erfolgten jedoch nicht. Dies rächte sich bitter, denn nun galt der Kampf dem lästigen Flug- und Treibsand. Die „Sandscholle“ wurde allmählich wieder bepflanzt, mit wechselndem Erfolg. Das Problem verschwand erst endgültig durch die Bebauung nördlich der Zollmauer. Durch sie wird aber auch ein wichtiges Kapitel der Besiedlung und Stadtentwicklung aufgeschlagen.

Es war die Regierungszeit Friedrichs II. In Berlin wurde gebaut und daran sind wie heute nicht nur die einheimischen Bauarbeiter beteiligt, sondern Fremdarbeiter, Ausländer. Und Ausland war gleich hinter Brandenburg-Preußen.
Friedrich war nicht nur auf Landgewinn aus, sondern auch auf Bevölkerungszuwachs. Schuld waren die Kriege. Leute ins Land zu werben und sie möglichst zu halten, beseelte deshalb auch schon seine Vorfahren.
Der König ließ einen Oberst von Retzow examinieren, wie es um Saison-Handwerker stand. Eine Kabinettsorder vom 22. November 1751 gab dem Stadtkommandanten von Berlin die Marschrichtung vor. Jener „General-Lieutenant“ Graf von Hacke, nach dem der Hackesche Markt noch heute benannt ist, sollte zunächst erkunden, ob die Gesellen, die in der Sommerzeit hier arbeiten, den Winter über aber in ihrer Heimat verweilen und dort das Geld durchbringen, aus dem Voigtlande stammen. Dieses außer Landes gehende Geld möchte der Monarch gern hier zirkulieren sehen. Er forderte daher vor den Toren Berlins die Etablierung dieser Personen mit Häusern und Gärten und verweist auf sein gutes Beispiel in Potsdam, wo er den Sommer über residierte und diese Ordre verfasste. Auch über die Gegend herrschte schon königliche Klarheit: der Platz vor dem Hamburger Tor, „welcher zuvor ordentlich aufgenommen und in Quartiere und Straßen eingetheilet werden müßte, aber alsdann jeder derselben mit einem kleinen Hause angesetzet und ihm ein ziemlich räumlicher Gartenfleck … gegeben werden könnte, da sie, wenn ihre Maurer- und Zimmer Arbeit vorbey, im Winter leben und sich überdem durch Spinnen und dergleichen Arbeit gantz reichlich ernehren könnten, und zwar dieses um so mehr, als Meine intention ist, daß solches Quartier alsdann nicht mit unter die accise gezogen werden, sondern sie davon gäntzlich befreyet bleiben sollten. 3
So begann 1752 der Bau der Kolonistenhäuser vor dem Rosenthaler Tor. Bis 1755 wurden insgesamt 60 solcher einfachen Unterkünfte (an drei Straßen vier Reihen mit je 15 einzeln stehenden Häusern) errichtet und die entsprechenden Grundbriefe ausgehändigt. Ein Stück Garten gehörte jeweils dazu.
Durch die Herkunftsgegend der ausländischen Handwerker-Familien ergab sich die Bezeichnung Neu-Voigtland. Das von dieser Kolonie kein einziges Gebäude aus der Erbauungszeit überlebt hat, lag weder an der Zerstörung im II. Weltkrieg noch am Abrissgebahren der DDR. Sie sind einerseits nicht für die Ewigkeit gebaut, zumal das bauhandwerkliche Vermögen der Häuserbauer sehr unterschiedlich war, andererseits schon durch die Expansion Berlins jenseits der Stadtmauer im 19. Jh. überbaut worden.
Wer sich ein dreidimensionales Bild von solch einer Kolonie machen möchte, der fahre von Berlin aus mit der S-Bahn Richtung Potsdam und steige in Babelsberg aus, um die Weberkolonie Nowawes aufzusuchen, die zeitgleich entstand. Hier siedelte Friedrich II. aus Böhmen stammende Zuwanderer in einem Spinnerdorf an. In beiden Fällen spielte die Urbanisierung brachliegender Flächen eine Rolle. Beim Kolonistendorf Nowawes kommt durch die Ansiedlung von Arbeitskräften hinzu, verstärkt vom Ausland unabhängige Wirtschaftszweige aufzubauen.

