Trauriger Liberaler

Manchmal ist es schon schade, dass ich die Identität mancher Fahrgäste in meinen Berichten nicht preisgeben darf. Aber wenigstens so viel sei gesagt: Er hat eine wichtige Position in der Bundes-FDP.
Kaum war er in mein Taxi gestiegen und hatte mein »Guten Tag« gehört, stöhnte er auf. Was im Moment noch gut sei, an diesen Tagen. Er erklärte mir, wer er sei und dass es für ihn derzeit kaum gute Tage gäbe. Seit der desaströsen Wahlniederlage in Baden-Württemberg hat er das Gefühl, dass alles um ihn herum zusammenbrechen würde.

Ein bisschen versuchte ich, ihn zu trösten und brachte den Spruch an, dass in Zusammenbrüchen ja auch die Chance auf etwas Neues liegt.
»Da haben Sie recht!«, sagte er. »Wenn dieser unselige Westerwelle endlich weg wäre, dann könnten wir wieder versuchen, etwas aufzubauen. Aber solange er an seinen Posten klebt, nimmt uns doch niemand ernst.« Er müsste weg, sofort. Und zwar nicht nur als Parteichef, sondern auch als Außenminister und Vizekanzler. Er könne nichts davon, produziere nur heiße Luft, sei völlig unglaubwürdig und ziehe die ganze Partei mit hinunter.
Ich konterte: »Da haben Sie zwar recht, aber das konnte man auch vorher wissen, oder? Warum haben Sie ihn überhaupt so weit hoch kommen lassen?«

»Das war einer unserer größten Fehler, das stimmt. Andererseits gab es auch keine gute Alternative. Die einen waren zu sehr Vergangenheit, die anderen noch zu unerfahren. Heute würde das anders aussehen, mit Lindner und Rösler gibt es ein paar fähige Leute.«
»Und warum nicht Leutheusser-Schnarrenberger?«
»Um Gottes Willen! Warum nicht gleich Lafontaine? Nein, die rote Socke geht nun wirklich nicht.«
Bis zu diesem Moment hatte ich sogar etwas Sympathie für den Mann, vielleicht aus Mitleid. Doch dieser Spruch klärte das Verhältnis wieder.
»Vielleicht ist dies das Problem Ihrer Partei, dass Sie so auf Konfrontation aus ist. Dabei sind Sie der Linkspartei ganz ähnlich. Und bei einer unsozialen Politik kann man nicht erwarten, dass die Wählerzahlen steigen.«
»Man kann es eben nicht allen recht machen.«
Ich fand es interessant, dass er das Unsoziale gar nicht abstritt.

»Sie sind sicher kein FDP-Wähler?«, stellte er ganz richtig fest.
»Nein, denn ich denke, Leistung muss sich wieder lohnen.« Es machte mir Freude, diesen FDP-Spruch für meine Zwecke anwenden zu können. »Solange Taxifahrer, Putzfrauen oder Krankenschwestern von ihrer Arbeit nicht leben können, ist das System nicht gerecht.«
»Das haben Sie sicher recht«, meinte mein Fahrgast, als wir an seinem Wohnhaus angekommen waren. Was er damit meinte, war mir aber nicht klar.

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2 Kommentare

  1. Ich erinnere mich noch ganz genau an den Kulminationspunkt des Niedergangs der FDP: Das war der Spruch von der „Partei der Besserverdienenden“ im Jahre 1994. Von da an ging es bergab!
    Tja, der damalige FDP-Generalsekretär war eben nicht waffenkundig. Er wollte eine Keule in Richtung Scharping werfen und hat nicht gemerkt, daß es ein Bumerang ist.

  2. Einst stand die FDP für Bürgerrechte, die heute fast nur noch von Leutheusser-Schnarrenberger verteidigt werden. Wenn das als rot bezeichnet wird, zeigt das, wohin die Reise dieser Partei geht.

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