Taxi-Mittwoch oder: Findet Nemo

Vor nicht einmal fünf Jahren habe ich eine ganz normale Taxi­schicht beschrie­ben: Taxi-Diens­tag. Viele Menschen fragen sich nun, wie wohl der Taxi-Mitt­woch aussieht. Um dieses Rätsel zu lösen hier meine gehei­men Aufzeich­nun­gen.

1. Tour
Schicht­be­ginn ist heute mal am Novo­tel am S‑Bhf. Tier­gar­ten. Es ist ein typi­sches Geschäfts­ho­tel, nahe City West, nicht weit vom Pots­da­mer Platz. Von hier aus gehen Fahr­ten meist entwe­der in ein Restau­rant oder zum Flug­ha­fen. Auch der graue Anzug mit Mann drin wollte zum TXL: Geschäfts­ge­sicht, Geschäfts­köf­fer­chen, Geschäfts­ge­spräch am Handy. Ich höre da ja nicht wirk­lich hin, es sind doch immer die glei­chen Gesprä­che: Kunden, Kolle­gen, Abschlüsse, es ist ermü­dend. Aber wenigs­tens hatte er gute Laune, das merkte ich, auch wenn er die ganze Zeit nicht mit mir sprach. Erst kurz vor’m Flug­ha­fen legte er auf und wollte meine Meinung zur Schlie­ßung und zum neuen Flug­ha­fen hören. Inter­es­siert hat es ihn aber nicht.
Von Tegel aus fuhr ich in die City West, zum Savi­gny­platz

2. Tour
Eine recht junge und sehr gesprä­chige Frau stieg dort ein, höchs­tens Mitte Zwan­zig, Desi­gne­rin. “Wissen Sie, wie man in die Star­gar­der Straße kommt, über Moabit?” Klar weiß ich das. Sie unter­hielt mich, indem sie mir wohl ihre sämt­li­chen Kolle­gen beschrieb, bis hin zu intims­ten Details, die mich schon grübeln ließ, ob ich eine poten­zi­elle Exhi­bi­tio­nis­tin an Bord hatte.
Am Haupt­bahn­hof klärte sie mich auf, dass der Weg völlig falsch sei, Harald (einer der Kolle­gen) würde den auch immer fahren, dabei wäre es doch über die Pank­straße viel kürzer. Das ist zwar Quatsch, aber sie sah groß­zü­gig darüber hinweg, um mir dann von ihrem Chef zu berich­ten. Würde ich jetzt noch ihre Firma wissen, hätte ich ausrei­chend Mate­rial für eine Erpres­sung, von der ich ein ganzes Jahr leben könnte.

3. Tour
Von der Star­gar­der bog ich in die Schön­hau­ser Allee ein, wo mir ein älte­rer Mann am Stra­ßen­rand mit seinen Krücken drohte, die er hoch über dem Kopf schwenkte. Das ist wohl seine Art, ein Taxi zu winken. “Ich dachte schon, alle Taxi­fah­rer sind blind”, sagte er beim Einstei­gen, offen­bar waren schon ein paar freie Taxen vorbei­ge­fah­ren.
Der Mann war körper­lich und etwas geis­tig behin­dert und ein rich­tig netter und lusti­ger Kerl. Während der ganzen Fahrt nach Lich­ten­berg erzählte er witzige Episo­den aus seinem Leben. Da er auch noch Epilep­ti­ker ist, halten ihn manche Leute für einen Alko­ho­li­ker, was er aber auch mit Humor nimmt.
Am Ziel ange­kom­men, einem monu­men­ta­len Grün­der­zeit­ge­bäude, stieg ich aus und klin­gelte für ihn. Während des Wartens sagte er, dass die Etagen fast vier Meter hoch sind und er nicht bis in den 3. Stock laufen kann. “Und deshalb trägt mich mein Betreuer auf Händen, hi, hi, wie einen Baby­scheich.”
Es war eine schöne Begeg­nung. Und es macht Mut, zu sehen, wie ein schwer ange­schla­ge­ner Mensch das Leben so meis­tert.

4. Tour
Bei meiner Fahrt durch die Frank­fur­ter Allee ertönte das Horn: Ein Auftrag über mytaxi, am ande­ren Ende der Peters­bur­ger Straße, Hotel New Berlin. Also schnell den Turbo­gang rein und die Blit­zeram­pel an der Ecke Straß­mann­straße nicht über­se­hen.
Das italie­ni­sche Paar wollte zum Restau­rant Bocca di Bacco in der Fried­rich­straße, eben­falls italie­nisch. Während der Fahrt tele­fo­nier­ten beide, um mitten­drin plötz­lich die Handys zu tauschen und weiter zu spre­chen. Part­ner­tausch?