Die Bauhandwerkerkolonie Neu-Voigtland infizierte sich sehr schnell mit einem schlechten Ruf. In einer Publikation von 1788 heißt es denn auch: „Voigtland: Eine Vorstadt vor dem Rosenthaler Tor, die den größeren Diebesbanden von jeher zum Schlupfwinkel gedient hat. Da sie außerhalb der Ringmauer auf freiem Feld liegt, so hat das lose Gesindel hier immer den Rücken frei und kann zur Nachtzeit seinen Frevel in den umliegenden Dörfern und auf der Heerstraße ausüben.“ [3]
Aber dies war nicht der alleinige Grund. Das Gelände gehörte nicht zum Stadtgebiet Berlins, entzog sich polizeilicher und kirchlicher Kontrolle und wurde schnell zum Sammelbecken der ärmeren Bevölkerung, angelockt auch durch die billigen Mieten und die Möglichkeit, Gelegenheitsarbeiten anzunehmen. Der Boden war der denkbar schlechteste und so versuchten die Bauherren durch Verdichtung der Bebauung mehr zu vermieten oder auf den Grundstücken Vergnügungslokale und Schankwirtschaften zu etablieren, da hier nicht die Last der Akzise drückte, keine zusätzlichen Steuerzahlungen mitbedacht werden mussten. Die Bausubstanz war nicht die beste, ebenso der Zustand der Straßen, die bei Einbruch der Dunkelheit finster blieben, genauso wie die Möglichkeiten der Entwässerung.
Diesen Missständen und unliebsamen Begleiterscheinungen ein Ende zu bereiten, forderten viele beunruhigte Bürger. So auch im Jahre 1800 der Landrat Pannwitz in einem Schreiben an das Berliner Polizeipräsidium. In dieser Eingabe drang er vor allem auf die Einrichtung einer Polizeistation und möglichst den Einschluss Neu-Voigtlands durch die Zollmauer, die ja erst seit gut einem Jahrzehnt an der Torstraße stand. Berlin verweigerte sich letzterem, ersterem aber kam die Stadt nach: Im Sommer 1800 wurde das Polizeirevier Nr. 19 mit einem einzigen Beamten geschaffen. Dieser Kommissar Ebell war völlig überfordert, wurde aber von engagierten Leuten aus der Gegend unterstützt, die eine Art Bürgerwehr bildeten. Er versuchte zunächst den üblen Leumund des Viertels zu bessern, indem er vorschlug, den Namen zu tilgen. Gaben sich nämlich die Bewohner als „Voigtländer“ zu erkennen, rümpften andere die Nase. Und deshalb wurde der Vorschlag für die Umbenennung in „Berliner Vorstadt“ eingereicht. Dazu sollten die Straßenzüge namentlich kenntlich gemacht werden und nach Berliner Vorbild auch Hausnummern bekommen. Die erste Reihe mit Hausbebauung sollte Brunnenstraße, die zweite und dritte Reihe Ackerstraße, die vierte Reihe Bergstraße heißen, desweiteren noch Vorschläge für eine Chaussee-, Garten- und Invalidenstraße unterbreitet. Tatsächlich wurden alle Straßennamen so verliehen und bestehen nach dem Vorschlag des Kommissarius Ebell heute noch. Seine Anzeige unterschrieb er selbstsicher mit dem Ort des Absenders: Berliner Vorstadt, 28. Dezember 1800. Ob es Verdruss darob war, dass sich ausdehnende Wohnquartier offiziell „Rosenthaler Vorstadt“ zu benennen?
Auch wenn Gerhard Hauptmann in „Das Abenteuer meiner Jugend“ nicht mehr vom Voigtland schrieb, heißt es symptomatisch: Wir kamen im Rosenthaler Viertel unter. Es ist eine Gegend, die man kennen muss, um zu wissen, dass sie mit dem Westen Berlins nicht in einem Atem zu nennen ist. Der junge Student bezog im Herbst 1884 Quartier in der Kleinen Rosenthaler Straße 11, aber nur für kurze Zeit. Dann gab es eine neue Adresse: Erkner.
Die Zustandsbeschreibung aber blieb, galt in noch schärferen Maße für den Beginn des 20. Jahrhunderts.

Döblin und die 20er

Im Herbst 1927 stieg am Rosenthaler Platz ein Mann aus der Straßenbahn. Eine fiktive literarische Figur namens Franz Biberkopf, Hauptperson aus dem eingangs zitierten Roman von Alfred Döblin. Und wie gelangte er hierher: Mit der 41 in die Stadt. So erteilt uns die Überschrift des ersten Kapitels Auskunft.
Franz Biberkopf kam aus dem Gefängnis in Tegel, wo er vier Jahre wegen Totschlags an seiner Freundin einsaß, deren Zuhälter er zugleich war. Abgeholt hatte ihn keiner, und so fuhr er allein in seinen „Kiez“ zurück. Mit der Straßenbahn.
Heutzutage fahren – wie früher – nicht wenige Linien über den Platz, aber keine 41 mehr. Die Stadt wurde nach dem 2. Weltkrieg in Sektoren geteilt, seit 1961 auch sichtbar durch die Mauer. Das setzte nicht nur den Menschen, sondern auch dem öffentlichen Nahverkehr zu. 1967 verschwand die Straßenbahn im Westteil Berlins.
Er stieg unbeachtet wieder aus dem Wagen, war unter Menschen. (…) Man riß das Pflaster am Rosenthaler Platz auf, er ging zwischen den anderen auf Holzbohlen. Döblin montiert hier einen Hinweis hinein, den er aber nicht sofort erklärt. Der neugierige Leser kann sich darauf noch keinen Reim machen. Handelt es sich denn um die Verlegung neuer Abwasserrohre oder zieht die BEWAG Stromleitungen oder gar die Post Telephonstrippen? Weder noch.
Seiten später die Auflösung: Sieh mal an, die bauen Untergrundbahn, muß doch Arbeit geben in Berlin. Klar, die vier Abgänge zur U-Bahn lassen das sofort erkennen. An dieser unterirdischen Bahnlinie wurde schon vor dem 1. Weltkrieg geplant und gebaut, doch blieb die Vollendung im wahrsten Sinne des Wortes auf der Strecke.

