Kein Anzug

Zum letzten Mal habe ich zur Erst­kommunion einen Anzug getragen. Das ist schon ein paar Jahrzehnte her und ich habe es nie vermisst. Anzüge waren für mich immer Feindesland, spießig, Angepasstheit. Sie waren wie mein Vater, damit wollte ich nichts mehr zu tun haben. Und es ging ja auch immer ohne. T-Shirts, Pullover, Jacken, auch mal ein sogenanntes Holzfällerhemd – aber wozu brauche ich ein Hemd mit Krawatte?

Vor einigen Jahren stand ich nachts mit dem Taxi oft am Hotel Adlon, der Festung zur Verteidigung des Anzugtragens schlechthin. Einige Male fuhr ich den damaligen Chef des Hotels nach Hause und kam natürlich mit ihm ins Gespräch. Meine Einstellung zum Thema Dienstleistungsbewusstsein gefiel ihm, er hatte mich vorher unbemerkt getestet und irgendwann bot er mir einen Job im Hotel an. Mit sowas hätte ich natürlich nie gerechnet, aber er meinte, dass er nicht immer die üblichen Wege geht. Es war eine sehr warme Sommernacht, ich saß mit halblanger Hose und T-Shirt  im Auto. „Natürlich müssen Sie dann einen ordentlichen Anzug tragen.“ Ich weiß noch, wie ich hin- und hergerissen war. Adlon, das bedeutete das dreifache Gehalt. Dagegen stand die Verkleidung. Ich hatte es mir als Jugendlicher erkämpft, mich von gesellschaftlichen Konventionen zu befreien, ich wollte für immer selbstbestimmt meine Entscheidungen treffen, egal welche Erwartungen von außen an mich gestellt werden. Die Ablehnung von Anzügen stand da immer weit vorn und so habe ich das gute Angebot ausgeschlagen. So habe ich es ihm erklärt und war etwas überrascht, dass er das sehr gut verstehen konnte. Er sagte auch, dass er mich für diese Entscheidung respektiert, obwohl ich dafür auf viel Geld verzichte. Trotzdem gab er mir noch seine Visitenkarte, ich habe ihn jedoch nie angerufen.

Ein Freund erklärte mir, dass er Anzüge einfach als Arbeitsklamotten sieht, ähnlich wie die Schutzkleidung von Feuerwehrleuten. Theoretisch kann ich das auch nachvollziehen, aber mein Gefühl sagt Nein. Ich würde mich darin wohl wie ein Pinguin vorkommen, verkleidet und unecht. Und wahrscheinlich würde mir das auch jeder ansehen.
Also bleibe ich wie ich bin, wenigstens noch ein bisschen konsequent. Und ein Bügeleisen brauche ich bis ans Ende meiner Tage nicht.

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4 Kommentare

  1. Ach, wie kann ich das nachvollziehen :)

    OK, ich bin auch schon mit Hemd und edler Hose ganz mies für Banken tätig gewesen – aber als mir einmal das Fehlen der Krawatte schlecht ausgelegt wurde, war für mich Schluss.

    Ich hab mir Zivibullen-Vorwürfe im schwarzen Block anhören dürfen, weil ich lieber Hemden als T-Shirts trage – und gleichermaßen bin ich definitiv zu légère unterwegs, wenn man die Spitze unserer Gesellschaft fragt.

    Anzug würde ich höchstens tragen, wenn es einer mir wirklich bedeutenden Person wichtig ist. Ebenso wie alle anderen Uniformen. Ob das nun Lederkutten bei Punks oder Anzüge bei Geschäftsdinners sind!

  2. Und wahrscheinlich würde mir das auch jeder ansehen.
    Kann ich gut nachvollziehen. Die zwei, dreimal in meinem Leben, an denen ich mich verkleidet habe, haben mich alle anderen auch so komisch angekuckt. ;-)

  3. Jemand der T-Shirts, Holzfällerhemden und Jeans trägt ist kein Spiesser? Jemand der Anzug oder Krawatte schön findet ist ein Spiesser? Ist das nicht etwas einfach ? Da könnte ich genauso die Jeans, T-Shirts und Schlapperpullis als Scenenuniform betrachten.

  4. @Paule
    Kann schon sein. Außerdem hab ich nicht geschrieben, dass T-Shirts nicht spießig sind.
    Ich gehe natürlich von mir aus und meinen Erfahrungen und da sehe ich es eben so. Bin ja schließlich kein Objektiv, wa.

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