Blonder Quengel

Es ist ein gewohn­tes Bild in der Innen­stadt: Eine Gruppe von Jugend­li­chen blockiert den Bürger­steig und schlen­dert gerne betont lang­sam über die Straße. Die Jungs halten als Pflicht­ac­ces­soir bemüht lässig eine geöff­nete Bier­fla­sche in der Hand, ohne die hätten sie viel­leicht Angst, sich zu verlau­fen. Es sind meist Schul­klas­sen auf Besuch in der Haupt­stadt, in rund 100 Hostels ist die Über­nach­tung ja auch preis­lich schü­ler­kom­pa­ti­bel.

Vor dem Hotel Ritz Carl­ton foto­gra­fie­ren sich die Touris­ten gerne gegen­sei­tig, mancher Door­man ist da freund­lich und posiert auch mal.
Anders aber der, der gestern Abend da stand, den habe ich hier noch nie gese­hen. Offen­bar ist er neu oder wurde von einem ande­ren Posten an die Front versetzt. Hart geschei­telt, immer wieder seinen Anzug über­prü­fend, gab er sich alle Mühe, gut auszu­se­hen — oder was er eben darun­ter versteht.
Es waren dies­mal nur fünf Jungs, die auf den Hotel­ein­gang zu schlen­der­ten, natür­lich mit Bier­fla­schen in der Hand. Neugie­rig näher­ten sie sich dem hell erleuch­te­ten Eingang, aber schon ein paar Meter vorher stellte sich ihnen der Door­man in den Weg, obwohl das noch öffent­li­ches Stra­ßen­land ist. Er hatte es nicht einfach, weil sich die Gruppe etwas verteilte und er schlecht alle fünf aufhal­ten konnte. Einer der Jungs, schmal und blond, etwa 16 Jahre alt, spielte jetzt Einkriege mit ihm. Er lief um den Door­man herum, der sich ihm nun sogar in die falsche Rich­tung in den Weg stellte. Viel­leicht wurde dem das Spiel jetzt auch zu albern und er zog sich zur Tür zurück, mit verschränk­ten Armen versuchte er, entschlos­sen und grim­mig auszu­se­hen. Aber vergeb­lich: Jetzt holten einige der Jungs ihre Handys raus und foto­gra­fier­ten den armen Mann von allen Seiten. Der Blonde tat, als würde er eine Rede halten, ich verstand unge­fähr “Der gefähr­lichste Türste­her Berlins!” Die ande­ren lach­ten, auch ich.

Als in diesem Moment ein Taxi mit Fahr­gäs­ten ankam, sah der Door­man leicht verzwei­felt aus, musste er doch jetzt nicht nur die Tür bewa­chen, sondern auch dem Hotel­gast die Auto­tür öffnen und das Gepäck raus­ho­len. Brav tat er seine Pflicht und als der Fahr­gast aus dem Taxi stieg, empfing ihn nicht nur der Door­man, sondern auch die Jungs, die mit ihren Handys ein klei­nes Blitz­licht­ge­wit­ter veran­stal­te­ten. Den Gast störte das nicht, er poste sogar noch vor ihnen wie ein Promi­nen­ter. Nur der Door­man fand es nicht lustig, aber da war er der Einzige.

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1 Kommentar

  1. Es ist schon ein hartes Brot, wenn man Jugend­li­che, deren Geist sich in der Flasche befin­det wahr­neh­men muß, nur weil sie körper­lich präsent sind.
    Als ich selbst noch das Prädi­kat “jugend­lich” in Anspruch nehmen durfte, habe ich das Bier lieber hinter der Bauch­de­cke getra­gen, damit nicht jeder sofort sieht, daß ich doof bin.

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