Die erste U-Bahn fuhr seit 1902 vor allem als Hochbahn von der Station „Warschauer Brücke“ zur West-City in Charlottenburg. Im Vorfeld gab es heftiges Tauziehen um die Gunst der Stadtväter. Siemens & Halske auf der einen Seite, die AEG auf der anderen. Werner von Siemens hatte die besseren Karten. Dennoch ließen die Anstrengungen der AEG keineswegs nach, auch ihre ehrgeizigen Projekte durchzubringen.
Die damalige Zeit ließ sich vor allem für Schwebebahnen nach dem Vorbild der bis 1903 in Wuppertal erbauten begeistern. So kam es im September 1907 nach einer im Mai 1906 im Roten Rathaus gezeigten Ausstellung zum Aufbau von Probestrecken in Originalgröße in der Brunnenstraße, kurz vor dem Rosenthaler Platz. Drei Entwürfe von Alfred Grenander, Sepp Kaiser und Bruno Möhring zeigten im Vergleich durchweg Einzelstützen in Form von T-Trägern, da diese den geringsten Platzbedarf erforderten. 1913 mussten auf Weisung des Polizeipräsidenten diese ca. 100 m langen Tragkonstruktionen wieder abgerissen werden. Das Schwebebahn-Projekt war damit endgültig gestorben, denn es hatte nicht nur Feinde in Form der Hauseigentümer, die solch ein Ungetüm in den Straßen Berlins nicht wollten, sondern auch ästhetische.
Mit der Absicht, unter der Altstadt die gewachsenen Industrievorstädte Wedding und Neukölln erschließen zu können, plante die AEG seit 1907 eine kombinierte Hoch- und Untergrundbahn, deren Ausführung am 18. März 1912 in einem Vertrag mit der Stadt Berlin besiegelt wurde und für die Peter Behrens – seit 1907 künstlerischer Berater der AEG – die Entwürfe lieferte. Für das große Berliner Industrie-Unternehmen spielte diese Verkehrsanbindung eine entscheidende Rolle, da sie das Werksgelände unmittelbar tangierte.
Die Urkunde verpflichtete die AEG bis 30. September 1918 mit der Fertigstellung, die wiederum eine 1914 gegründete „AEG-Schnellbahn AG“ übernahm. Die Betriebsgenehmigung für die GN-Bahn, d.h. Gesundbrunnen-Neukölln-Bahn, galt für 90 Jahre, also bis 2008. Bei Nichterfüllung drohte eine saftige jährliche Strafe von 200.000 Mark. Daran war der AEG nicht gelegen. Der patriotische Taumel zu Beginn des 1. Weltkrieges ließ noch keine Rückschlüsse auf das militärische Fiasko zu. Doch war für die Schnellbahn AG ein baumäßiges bald zu erahnen, denn allerorts machte sich ein erheblicher Arbeitskräfte-Mangel bemerkbar. Die Strecke schnell auszuführen, berührte außerdem keine militärischen Interessen.
Im Oktober 1919 erfolgte die endgültige Einstellung der Arbeiten. Die AEG begründete dies gegenüber der Stadt mit den Weltkriegs-Ereignissen und der allgemeinen wirtschaftlichen Lage und musste dabei nicht einmal etwas an den Haaren herbeiziehen. Plötzlich wurde juristisch in die Hände gespuckt: Vertragsbruch! Das neue Groß-Berlin klagte. Und? Gewann natürlich, in einem Reichsgerichtsurteil vom 9. Januar 1923 bestätigt. Nach der Liquidation der „AEG-Schnellbahn AG“ im Jahre 1923 bekam Berlin dieses U-Bahn-Fragment, dessen Weiterbau die Stadt an die „Nordsüdbahn AG“ übertrug, die bereits die Verbindung von Wedding nach Neukölln, sprich Teile der heutigen U 6 in der Friedrichstraße und der U 7, gebaut hatte und deren Aktien sich bereits vollständig im Besitz der Stadt befanden. Und dadurch kam es auch zum Bau eines gemeinsamen Umsteigepunktes mit der GN-Bahn/U8 am Hermannplatz. Doch zurück zum aufgerissenen Rosenthaler.

