Droschken-Reglement von 1888

Bereits Mitte des 18. Jahrhunderts gab es in Berlin die ersten Droschken. Es war ein Freiherr Karl Ludwig von Pöllnitz, der 1739 den König Friedrich Wilhelm I. davon überzeugte, dieses öffentliche Verkehrsmittel einzuführen. Und schon Weihnachten des selben Jahres gab es im damaligen, noch recht kleinen Berlin fünf ausgewiesene Halteplätze, die von insgesamt 15 Kutschen bedient wurden. Als bald darauf unter dem damals noch gar nicht so Alten Fritz das gesellschaftliche Leben in der Stadt aufblühte, wurden bald mehr Kutschen benötigt, wenige Jahre später waren es 36. Zu dieser Zeit versuchte man noch, für die Fahrzeuge den Begriff „Fiaker“ einzuführen. Doch im Sprachgebrauch setzte sich bald der russische Name „Droschke“ durch.
Allerdings hatten die Kutscher einen extrem schlechten Ruf, sie galten als „ungesittet und ruchlos“, weshalb sich reiche Berliner lieber eine Privatkutsche anschafften. Das „Fluchen wie ein Droschkenkutscher“ stammt wohl aus dieser Zeit. Im Jahr 1794 eskalierte das Problem, so dass die Droschkengesellschaft komplett abgeschafft wurde.
Erst 1815 gab es einen neuen Versuch, diesmal mit einer Droschkenordnung und gleich am Anfang 16 Halteplätzen. Die Kutscher mussten Livrées tragen und ein ordentliches Benehmen an den Tag legen.
Das „Polizei-Reglement betreffend den Betrieb des Droschken-Fuhrgewerbes“ von 1873 und mehrmaligen Aktualisierungen gleicht in den wesentlichen Punkten unserer heutigen Taxi-Ordnung. Auch knapp 140 Jahre später müssen die „Kutscher“ noch zahlreiche Paragrafen beachten. Ein Unterschied ist jedoch, dass die Fahrgäste damals nach Zeit bezahlen mussten. Gleichzeitig durfte der Kutscher aber nicht mehr als eine Minute pro 160 Metern brauchen. Um das zu kontrollieren, gab es den im Text angesprochenen „Droschken-Wegemesser“ – einen Stadtplan, in dem sämtliche Straßen alle 160 Meter in einer anderen Farbe gekennzeichnet waren und den jeder Kutscher dabei haben musste. So konnte man die Abschnitte zählen, die theoretische Zeit und damit den Fahrpreis errechnen. Wir sehen: Auch schon vor 140 Jahren waren die Tarife alles andere als einfach.

Hier einige Ausschnitte aus dem offiziellen „Droschken-Reglement von 1888“:
§ 1
Wer auf öffentlichen Straßen und Plätzen Droschken zu Jedermanns Gebrauch in Betrieb setzen will, bedarf hierzu einer auf seine Person lautenden Concession des Königlichen Polizei-Präsidiums und für jeden einzelnen in Betrieb zu setzenden Wagen eines vom Commissar für das öffentliche Fuhrwesen ausgestellten Erlaubnißscheins, welcher die dem Wagen zugestellten Nummer enthält und welcher bei jeder Revision der Droschke abgestempelt wird.
§ 2
Beschaffenheit des Wagens
Die Wagen müssen von gefälliger Form, dauerhaft und bequem gebaut, sauber lackiert, anständig ausgeschlagen und gepolstert sein und stets in einem vorschriftsmäßigen, wie auch reinlichen Zustande werden.
Dieselben müssen in Patentachsen gehen, auf Federn ruhen, oder in Federn hängen und ganz oberhalb verdeckt sein.
Bei ganz verdeckten Wagen müssen die Thüren mindestens 1 Meter 25 hoch und mindestens 55 Centimeter breit sein; die Thüren und Fenster, wie das Verdeck, müssen sicher schießen. Zu den Fenstern darf nur geschliffenes oder Doppelglas verwendet werden. Falls die Wagenthüren nach der Zugseite aufschlagen, müssen die Wagen mit Kothflügeln versehen, und zur Verständigung zwischen Fahrgast und Kutscher zweckentsprechende Vorrichtungen vorhanden sein.
Der Fußboden jeden Wagens muß mit einer reinlichen Fußdecke belegt sein.
Im Winter müssen die Auftritte der Wagen mit einem die Glätte beseitigenden Stoffe umwickelt sein.
Zu jeder Droschke muss am Rücksitze ein nach Vorschrift des Commissars für das öffentliche Fuhrwesen ausgefertigter, mit der betreffenden Droschken-Nummer, amtlich beglaubigter Tarif angebracht sein, welcher sich stets in einem guten und leserlichen Zustande befinden muss.
§ 9
Livrée der Kutscher
Während des Dienstes auf öffentlichen Straßen oder Plätzen haben die Kutscher die von dem Polizei-Präsidium vorgeschriebene und öffentlich bekannt gemachte Livrée zu tragen und haben sie solche stets im vorgeschriebenen, reinlichen und guten Zustande zu erhalten.
