Das Vermächtnis der KZ-Überlebenden

Es gibt nicht mehr viele, die heute noch berich­ten können. Die letz­ten Über­le­ben­den aus den Konzen­tra­ti­ons­la­gern der Nazis sind über 90 Jahre alt. Nur wenige von ihnen sind noch in der Lage, aus eige­nem Erle­ben zu erzäh­len. Neun von ihnen haben in Berlin eine Erklä­rung veröf­fent­licht: “Wir bitten die jungen Menschen, unse­ren Kampf gegen die Nazi-Ideo­lo­gie und für eine gerechte, fried­li­che und tole­rante Welt fort­zu­füh­ren, eine Welt, in der Anti­se­mi­tis­mus, Rassis­mus, Frem­den­feind­lich­keit und Rechts­extre­mis­mus keinen Platz haben sollen.”

Erin­ne­rung bewah­ren  –  Authen­ti­sche Orte erhal­ten  –  Verant­wor­tung über­neh­men

Wir, die Unter­zeich­nen­den, Über­le­bende der deut­schen Konzen­tra­ti­ons­la­ger, Frauen und Männer, vertre­ten Inter­na­tio­nale Häft­lings­ko­mi­tees der Konzen­tra­ti­ons­la­ger und ihrer Außen­kom­man­dos. Wir geden­ken unse­rer ermor­de­ten Fami­lien und der Millio­nen Opfer, die an diesen Orten der Asche getö­tet wurden. Ihre Verfol­gung und Ermor­dung aus rassi­schen, poli­ti­schen, reli­giö­sen, sozia­len, biolo­gi­schen und ökono­mi­schen Grün­den und ein verbre­che­ri­scher Krieg haben die Welt an den Rand des Abgrunds geführt und eine schreck­li­che Bilanz hinter­las­sen.

Nach unse­rer Befrei­ung schwo­ren wir eine neue Welt des Frie­dens und der Frei­heit aufzu­bauen: Wir haben uns enga­giert, um eine Wieder­kehr dieser unver­gleich­li­chen Verbre­chen zu verhin­dern. Zeit­le­bens haben wir Zeug­nis abge­legt, zeit­le­bens waren wir darum bemüht, junge Menschen über unsere Erleb­nisse und Erfah­run­gen und deren Ursa­chen zu infor­mie­ren.

Gerade deshalb schmerzt und empört es uns sehr, heute fest­stel­len zu müssen: Die Welt hat zu wenig aus unse­rer Geschichte gelernt. Gerade deshalb müssen Erin­ne­rung und Geden­ken weiter­hin glei­cher­ma­ßen Aufgabe der Bürger und der Staa­ten sein.

Die ehema­li­gen Lager sind heute stei­nerne Zeugen: Sie sind Tatorte, inter­na­tio­nale Fried­höfe, Museen und Orte des Lernens. Sie sind Beweise gegen Verleug­nung und Verharm­lo­sung und müssen auf Dauer erhal­ten werden. Sie sind Orte der wissen­schaft­li­chen Forschung und des pädago­gi­schen Enga­ge­ments. Die pädago­gi­sche Betreu­ung der Besu­cher muss ausrei­chend gewähr­leis­tet sein.

Die unver­gleich­li­chen Mensch­heits­ver­bre­chen der Natio­nal­so­zia­lis­ten – erin­nert werden muss in diesem Zusam­men­hang vor allem an den Holo­caust – gescha­hen in deut­scher Verant­wor­tung. Deutsch­land hat viel zur Aufar­bei­tung seiner Geschichte getan. Wir erwar­ten, dass die Bundes­re­pu­blik und ihre Bürger auch in Zukunft ihrer Verant­wor­tung in beson­de­rem Maße gerecht werden.

Aber auch Europa hat seine Aufgabe: Anstatt unsere Ideale für Demo­kra­tie, Frie­den, Tole­ranz, Selbst­be­stim­mung und Menschen­rechte durch­zu­set­zen, wird Geschichte nicht selten benutzt, um zwischen Menschen, Grup­pen und Völkern Zwie­tracht zu säen. Wir wenden uns dage­gen, dass Schuld gegen­ein­an­der aufge­rech­net, Erfah­run­gen von Leid hier­ar­chi­siert, Opfer mitein­an­der in Konkur­renz gebracht und histo­ri­sche Phasen mitein­an­der vermischt werden. Daher bekräf­ti­gen den von der ehema­li­gen Präsi­den­tin des Euro­päi­schen Parla­ments und Ausch­witz-Über­le­ben­den Simone Veil vor dem Deut­schen Bundes­tag 2004 ausge­spro­che­nen Appell zur Weiter­gabe der Erin­ne­rung: “Europa sollte seine gemein­same Vergan­gen­heit als Ganzes kennen und zu ihr stehen, mit allen Licht- und Schat­ten­sei­ten; jeder Mitglied­staat sollte um seine Fehler und sein Versa­gen wissen und sich dazu beken­nen, mit seiner eige­nen Vergan­gen­heit im Reinen zu sein, um auch mit seinen Nach­barn im Reinen sein zu können.”

Unsere Reihen lich­ten sich. In allen Instan­zen unse­rer Verbände, auf natio­na­ler wie inter­na­tio­na­ler Ebene, treten Menschen an unsere Seite, um die Erin­ne­rung aufzu­neh­men: Sie geben uns Vertrauen in die Zukunft, sie setzen unsere Arbeit fort. Der Dialog, der mit uns begon­nen wurde, muss mit ihnen fort­ge­führt werden. Für diese Arbeit benö­ti­gen sie die Unter­stüt­zung von Staat und Gesell­schaft.

Die letz­ten Augen­zeu­gen wenden sich an Deutsch­land, an alle euro­päi­schen Staa­ten und die inter­na­tio­nale Gemein­schaft, die mensch­li­che Gabe der Erin­ne­rung und des Geden­kens auch in der Zukunft zu bewah­ren und zu würdi­gen. Wir bitten die jungen Menschen, unse­ren Kampf gegen die Nazi-Ideo­lo­gie und für eine gerechte, fried­li­che und tole­rante Welt fort­zu­füh­ren, eine Welt, in der Anti­se­mi­tis­mus, Rassis­mus, Frem­den­feind­lich­keit und Rechts­extre­mis­mus keinen Platz haben sollen.

Dies sei unser Vermächt­nis.

Noach Flug (Jeru­sa­lem)
Inter­na­tio­na­les Ausch­witz Komi­tee
Sam Bloch (New York)
World Fede­ra­tion of Bergen-Belsen
Bert­rand Herz (Paris)
Inter­na­tio­na­les Buchen­wald Komi­tee
Max Mann­hei­mer (München)
Inter­na­tio­na­les Dachau Komi­tee
Uri Chanoch (Jeru­sa­lem)
Inter­na­tio­na­les Komi­tee Neben­la­ger Dachau     Jack Terry (New York)
Inter­na­tio­na­les Flos­sen­bürg Komi­tee
Albert van Hoey (Brüs­sel)
Inter­na­tio­na­les Komi­tee Mittel­bau-Dora
Robert Pinçon (Tours)
Inter­na­tio­na­les Neuen­gamme Komi­tee
Annette Chalut (Paris)
Inter­na­tio­na­les Ravens­brück Komi­tee
Pierre Gouf­fault (Paris)
Inter­na­tio­na­les Sach­sen­hau­sen Komi­tee

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