Die Elektriche Nr. 68 fährt über den Rosenthaler Platz. (…) Die drei Berliner Verkehrsunternehmen, Straßenbahn, Hoch- und Untergrundbahn, Omnibus, bilden eine Tarifgemeinschaft. Am 1. Januar 1929 kam es dann schließlich zur Bildung der Berliner Verkehrs-Aktien-Gesellschaft, abgekürzt BVG, vor allem auf Betreiben des Sozialdemokraten Ernst Reuter, seines Zeichens Stadtrat. Der Fahrschein für Erwachsene kostet 20 Pfennig, der Schüler-Fahrschein 10 Pfennig. Dies galt nach dem 2. Weltkrieg auch weiterhin, im Ostteil sogar bis 1990.
Nachdem im südlichen Abschnitt schon Teilstrecken eröffnet waren, erfolgte die Inbetriebnahme des nördlichen Untergrundbahn-Bereiches von der „Neanderstraße“, der heutigen „Heinrich-Heine-Straße“, bis „Gesundbrunnen“ am 16. April 1930. Da lag das Werk von Döblin längst auf dem Buchmarkt vor und entwickelte sich zum großen Verkaufsschlager. Doch in Berlin und Deutschland nur bis 1933, denn nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten schlug für den jüdischen Sozialisten Döblin eine ganz andere Stunde. Dass Franz Biberkopf einmal ihre Zeitungen unter die Leute brachte, ist zu den Akten gelegt. Immerhin war der „Völkische Beobachter“ noch kein Staatsblatt und brachte dem Verkäufer auch Scherereien, denn er wurde eben deshalb von Kommunisten aus einer Kneipe in der Elsässer Straße hinausgeprügelt: Die Strafe beginnt. Derweil fuhr die U-Bahn unbekümmert weiter. Gegen Ende des Weltkrieges brach der U-Bahnverkehr zusammen, die Bahnsteige zum Schutzraum umfunktioniert. Am 16. Juni 1945 war die gesamte Strecke jedoch wieder zweigleisig befahrbar. Das blieb selbst nach der „Sicherung der Staatsgrenze“ am 13. August 1961 so. Nur das zwischen dem Kreuzberger „Moritzplatz“ und der Weddinger „Voltastraße“ kein einziger Zug mehr auf den Ost-Berliner Bahnsteigen hielt. Auf den neuen, ausschließlich den Ostteil zeigenden Stadtplänen aus dem VEB Tourist Verlag war die Linie gar nicht mehr eingetragen. Wozu auch. Doch nicht alle Spuren wurden restlos beseitigt, denn die Abgänge waren noch sichtbar, so wie die U-Bahn-Geräusche hörbar.
Nach dem Fall der Mauer kam am 22. Dezember 1989 der „Rosenthaler Platz“ als zweiter wieder eröffneter U-Bahnhof der Linie 8 auf den weihnachtlichen Gabentisch, da ja die Auf- und Abgänge nicht völlig beseitigt waren und sich das Zwischengeschoss für die Grenzkontrolle anbot. Gar mancher wird in seinem ungültigen DDR-Reisepass oder Personalausweis einen solchen Stempel haben.
Da mit dem 1. Juli 1990 das Geld schwerer wurde, musste ja etwas leichter werden: die Grenzkontrollen, diese rein äußerlichen Fossilien, fielen endgültig weg, weil die Währungsunion vollzogen war.