5. Tour
Ich stellte ich an die Taxi­halte des Edel­ho­tels Regent. Gerade als Thomas Gott­schalk von seiner Sendung aus dem Haus kommt, steigt eine etwa 40-jährige Dame bei mir ein: “Der sieht ja in der Reali­tät noch viel älter aus als im Fern­se­hen!” — “Tja, er könnte glatt Ihr Groß­va­ter sein”, schmei­chelte ich ihr und sie lachte. “Dabei sehe ich heute auch viel älter aus, als ich bin. Zum Tauent­zien, bitte.”
Die Lady ist Vertriebs­ma­na­ge­rin einer Mode­firma und musste nun zu einem Empfang, auf den sie über­haupt keine Lust hatte. “Am Liebs­ten würde ich jetzt im Hotel die Bar leer machen und schön schla­fen gehen. Statt­des­sen nun eine Horde Gockel, die eine Hälfte schwul, die andere aufdring­lich.”
Dabei hat sie einen Freund in Berlin, der sich aber gewei­gert hat, sie zu beglei­ten.
Am Ziel ange­kom­men fragte ich, ob ich auf sie warten soll, falls sie gleich wieder flucht­ar­tig das Haus verlässt. “Nein, da muss ich jetzt durch. Auf in den Kampf!”

6. Tour
Beim Crui­sen durch Schö­ne­berg sah ich, dass am Nollen­dorf­platz nur ein einzi­ges Taxi stand, norma­ler­weise ist es ein Dutzend oder mehr. Also range­fah­ren und sofort kam eine Gruppe von acht Männern auf mich zu. Die Hälfte stieg ins erste Taxi, die ande­ren wollte bei mir rein. Aber sie strit­ten, wer in der Mitte sitzen soll, während der vorn schon mal sagte: “Follow this car!”
So etwas mag im Kino ganz gut ausse­hen, in der Praxis ist das aber blöd. Nur wenn beide Fahrer darauf achten, sich gegen­sei­tig nicht zu verlie­ren, kann man einen solchen Mini­kon­voi durch die Stadt fahren. Durch die Einstiegs­pro­ze­dur war das vordere Taxi bereits weg, ich musste die nächste Ampel­phase abwar­ten und bog dann erst­mal in die Bülow­straße ein. Nun stellte sich heraus, dass die Fahr­gäste gar nicht wuss­ten, wohin es eigent­lich gehen sollte. Super.
Während der Fahrt riefen sie nun ihre Kumpels im ersten Taxi an, aber die wuss­ten auch nicht, wohin sie gerade fuhren. Mein Genervt­heits­le­vel stieg konse­quent höher und hatte bereits die 50-Prozent-Marke über­schrit­ten. “Ask the Taxid­ri­ver”, sagte ich, aber den Kolle­gen haben sie offen­bar nicht verstan­den. Mitt­ler­weile waren wir an der Pots­da­mer Straße ange­kom­men, auf gut Glück fuhr ich erst­mal nach links, Rich­tung Mitte. Einer meiner Fahr­gäste hielt das Handy, der neben ihm hatte sein Ohr eben­falls dran und beide versuch­ten mir zu erklä­ren, was sie verstan­den. Das war leider nicht viel. Schließ­lich nahm ich das Tele­fon und der Kollege sagte, dass die Leute zum Hacke­schen Markt woll­ten. Na also, geht doch.
Auf dem Rest der Fahrt wurde ich von meinen Fahr­gäste mehr­mals für meine Souver­eni­tät und Stra­ßen­kennt­nis gelobt und auch, weil ich das Problem so gut gelöst hatte. Mit stol­zer Brust entließ ich sie unter der Bahn­brü­cke aus dem Auto.

7. Tour
In Mitte fuhr ich die übli­chen Verdäch­ti­gen ab, Rosen­tha­ler, Orani­en­bur­ger, Fried­rich­straße, Gendar­men­markt. Hier bekam ich einen “Unver­bind­li­chen”. Das bedeu­tet, dass die Zentrale unsi­cher ist, ob die Adresse des Kunden stimmt oder dass er dort auch auf das bestellte Taxi wartet. Oft kommen da Fehl­fahr­ten raus, deshalb nimmt man die unver­bind­li­chen Aufträge nur an, wenn man schon ziem­lich verzwei­felt oder ganz in der Nähe ist. Von meinem Stand­ort waren es gerade mal 200 Meter zum Haus­vog­tei­platz, also hin.
Die kleine, dünne Asia­tin roch extrem nach Parfüm, anschei­nend war sie frisch einge­sprüht. Sie wollte in die Nemo­straße nach Char­lot­ten­burg. Nemo­straße? Nie gehört. Mein Stadt­plan eben­falls nicht. Ich dachte an die Nehring­straße, was sie auch gleich mit “Ja, ja, ja, Nemo­straße” bestä­tigte. Vorsichts­hal­ber fragte ich noch mal nach: “Nehring­straße, beim Schloss Char­lot­ten­burg?” — “Ja, Schloss!”
Als wir dort anka­men merkte sie: Es war die falsche Straße. Also ging das Rätsel­ra­ten weiter. Als ich ihr die Niebuhr­straße vorschlug, sah sie mich glück­lich an: “Ja, ja”. Na gut, bis zum Schicht­wech­sel waren es ja noch ein paar Stun­den, da können wir noch einige Stra­ßen auspro­bie­ren. Aber die Niebuhr war rich­tig und sie sah so glück­lich aus, als hätte ich ihr gerade einen Heirats­an­trag gemacht. Und ein feines Trink­geld gab’s dazu.

