Traurige Blüten

Zu fast sechs Jahren Haft hat das Landgericht Berlin vorgestern den 29-jährigen Maik D. verurteilt. Er hatte zugegeben, im Neureichen-Viertel rund um den Kollwitzplatz in zehn Hausfluren Kinderwagen angezündet zu haben. In den Medien wurde er gleich als „Schwabenhasser“ tituliert, die üblichen Hetzblätter stellten ihn in bekannter Weise an den Pranger. Die RBB-Boulevard-Abendschau verhöhnte ihn und zog den dummen Vergleich, dass Maik D. ja genauso fleißig gewesen wäre, wie man es den Schwaben nachsagt – weil er mehrere Jobs machen musste, um überhaupt finanziell überleben zu können.

Auch bei André H., der im Herbst verhaftet wurde, weil er Dutzende von Autos angezündet haben soll, zerrissen sich die Gossenmedien von Bild bis Abendschau das Maul. Reporter erschlichen sich bei Bekannten mit Lügen das Vertrauen, um an Informationen und Fotos zu kommen. Bei Freunden von ihm fotografierten sie heimlich die Wohnung und stellten gegenüber Nachbarn die Freunde als Komplizen hin. Der schwer kranken Mutter sowie der behinderten Schwester des Mannes wurde aufgelauert, es waren die bekannten ekelhaften Vorgehensweisen, die nicht selten zur Folge hatten, dass sich Betroffene das Leben nahmen. Die Hetzer freut’s, denn das gibt eine weitere Schlagzeile.
Wer aber Maik D. und André H. sind, wieso sie das taten, das wird nicht wirklich thematisiert. Sie sind sicher nicht „irre“, wie das mehrmals formuliert wurde, auch wenn die Taten andere Menschen gefährdeten, und deshalb nicht zu akzeptieren sind. Aber von beiden ist bekannt, dass sie sehr arm und an der Ausweglosigkeit ihrer Lage verzweifelt sind. Es ist ja nicht ungewöhnlich, dass Menschen um sich treten, wenn sie in die Enge getrieben werden. Ich glaube, dass es bei den Brandstiftern André H. und Maik D. genauso ist. Das entschuldigt die Taten nicht, aber es erklärt sie. Andere Menschen unternehmen nichts, sondern lassen sich mit Schnaps volllaufen oder hängen sich auf. Verzweiflung, Hilflosigkeit und Vereinzelung treibt manchmal traurige Blüten.

Völlig anders sieht es bei den Tätern aus Friedrichshain aus: Was sie tun, ist reiner Terror und zwar nicht mehr nur gegen die Polizei und Hausbesitzer, sondern auch gegen die ganz normale Bevölkerung. Seit der Räumung des Hauses Liebigstr. 14 werden die neuen Bewohner, aber auch Nachbarn aus den umliegenden Häusern, terrorisiert. Ihnen werden Autos abgefackelt und die Fenster eingeworfen, wenn sie z.B. der Polizei Informationen gegeben haben. Dass dabei in den Wohnungen auch Kinder durch Steine oder Scherben verletzt werden können, ist ihnen offenbar egal. Damit wollen die Autonomen erreichen, dass die Nachbarn eingeschüchtert werden. In einem Schreiben der „AntiYuppieFront“ raten sie allen, die die Polizei rufen, „schnell den Wohnort zu wechseln. Wer in den Akten der Polizei auftaucht, kann den Umzugswagen rufen!“ Schon einige bekamen „Geschenke in Form von Müll, Kot, Metall- und Glasprojektilen, Ziegelsteinen, Pflastersteinen.“ Es ist eine Bedrohung wie durch die Mafia.

Am vergangenen Wochenende zeigten diese Leute, dass sie es Ernst meinen. Am Rande einer Demonstration wurden z.B. ungeschützte Polizisten, die zur Verkehrsregelung eingesetzt waren, mit Eisenstangen zusammengeschlagen. Auch der Beamte, der mit der Demo-Anmelderin den Kontakt hielt, wurde zum Opfer dieser Gewalt.
Maik D. und André H. zündeten aus Frust über eine Entwicklung, die die Stadt immer kälter werden lässt, weil sie Menschen ausgrenzt, die kaum das Geld zum Leben haben. Die Autonomen jedoch nutzen diese Gentrifizierung, indem sie jeden einschüchtern, der nicht ihrer Meinung ist. Man kennt das aus Neonazi-, Rocker- und anderen Fundamentalistenkreisen, egal ob unter politischem oder religiösem Vorwand.
Sie verteidigen mit purer Gewalt ihre Pfründe, ihnen geht es nicht um bessere Lebensbedingungen, sondern darum, im Kiez die Kontrolle zu haben. Politische Gruppen, Stadtteil-Initiativen, die dieses Vorgehen kritisieren, werden als Handlanger des Staates diffamiert.

Natürlich ist die Entwicklung wie im Prenzlauer Berg oder Kreuzberg für die Betroffenen schlimm, Zehntausende wurden in den vergangenen 15 bis 20 Jahren vertrieben, weil die Mieten ins Unbezahlbare gestiegen sind oder die Häuser luxussaniert und in Eigentumswohnungen umgewandelt wurden. Dass viele Menschen dadurch verzweifeln und teilweise in ihrer Hilflosigkeit einen falschen Weg wählen, ist leider die Realität. Ich glaube jedoch nicht, dass die Gewalt gegen Zugereiste oder Nachbarn, die sich selbst durch die Verhältnisse kämpfen müssen, gerechtfertigt ist. Sie wird stattdessen das Gegenteil bewirken und den Law-and-Order-Politikern in die Hände spielen. Vielleicht ist das ja genau das, was sie Autonomen wollen.

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2 Kommentare

  1. Hmmm, Straftaten müssen natürlich gerecht bestraft werden. Zusätzlich stimmt natürlich die Entwicklung (Gentrifizierung) im Prenzlauer Berg und anderen Szenengegenden in Berlin nachdenklich!

  2. Danke für den Bericht. Die Details waren mir (als Süddeutschem) nicht bekannt.
    Dazu fällt mir noch soviel ein, das würde den Rahmen hier sprengen. Vielleicht bei meinem nächsten Besuch in B. bei einem gemeinsamen Bier.

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