Man mischt sich unter die andern, da vergeht alles, dann merkst du nichts, Kerl. Wir wollen Döblins Biberkopf nicht vergessen. Gewimmel, welch Gewimmel. Wie sich das bewegte. Mein Brägen hat wohl kein Schmalz mehr, der ist wohl ganz ausgetrocknet. Nach vier Jahren Haft und Abgeschiedenheit ist der kräftige Straf-Entlassene von der Großstadt überfordert. Schreck fuhr in ihn, als … in einer kleinen Kneipe ein Mann und eine Frau dicht am Fenster saßen, die gossen sich Bier aus Seideln in den Hals, ja was war dabei, sie tranken eben, sie hatten Gabeln und stachen sich damit Fleischstücke in den Mund, dann zogen sie die Gabeln wieder heraus und bluteten nicht. Wenn der Hunger kommt hilft nur eins: den Magen füllen. Aber wo? Vom Süden kommt die Rosenthaler Straße auf den Platz. Wir hörten davon. Drüben gibt Aschinger den Leuten zu essen und Bier zu trinken, Konzert und Großbäckerei. Na bitte. Aber wer oder was ist Aschinger? Georg Grosz, ein Zeitgenosse Döblins, der auch eine ganze Menge zu Papier brachte, obwohl bildkünstlerisch, schrieb dazu in seiner Autobiographie: „Aschinger war eine Wohltat für hungrige Künstler. Man bestellte einen Teller Erbsensuppe, der kostete 30 Pfennig und war kein Teller sondern eine Terrine. Die Hauptsache aber war: man konnte dazu soviel Brot und Brötchen haben, wie man wollte. War der Brotkorb leer, so kam der Kellner von selbst und füllte nach (…) Was in unsere Taschen verschwand, wurde nicht beanstandet, man durfte es nur nicht so auffällig machen.“
Den Gebrüdern Aschinger aus dem Württembergischen gelang es in Berlin, aus ihren Schnell-Imbissen und Stehbierhallen das erste Gaststätten-Imperium zu formen. Die Filialen waren über die ganze Metropole verteilt. Heute stehen wir hier etwas verloren da, denn Aschinger gibt es nicht mehr am Platz. Wo könnte denn der Schnell-Imbiss nur gewesen sein? Lässt jemand seinen Blick eine Runde um den Platz schweifen, so bleibt er unweigerlich bei einer ganz modernen Fast-Food-Kette hängen: Burger King. Und es ist tatsächlich kein Witz, in diesem Gebäude befand sich Aschinger. Das kommt mitunter vor: bestimmte Orte im Ostteil Berlins werden seit dem Fall der Mauer wieder von ihrer Geschichte eingeholt.
1895 erwarb ein Gastwirt Aschinger in der Rosenthaler Straße das Haus mit der letzten Nummer 72a von einem Herrn Halliger, der dort eine „Destillation“ hatte. Die Besetzung der Haus- und vor allem Platzecken mit Kneipen oder Gastronomien war für Berlin typisch. Ein Jahr später sind die beiden Brüder, August und Carl Aschinger, eingetragene Besitzer des Gebäudes. Sie lassen es im darauf folgenden Jahr abreißen und eröffnen im Neubau 1898 ihre „9. Bierquelle“. Nicht nur die schmackhafte Erbsensuppe mit den dazugegebenen Brötchen ist ein Segen für die Gäste. Es wird gern erzählt, dass die Biertrinker ebenfalls kostenlos einen Korb mit solcherlei Backwaren bekamen, Hauptsache sie hatten das Bier. Der Vorschlag für die „Schrippenspeisung“ kam vom Bruder Carl. Er starb 1909, sein Bruder August 49-jährig 1911. Das Familiengrab befindet sich übrigens auf dem „Friedhof der Luisengemeinde“ am Fürstenbrunner Weg, nördlich vom Klinikum Charlottenburg.
Doch damit starb das Unternehmen noch lange nicht. Im Gegenteil. Es gelang sogar der Aufstieg in höhere Sphären der Gastronomie. Die Bewirtung erfolgte nun auch am Leipziger und Potsdamer Platz im Hotel „Fürstenhof“ oder „Weinhaus Rheingold“, im „Kaiserhof“ am nicht mehr vorhandenen Wilhelmplatz oder in der Gaststätte am Funkturm.
Doch stürtzte die Familienfirma durch die weltkriegerische Endphase des „Dritten Reiches“ ab. Davon hat sie sich nicht erholen können. In Ostberlin wurde rigoros enteignet, im Westteil versuchte es ein Nachfolge-Unternehmen bis 1976. Das heutige Aschinger am Kurfürstendamm hat mit dem alten nur noch den Namen gemein. Die 87jährige Schwiegertochter von Carl, Anneliese Aschinger, ging 1991 juristisch dagegen an. Zwei Jahre später verstarb auch sie. Legenden, wie Aschinger, leben länger.
Übrigens gab es zu Biberkopfs Zeiten noch eine weitere Adresse von Aschinger am Rosenthaler Platz, wenn auch nur kurz: Brunnenstraße 197/198 Ecke Elsasser Straße 1/2. In diesem Eckhaus gab es von 1926 bis 1932 die 9. Konditorei des Familienbetriebes.

Foto-Geschichte

(…) es lachte, wartete auf der Schutzinsel gegenüber Aschinger zu zweit oder zu dritt, rauchte Zigaretten, blätterte in Zeitungen. Ach ja, das wär’s jetzt! Aber die EU-Gesundheitsminister warnen. Dann vielleicht doch lieber eine Zeitung?
Der Rosenthaler Platz war jedenfalls auch Filialsitz zweier bekannter Zigarrenfirmen.
1866 firmierte in der Alexanderstraße 03 eine Tabakshandlung von „Loeser & Wolff“, die im Jahre zuvor von Bernhard Loeser zusammen mit Carl Wolff gegründet wurde. Auf dem 1888 gemachten Photo vom „Hof-Photographen Seiner Königlichen Majestät des Prinzen Karl von Preußen“, F. Albert Schwartz, sehen wir hinter das Eckhaus mit großen Lettern versehen, „Loeser & Wolff, Cigarren-Fabrikanten“. Die Adresse: „Brunnenstraße 1, N“. Hinter dem Komma steht der Postbezirk.
Der Hauptsitz der Firma befand sich seit 1867 in der „Alexanderstr. 1, C“. Niederlassungen gab es reichlich über die Stadt verteilt, 1901 immerhin schon 66 Tabakwarengeschäfte. Auf vielen älteren Berlin-Photographien tauchen gut lesbare Hinweise auf.