8. Tour
Zum Crui­sen hatte ich keine Lust und die Taxi­halte an der Kreu­zung Leibniz/Kudamm war halb leer, also war Warten ange­sagt. Mein nächs­ter Fahr­gast war wieder eine Dame, ganz fein. “Schmar­gen­dorf, beim Rathaus, über Elster­platz.” Klare Ansage. Wieder eine Geschäfts­frau, die einen anstren­gen­den Tag hinter sich hatte. Sie klagte mir ihr Leid und mitten im Satz schlief sie ein. Als ich sie in der Berkaer Straße weckte, war sie froh, endlich Zuhause zu sein. Und ich hatte erneut eine Frau glück­lich gemacht.

9. Tour
Abends ist der Savi­gny­platz ganz gut, um Fahr­gäste oder Funk­auf­träge abzu­grei­fen. Auf dem Weg dort hin winkte mich aber ein Mann in der Uhland­straße, Typ Alt-68er. “Goltz durch Grune­wald.” Ich hatte wohl gerade nicht den hells­ten Moment des Tages, jeden­falls fragte ich nach, wo denn im Grune­wald eine Goltz­straße ist, ich kenne nur die in Schö­ne­berg und Lich­ten­rade. “Da kennste aber nicht alle, mein Klee­ner”, antwor­tete er. “Stimmt, es gibt noch mindes­tens eine dritte Goltz­straße.” — “Rich­tig.” — “Und zwar im Grune­wald.” — “Falsch, in Span­dau.”
Damit hatte er mich endgül­tig geschla­gen. Ich gab auf und er war amüsiert. “Fahr mal zur Goltz­straße in Schö­ne­berg, durch die Grune­wald­straße.”
Ups, das war wirk­lich pein­lich.

10. Tour
Danach landete ich am Hotel Berlin, wo mir ein spani­sches Paar einstieg. Ob ich wohl das Marriott Cour­ty­ard kenne. Aber klar. Auf dem Weg zum Hotel woll­ten sie wissen, warum es in Berlin so viele Auslän­der als Taxi­fah­rer gäbe. Eine merk­wür­dige Frage, ausge­rech­net von auslän­di­schen Touris­ten. Sie fanden das jeden­falls nicht gut und wollen nur von deut­schen Fahrern mitge­nom­men werden. Norma­ler­weise kommen solche Sprü­che von deut­schen Spie­ßern oder von Leuten, denen die rechte Gehirn­hälfte durch­ge­brannt ist. Als sie dann noch sagten, dass sie ja schon immer für Franco gewe­sen sind, war mein Inter­esse an dem Gespräch bei Null ange­langt. Den Rest der Fahrt verbrach­ten wir schwei­gend.

Es war nun kurz vor Mitter­nacht, eine gute Zeit, um mal beim Axel-Sprin­ger-Verlag vorbei zu schauen. Nicht, dass ich dort inter­es­san­tere Fahr­gäste vermu­tete, aber wenigs­tens über­haupt welche.
Es stan­den schon zehn Taxen an, in guten Näch­ten sind die nach einer Vier­tel­stunde weg. Diese Nacht war aber nicht gut. Als ich die Bühne nach einer halben Stunde ohne Fahr­gäste verließ, stan­den immer noch sieben Autos vor mir.
Eine Disco wollte ich mir nicht antun, also mal schaun, was am Ritz Carl­ton läuft. Fünf Autos waren dort defi­ni­tiv zu viel, sieben oder acht am Adlon, ebenso viele in der Fried­rich­straße am Drei­spitz, und die Stra­ßen voll hell erleuch­te­ter Taxi-Schil­der. Deshalb beschloss ich, nun Feier­abend zu machen. Zehn Fahr­ten, 125 Euro Umsatz, das ist ja auch in Ordnung. Man soll es nicht über­trei­ben. Schon gar nicht an einem Mitt­woch.

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3 Kommentare

  1. So, dann hätte ich gerne noch den Taxi-Montag, den Taxi-Donners­tag, und als ganz beson­dere Special Features den Taxi-Frei­tag und den Taxi-Sams­tag gele­sen. Normal darf es dann mit dem Taxi-Sonn­tag weiter­ge­hen (nehme ich zumin­dest mal an). Wie sieht’s aus? :-)

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