Nachts am Adlon

Bei gutem Wetter ist der Pari­ser Platz auch am späten Abend noch gut besucht. Auffäl­lig viele junge Touris­ten bevöl­kern die Bänke, sie haben gute Laune, eine Flasche kreist. Sie foto­gra­fie­ren sich gegen­sei­tig mit dem Bran­den­bur­ger Tor im Hinter­grund. Es ist halt eines der belieb­tes­ten Motive in Berlin. Andere stel­len ihre Kamera auf den Boden, rennen dann nach vorn und hoffen, dass der Selbst­aus­lö­ser funk­tio­niert. Und dass niemand das Gerät klaut oder mit dem Auto drüber fährt. Und stän­dig versu­chen welche, das Tor vom Boden aus zu foto­gra­fie­ren. Dazu hocken sie sich weiter nach unten und legen sich fast auf die Straße, was ziem­lich albern aussieht.
Fami­lien schlen­dern über den Platz, auch sie mit dem obli­ga­to­ri­schen Foto­handy oder der Kamera in der Hand. Die Spra­chen verra­ten ihre Herkunft: Spanien, Span­dau, Schwe­den, China, Chile, Chiem­gau, es ist alles vertre­ten. Die vielen Radfah­rer rasen rück­sichts­los durch die Menge und klin­geln die Passan­ten aus dem Weg.

Aus der fran­zö­si­schen Botschaft, aus einem der Bank­ge­bäude oder vom Spie­gel-Haupt­stadt­büro kommen auch um Mitter­nacht noch Ange­stellte, die sich müde ins Taxi fallen lassen: Nach Hause! Die ande­ren Taxi­fah­rer stehen neben ihren Autos, reden über’s Geschäft, über kurze Fahr­ten nach langem Warten und darüber, dass früher alles besser war.
Während hinten die Poli­zei vor der US-Botschaft aufpasst, dass ja kein Terro­rist zu nahe kommt, sitzen vor dem Restau­rant des Hotels Adlon noch zwei alte Pärchen und genie­ßen die späte Mahl­zeit. Der hübsche, junge Kell­ner hat nicht viel zu tun, er kontrol­liert die Tische und werkelt an den Kerzen herum, die sein blon­des Haar flackern lassen.

Als ich das erste Mal am Adlon stand, damals 1994 mit meinem Freund noch auf dem Gerüst des Rohbaus, war die Pracht des Hotels nicht mal zu erah­nen. Heute aber streckt das Haus seinen roten Balda­chin über den brei­ten Gehweg vor bis zur Straße. Dort empfängt er die ankom­men­den Gäste, die aus dem Taxi oder ande­ren Autos stei­gen, einge­rahmt von vollen Baum­kro­nen. In Wirk­lich­keit werden sie vom Door­man empfan­gen, von denen es hier sehr verschie­dene gibt. Mit den meis­ten kommen wir Taxi­fah­rer gut klar, sie kommen nachts auch mal auf ein Schwätz­chen zum Wagen, manch­mal wech­seln sie bei uns ihr Trink­geld in Scheine.

Nur einer ist wirk­lich unbe­liebt, er ist erst einige Monate dort und man sieht ihm schon an, dass er sich für etwas Besse­res hält. So kommt es immer wieder mal vor, dass er nicht den ersten Wagen aus der Reihe heran­winkt, wenn ein Kunde ein Taxi braucht, sondern einen von weiter hinten. Es sollte schon ein Merce­des sein, schmut­zi­gen Stel­len an der Karrosse werden nicht akzep­tiert, egal bei welchem Wetter. Dabei geht es etwa nicht nur darum, wirk­lich dreckige Autos außen vor zu lassen, seine Krite­rien sind härter. Spricht man ihn darauf an, bekommt man die ganze hoch­nä­sige Arro­ganz an den Kopf gewor­fen, die er zu bieten hat. Den Hotel­gäs­ten gegen­über gibt er den perfek­ten Concierge, doch bei den nied­ri­gen Taxi­fah­rern wird er zum Herren­men­schen.
Manch­mal ist die nächt­li­che Stille am Adlon doch nicht ganz so roman­tisch, wie die Touris­ten sie erle­ben.

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4 Kommentare

  1. Nette Stim­mungs­be­schrei­bung. Wieviele millio­nen­mal es dieses Foto wohl geben mag? Vorder­grund 1 — 5 Perso­nen, Hinter­grund Bran­den­bur­ger Tor?
    Hat der hoch­nä­sige Door­man einen Schnau­zer?

  2. Door­men oder wie auch immer man die nennt, kommen ja auch schon mal aus fernen Ländern oder sehen zumin­dest so aus. Die obige Beschrei­bung aller­dings weist eindeu­tig auf einen Deut­schen hin: Noch oben katz­bu­ckeln, nach unten treten, das war schon immer so. Er ist eigent­lich nur um seinen Eindruck des “Oben seins” gegen­über Taxi­fah­rern zu benei­den.

  3. beein­dru­ckend an dem door­man war, dass er sich inner­halb seiner ersten arbeits­wo­che mit so ziem­lich allen taxi­fah­rern ange­legt hatte. fast ebenso viele haben sich darauf­hin beschwert und nu is er eigent­lich ganz zahm. ab und zu loben (z.B. wie elegant er eine auto­tür aufhal­ten kann) dann freut er sich und sein schnaut­zer zittert etwas :)

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