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Ein anderes Photo von Schwartz aus der Zeit um 1865 lässt mit dem Schriftzug der „Cigarren-Fabrikation“ den Schluß zu, es könnte sich um die von „Loeser & Wolff“ handeln. Doch der Blick ins Berliner Adressbuch belehrt uns eines anderen. 1865 war der Besitzer des Grundstückes Brunnenstraße 1 ein Herr „Windpfennig, Kaufm. Eo“, d.h. er wohnte selbst nicht im Haus. Das änderte sich ein Jahr später. Zu seinen Mietern gehörte nun ein Herr „Peirels, Cigarrenfabrikant“, im Berliner Adressbuch auch unter der Rubrik Tabakshandlungen in der Brunnenstraße 1 zu finden. Ein Jahr zuvor tauchte ein Mann namens Peirels noch nicht auf.
1873 gab es keinen Peirels mehr, weder als Mieter noch als Fabrikant, dafür jedoch einen neuen Vermieter, den Schlächter Leucht, der als Eigentümer unter dieser Adresse vermerkt wurde. Plötzlich taucht auch ein neuer Fabrikanten auf, A. Cohn. Natürlich für Cigarren. Er führte hier wie sein Vorgänger eine Tabakshandlung.
Der Schlächter Leucht blieb Besitzer des Hauses, das 1881 immerhin schon seine dritte Tabakshandlung sah: Keine geringere als die von „Loeser & Wolff, Cigarren- u. Tabaksfabrikanten, Importeure echter Havanna, Cuba u. Manilla-Cigarren“. Unter den Kommanditen, den Zweiggeschäften nämlich, befand sich nun auch die Adresse Brunnenstraße 1.
Die alte Eckbebauung mit der Dependance des Unternehmens stand nicht mehr lange, denn als 1905 Max Missmann, ein weiterer bekannter Photograph, seine Kamera am Platz aufstellte und von etwas weiter westlich seine Aufnahme mit Blick nach Norden machte, stand schon der fünfgeschossige Neubau. „Loeser & Wolff“ empfingen ihre Kundschaft aber weiterhin an der Ecke im Erdgeschoss. In einer Anzeige aus dem Jahre 1914 warb die Firma mit 120 eigenen Verkaufsgeschäften in Groß-Berlin. Fabriken gab es in „Elbing, Braunsberg, Marienburg und Pr. Stargard“.
Wie bei Aschinger erlebte auch Bernhard Loeser die große Blüte seiner Firma nicht mehr. Der 1835 in Quedlingburg Geborene starb am 2. Mai 1901 in Berlin. Er liegt auf dem Jüdischen Friedhof in Weißensee begraben.

