Melancholie. Genie und Wahnsinn

„Melancholie bezeichnet einen Zustand der Schwermut, der Traurigkeit, evtl. der Trauer (bei vorhergegangenem Ereignis), des Trübsinns oder der Depression in Bezug auf einen Menschen, seine psychische und körperliche Disposition. Der Begriff kann auch die Wirkung oder den Charakter eines Kunstwerks, einer Landschaft oder einer Situation bezeichnen.

Der Begriff ist bereits antik. In Bezug auf eine psychische Disposition oder ein Krankheitsbild ist der Begriff Melancholie im 20. Jahrhundert weitgehend durch den Begriff der Depression ersetzt worden. Im Begriff der Melancholie schwingt aber eine Bandbreite von Bedeutungen mit, die über die Jahrhunderte im Spannungsfeld von Philosophie, Medizin, Psychologie, Religion, Literatur, Kunst und Musik entstanden sind.“
Soweit das Online-Lexikon „Wikipedia“.

Doch von Schwermut war am ersten Wochenende bei der Ausstellung „Melancholie“ in der Neuen Nationalgalerie bei den Besuchern wenig zu spüren. Im Gegenteil, teilweise war die Stimmung euphorisch, wie vor einem Jahr am selben Ort bei der MoMA-Ausstellung. Melancholie und Kunst gehören offenbar zusammen, zahlreiche Werke beschreiben sie, in Musik, Plastiken oder Gemälden.
Einen kleinen Teil davon zeigt die Ausstellung „Melancholie. Genie und Wahnsinn in der Kunst“. Mit über 300 Exponaten, darunter zahlreichen Meisterwerken aus großen internationalen Museen und Sammlungen, ist es weltweit die erste Schau explizit zu diesem dunklen Thema. Im Zentrum der Ausstellung steht die berühmte „Melencolia I“ von Albrecht Dürer: Seit ihrer Entstehung im Jahre 1514 nährt diese geheimnisvolle Gestalt, die sich inmitten rätselhafter Gegenstände befindet, den Wissensdurst des Betrachters.

Vielleicht ist der schon jetzt große Erfolg der Ausstellung ja ein Spiegelbild der aktuellen Gemütsverfassung der deutschen Gesellschaft. Wieder eine neue Regierung, wieder höhere Arbeitslosenzahlen und Renteneinstiegalter, dafür sinkende Perspektiven und Einkommen. Es gibt viele Gründe, unser heutiges Dasein nicht durch die rosarote Brille zu sehen. Rund 127 Millionen EU-Bürger leiden an psychischen Krankheiten. Da liegt es nahe, ein solch hippes Thema zu wählen. Erst im Januar endete in Paris die Ausstellung „Europa der Angst und Depression“ mit einem Rekord-Besucherergebnis.
Dabei wird die Melancholie in der Ausstellung (und im wirklichen Leben) nicht nur als etwas Negatives betrachtet. Sie ist gleichzeitig Nachdenklichkeit über den eigenen Weg, über die eigene Existenz. Gerade in einer lauten Welt, in der einem die „Geiz-ist-geil“-Werbung in Riesenlettern entgegengebrüllt wird, stellt die Melancholie das leise Gegenstück dar. Künstler wie Munch, van Gogh oder Böcklin bitten den Besucher zum Verweilen, eher zum Sinnieren, als zum Resignieren. Insofern sollte man sich nicht abschrecken lassen, die Ausstellung zu besuchen, auch wenn einem die Winterdepression gerade zu schaffen macht.

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