Mauerstadt

Es kommt öfter vor, dass ich Fahrgäste habe, die von mir wissen wollen, wo die Mauer durch Berlin verlief. Normalerweise sind das Touristen aus dem Ausland, oft aus Südeuropa oder Amerika. Da sie meist sowieso in dweer Innenstadt einsteigen, sind wir dann in wenigen Minuten da. Ich zeige ihnen die doppelte Steinreihe auf der Straße, die den Verlauf der damaligen Außenmauer beschreibt. Gut zu sehen ist das direkt auf dem Potsdamer Platz, der den Vorteil hat, dass es hier – etwas versteckt – sogar noch einen alten Wachturm gibt. Wir fahren dann in die Zimmerstraße, die damals in voller Breite als Grenzstreifen diente, an der Ecke zur Friedrichstraße können sie sogar große Fotos davon sehen.

Wenn meine Fahrgäste interessiert sind, geht die Fahrt noch zur Kommandanten- und Stallschreiberstraße. An kaum einem anderen innerstädtischen Ort ist der Verkauf der Grenze so gut nachzuvollziehen wie hier. Die Mauerbauer haben ganze Blöcke abgerissen und dort an der Grenze zwischen Mitte und Kreuzberg liegen die meisten Grundstücke noch brach. Ähnlich anschaulich ist es eigentlich nur noch an der Bernauer Straße zu sehen.

Vor Kurzem hatte ich wieder mal Fahrgäste, die den Verlauf der alten Mauer sehen wollten. Aber nicht „die“ Mauer, sondern die aus dem 18. Jahrhundert. Es waren zugereiste Berliner, die mehr erfahren wollten als das reine Touristenwissen. Da waren sie bei mir an der richtigen Adresse!
Also brachte ich sie an all die Orte, die sie zwar schon kannten, aber von denen sie gar nicht wussten, dass sie einst zur Stadtbegrenzung gehörten.
Natürlich hatten sie schon davon gehört, dass die Namen Hallesches, Kottbusser oder Schlesisches Tor noch von der Befestigung stammten, die zwischen 1733 und 1736 errichtet worden war. Akzisemauer hieß die, weil sie u.a. der Sicherung von Steuereinnahmen diente. Doch schon die Bedeutung des Namens Wassertorplatz war ihnen nicht mehr klar. Hier führte einst der Luisenstädtische Kanal entlang und tatsächlich gab es auch dort ein Tor.
Das Brandenburger Tor kennt natürlich jeder, aber auf dem Weg dorthin konnte ich ihnen zeigen, wie diese Stadtmauer einst aussah. Mitten auf der Stresemannstraße steht ein Nachbau davon. Und das letzte original erhaltene Stück in der Hannoverschen Straße mussten sie unbedingt persönlich berühren. Hier durfte der Neubau nur errichtet werden, wein die Mauer ins Haus integriert wurde. Während wir die Torstraße entlang fuhren, fiel ihnen der Straßenname von allein auf, ich sagte ihnen noch, dass auch die Linienstraße ihren Namen der Mauer verdankt. An der Ecke Tor- zur Kleinen Hamburger Straße machte ich sie auf den merkwürdigen Verlauf der südlichen Häuserfront aufmerksam. Hier verliefen die Grundstücksgrenzen nicht gerade, sondern etwas eingerückt, weil sie das Hamburger Tor umfassen mussten. Längst stehen dort Neubauten, aber die Grundstücke verlaufen noch immer so wie damals.

Rosenthaler Tor, das einzige, an dem auch Juden die Stadt betreten durften, nordöstlich davon gab es Weinberge, nur noch ein Straßenname erinnert heute daran. Vor dem Prenzlauer Tor standen Windmühlen, die letzten verschwanden mit dem Abriss der Stadtmauer um 1867, als James Hobrecht seinen Plan für die breite Besiedlung des Nordens umsetzte.
In Friedrichshain erinnert wenig an die Akzisemauer, die hier entlang der Frieden- und Marchlewskistraße verlief. „Hier gab es das Frankfurter Tor!“, meinte einer der Fahrgäste, der gleich um die Ecke wohnt. Aber ich musste ihn enttäuschen, denn das was heute so heißt, lag damals schon außerhalb. Ein Stadttor gab es dort nicht.
Die Mauer umfasste im östlichen Berlin noch große Felder. Erst an der heutigen Warschauer Brücke und dem Stralauer Tor gab es wieder Besiedlung. Und dann natürlich hinter der Oberbaumbrücke. „Das ist der schönste Rest der Stadtmauer, und dabei so gut erhalten!“. Leider musste ich ihn wieder korrigieren. Als die Stadtmauer abgerissen wurde, gab es dort zwar schon eine Brücke, jedoch keine Hochbahn. Der imposante Backsteinbau mit seinen zwei Türmen wurde erst für die U-Bahn gebaut, 35 Jahre später.

An unserem Ziel angelangt fragte er mich nach der Waisenstraße, dort steht ja auch noch ein altes Stück Mauer. Dies ist aber noch aus dem Mittelalter, etwa dem 13. Jahrhundert. Danach entstanden erst die breiten Befestigungsanlagen, an die noch heute manch merkwürdig krummer Straßenverlauf erinnert, wie in der Neuen Schönhauser, der Neuen Jakobstraße oder am Hausvogteiplatz. Hier verlaufen nicht umsonst die Ober- und die Niederwallstraße.
Berlin ist also wirklich eine Mauerstadt. Die von 1961 war aber hoffentlich die letzte.

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5 Kommentare

  1. Ein wichtiger Zweck der Akzisemauer war es auch, Desertionen zu verhindern.
    Zur Akzisemauer gehörten auch die „Spreetore“ Unterbaum und Oberbaum, bei denen ankommende Fluss-Schiffer ihre Abgaben entrichten mussten und die nächtens mit einem im Fluss liegenden Baum abgesperrt wurde, damit kein Schiff ungeschröpft in die Stadt fahren konnte.

  2. @ Tom: ja genau! und die „Unterbaumbrücke“, also das Gegenstück zur „Oberbaumbrücke“ hat man in BRD-Tradition natürlich in „Kronprinzenbrücke“ umbenannt. auch bezeichnend…

  3. > die »Unterbaumbrücke« … hat man in
    > BRD-Tradition natürlich in
    > »Kronprinzenbrücke« umbenannt.

    Nö, hat man nicht, aber den Kapitalisten ist natürlich jede Schweinerei zuzutrauen. Leider gibt’s keinen Schwarzen Kanal mehr, der uns aufklärt, auch bezeichnend…

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