Missmann hielt auch die Bebauung Weinbergsweg/Lothringer Straße fest, die übrigens schon vor 1888 stand: Auf dem Bild von Schwartz ist sie angeschnitten zu erkennen. Deutlich die Außenwerbung: „Carl Martienzen, Tabak, Cigarren“. Die Konkurrenz.
Im Jahre 1865 stand – im Unterschied zu „Loeser & Wolff“ – jener Martienzen schon unter der Adressbuch-Rubrik Tabaksfabrikanten und nicht nur der entsprechenden Handlungen. Aber auch er hat mal klein angefangen: 1856 als Tabakhandlung in der Holzmarktstraße 40. Dort wurde später reichlich für das eigene Geschäft produziert. Ab 1867 heißt der neue Stammsitz Weberstraße 5, nahe der Großen Frankfurter Straße. Im Berliner Adressbuch von 1893 ist unter der Lothringer Straße 51, der letzten Hausnummer auf der Nordseite vor der Straßenkreuzung am Rosenthaler Platz, ein Filiale von Carl Martienzen verzeichnet. 1915 wirbt er noch fleißig von seinem Stammsitz aus, dem Kontor- und Hauptlager in der „Magazinstraße 6/7, O 27“. Dann verliert sich die Spur in Berlin. Erst 1928 taucht der Name wieder werbemäßig auf, doch handelt es sich nicht mehr um eine Zigarren-Fabrik, sondern einen Zigarren-Großhandel: „Martienzen & Co, Zigarren GmbH, Koppenstraße 94, Postbezirk O 17“. 1936 sind sie wieder in der Weberstraße 5. Bis zum Ende des 2. Weltkrieges hatte sich das Unternehmen Martienzen gehalten. Das jüdische Unternehmen „Loeser & Wolff“ steht 1940 das letzte Mal im Berliner Adressbuch.
Fast ist auf der Photographie von 1905 das Apotheken-Hinweisschild am rechten Straßenrand zu übersehen. Das gelingt heute nicht mehr: die Germania-Apotheke belegt das gesamte Erdgeschoss. Germania. So sollte die Stadt Berlin ab 1950 nach ihrem Umbau und der Fertigstellung der Nord-Süd-Achse durch die Nationalsozialisten heißen. Germania ist die lateinische Bezeichnung für Deutschland, als Frauengestalt aber auch Sinnbild für dieses Land.
In der Lothringer Straße 50 war 1889 ein Apotheker Riedel Eigentümer des Hauses und der „Apotheke zur Germania“. In den 20er Jahren heißt sie dann nur noch „Germania-Apotheke“, dieselbe Adresse, nur der Postbezirk wurde konkretisiert: N 54. Dann zog sie ins Eckhaus, wo sie noch immer Medikament-Bedürftige empfängt. Eine lange Tradition. Die längste Kontinuität am Platz.
Von kurzer Dauer war eine ganz andere Geschäftstüchtigkeit im Haus. Die Missmann’sche Aufnahme hält das Werbeschild für eine „Billard-Fabrik“ fest. Der Name ist nicht zu lesen. Der steht seit 1904 im Adressbuch: „Schmidt & Gohlke, Inh. G. Golke (der hier auch zur Miete wohnt), Lothringer Straße 51, N 54; Permanente Ausstellung aller Arten Billards. Anerkannt billige Bezugsquelle, speziell für Wiederverkäufer“. 1905: „Eig. Fabrikate v. 160 M an“. Schließlich 1914: „Großes Lag. in Billards aller Art. Pneum. selbsttätige Tischbillards. Solide Ausführ. Anerk. bill. Preise“. Die Firma begann 1898 in der Kastanienallee 74, zog 1914 in die Rosenthaler Straße 11/12 und gab schließlich am Ende des I. Weltkrieges auf. 1922 existierten in Berlin nur noch ganze drei Billardfabriken. Schlechte Zeiten. Doch nicht zum Spielen. Kleine Kneipe am Rosenthaler Platz. Vorn spielen sie Billard, hinten in einer Ecke qualmen zwei Männer und trinken Tee. Der eine hat ein schlaffes Gesicht und graues Haar, er sitzt in der Pelerine: „Nun schießen Se los. Aber sitzen Se still, zappeln Se nicht so.“ – „Mich kriegen Sie heute nicht ans Billard. Ich hab keine sichere Hand.“ Er kaut an einer trockenen Semmel, berührt den Tee nicht. „Sollen Sie gar nicht. Wir sitzen hier gut.“
Pelerine. Ein weiter, ärmelloser Umhang. Schützt vor Regen.
Nach zwei Tagen ist es wärmer, Franz hat seinen Mantel verkauft, trägt dicke Unterwäsche, die Lina noch von irgendwoher hat, steht am Rosenthaler Platz vor Fabischs Konfektion, Fabisch & Co., feine Herrenschneiderei nach Maß, gediegene Verarbeitung und niedrige Preise sind die Merkmale unserer Erzeugnisse. Franz schreit Schlipshalter aus (…).

Schauen wir noch ein letztes Mal auf das Photo von Max Missmann. Auf dem in der Mitte abgebildeten Eckhaus Brunnenstraße/Weinbergsweg fällt mit großen Buchstaben „B. Feder“ auf. „Credit-Haus“ steht zwischen dem Werbe-Metallrahmen auf dem Dach geschrieben, an der Fassade „Alles gegen Teilzahlung“ und „Moebel Waaren Ausstellungs-Haus“, das über alle Etagen ging. 1893 existierte schon unter der Adresse Brunnenstraße 1 ein „Waren- u. Möbel-Kredit-Geschäft“ von „Berthold Feder & Conrad Wachsmann“. 1896 ist letzterer alleiniger Inhaber, 1905, zum Zeitpunkt der Aufnahme, ist es schon ein Auswärtiger, Max Heilbrun, aus Sondershausen in Thüringen. Geschäfte, die gut laufen, expandieren, das liegt in der Natur der Sache. 1927 nutzt das Unternehmen auch Bereiche des Nachbargebäudes „Brunnenstraße 2“. Und auf der anderen Seite, gleichsam am Ende der Brunnenstraßen-Numerierung, gibt es in der Nr. 197/198 sogar ein Konfektionskredithaus B. Feder. Figuren standen in den Schaufenstern in Anzügen, Mänteln, mit Röcken, mit Strümpfen und Schuhen. Draußen bewegte sich alles, aber – dahinter – war nichts!
Das Möbelhaus überlebte im Altbau, der im Krieg nicht restlos zerstört wurde. Zu DDR-Zeiten hat es diesbezüglich eine Fortführung gegeben, unter volkseigenen Kriterien. Als die „Wende“ vorbei war, schloss der „An- & Verkauf“, sozusagen ein „Second-Hand-Laden“ für Möbel, von wo aus preiswert so manches gute alte Stück in neue Stuben kam. Nichts war verschmäht. Der 1989 wieder zugänglich gemachte U-Bahnhof verriet einen letzten Hinweis: „Weinbergsweg ==> Zum HO Möbelhaus“. Das gehörte also auch zur Handelsorganisation „HO“. Die gab’s auch anstatt „Aschinger“ schräg gegenüber: als HO-Gaststätte. Als die Mauer noch nicht stand, wurde an die Adresse Berlin-West gewandt vergeblich am Potsdamer Platz geworben: Der kluge Berliner kauft bei der HO. Wenn’s was zu kaufen gab. Werbe-Spott.
Das Gebäude fiel 1998 dem Abriss zwecks Neubebauung zum Opfer; es war zugleich der erste Altbau direkt am Rosenthaler Platz. Somit ist er neben „Loeser & Wolff“, „B. Feder“ oder dem HO Möbelhaus längst Geschichte. Die hat eine Frau auf ganz anderem Gebiet gemacht. Ihre Filiale zog vorsorglich ins Nachbarhaus. Nach Geschäftsschluss sind die Schaufenster durch massive Rolläden geschützt, stärker und offensichtlicher als bei jeder Bank. Aber hier sollen auch keine Begehrlichkeiten mehr geweckt werden, denn mit weithin lesbaren Lettern steht „Beate Uhse“ geschrieben. Und was stand bei Döblin?
Ein junges Mädchen steigt aus der 99, … Es ist 8 Uhr abends, sie hat eine Notenmappe unterm Arm, den Krimmerkragen hat sie hoch ins Gesicht geschlagen, die Ecke Brunnenstraße-Weinbergsweg wandert sie hin und her. Ein Mann im Pelz spricht sie an, sie fährt zusammen, geht rasch auf die andere Seite. Sie steht unter der hohen Laterne, beobachtet die Ecke drüben. Ein älterer kleiner Herr mit Hornbrille erscheint drüben, sie ist sofort bei ihm. Sie geht kichernd neben ihm. Sie ziehen die Brunnenstraße rauf. (…) „Sagen Sie nicht Tuntchen zu mir. Das habe ich Ihnen nur gesagt, damit – so nebenbei. Wo laufen wir denn heute hin. Ich muß um neun zu Hause sein.“ – „Hier oben. Sind schon da. Wohnt ein Freund von mir. Wir können ungeniert rauf.“ – „Ich fürcht mich. Sieht uns auch keiner? Gehen Sie vor. Ich komm allein nach.“ Oben lächeln sie sich an. Sie steht in der Ecke. Er hat Mantel und Hut abgelegt, sie lässt sich von ihm Notenmappe und Hut abnehmen. Dann läuft sie zur Tür, knipst das Licht aus: „Aber heut nicht lange, ich hab so wenig Zeit, ich muss nach Hause, ich zieh mich nicht aus, Sie tun mir nicht weh.“

Die Menschen sind in dieser Beziehung offener geworden, obwohl es so etwas noch geben soll. Trieb hat sie getrieben, sang einst eine DDR-Rockband. Wie zu allen Zeiten.

Falls nun der scheibchenweise zitierte Roman „Berlin Alexanderplatz“ von Döblin Lust auf mehr gemacht haben sollte, dem sei die Buchhandlung wärmstens empfohlen, die es seit der Nachkriegszeit am Platz gibt.

Dank an die Buchhandlung Starick für die Erlaubnis zur Dokumentation!

Der Autor
Ralph Hoppe, geb. 1962, studierte Kunstwissenschaften in Berlin und arbeitet seit 1990 als Stadtführer und Reiseleiter für „StattReisen Berlin“.

Abbildungsnachweis

Albert Schwartz – Das Rosenthaler Tor, 1865, Landesarchiv Berlin
Albert Schwartz – Rosenthaler Platz, 1888, Landesarchiv Berlin
Max Missmann – Rosenthaler Platz, 1905, Stadtmuseum Berlin (Landesmuseum für Kultur und Geschichte Berlins)

Literaturnachweis
Zitate aus: Alfred Döblin „Berlin Alexanderplatz – Die Geschichte von Franz Biberkopf“, dtv München, 29. Auflage September 1990

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  1. nach: H. Knoblauch – Herr Moses in Berlin, Morgenbuch Berlin, 1993 []
  2. nach: L. Demps – Pariser Platz, Henschel Verlag, 1994 []
  3. nach: Geist/Kürvers – Das Berliner Mietshaus 1740-1862, München 1980 []

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