§ 12
Die Concessionare dürfen sich nur solcher Kutscher zum Fahren der Droschken bedienen, welche mit dem polizeilichen, auf den Namen des Inhabers lautenden Erlaubnißscheine hierzu (Fahrscheine) nebst Legitimationsschild
verliehen sind. Dieselben dürfen insbesondere solche Kutscher nicht verwenden, deren Legitimationsschild durch polizeiliche Bekanntmachung für ungültig erklärt, oder für das laufende Kalenderjahr nicht abgestempelt ist.
§ 14
Jeder Concessionar oder dessen Stellvertreter ist verpflichtet, über sein Personal und Betriebsmaterial nach Anleitung der vom Commissar für das öffentliche Fuhrwesen vorzuschreibende Formular Nachweisungs-Listen zuführen. Dieselben müssen in Heften gebunden durchweg mit Seitenzahlen versehen und deutlich und leserlich geschrieben sein.
Die betreffenden Hefte müssen nach deren Schluß mindestens ein Jahr aufbewahrt und dem Polizei-Beamten auf Verlangen jederzeit zur Einsicht vorgelegt werden.
§ 15
Die Concessionare sind verpflichtet, ihre Droschken in der Zeit vom 1. April bis 30. September entweder von 11 Uhr Abends bis 7 Uhr Morgens, oder von 7 Uhr Morgens bis 11 Uhr Abends, und in der Zeit vom 1. Oktober bis 31. März entweder von 11 Uhr Abends bis 8 Uhr Morgens, oder von 8 Uhr Morgens bis 11 Uhr Abends nach Maßgabe der in der Liste der Halteplätze deshalb getroffenen Bestimmungen in Betrieb zu setzen und zu erhalten.
§ 17
Werden Vorbestellungen auf Droschken zu Frühfahrten, welche vor 8 Uhr Morgens auszuführen sind, bei dem Concessionar gemacht, so müssen solche, falls sie angenommen, pünktlich ausgeführt werden.
§ 18
Qualifikation und Pflichten der Kutscher im Allgemeinen
Die Führung einer Droschke als Kutscher darf nur Derjenige übernehmen, welchem die in § 12 erwähnten polizeilichen Fahr-Legitimalionen, nämlich Fahrschein und Legitimationsschild ertheilt sind.
Zur Erlangung derselben sind unbedingt erforderlich:
Das Alter von 18 Jahren; der Besitz der bürgerlichen Ehrenrechte, körperliche Tüchtigkeit; der Nachweis ausreichender Kenntniß im Fahren, in der Wartung und Pflege der Pferde; Kenntniß der Bestimmungen dieses Reglements, wie der Bestimmungen über den Fahrverkehr im Allgemeinen; ausreichende Lokalkenntniß und der Nachweis eines Dienstes bei einem Concessionar.
Personen, welche diesen Anforderungen zwar entsprechen, aber zum Trunke oder zu Excessen neigen, oder wegen Verbrechen oder Vergehen wider das Eigenthum oder die Sittlichkeit, oder das Leben, oder wiederholt wegen Körperverletzung bestraft sind, kann die Ertheilung der Fahr-Legitimation versagt werden.
§ 24
Der Kutscher ist verpflichtet, sich im Dienste stets nüchtern zu erhalten, sich eines ruhigen und höflichen Betragens gegen das Publikum, insbesondere gegen die Fahrgäste zu befleißigen und diesen auf Verlangen das Reglement, sowie den amtlichen Droschken-Wegemesser zur näheren Begründung des Fahrpreises vorzulegen. Auf Verlangen des Fahrgastes ist der Kutscher verpflichtet, unentgeltlich beim Ein- und Aussteigen die Thür zu öffnen und zu schließen; sowohl vor dem Beginn der Fahrt, wie während derselben, das Deck des Wagens auf- resp. niederzuschlagen und die Fenster zu öffnen resp. zu schließen.
Endlich ist der Kutscher verpflichtet, soweit dies mit der ihm obliegenden Leitung und Beaufsichtigung des Fuhrwerkes zu verbinden ist, dem Fahrgast beim Auflegen und Abnehmen des Gepäcks hülfreiche Hand zu leisten.
§ 26
Kein Kutscher darf, sobald er mit seinem Gefährt auf einem Halteplatz Aufstellung genommen hat, eine Fahrt verweigern, muss vielmehr solche sofort und unweigerlich leisten. Außerhalb der Halteplätze darf kein Kutscher in den Straßen halten, wenn er nicht den Nachweis führen kann, daß er bestellt ist, und muß derselbe in diesem Falle auf dem Bocke verbleiben.
Kutscher, welche mit unbesetztem Wagen fahrend betroffen werden, dürfen die Annahme einer Fahrt nur dann ausschlagen, wenn sie den Nachweis zu führen vermögen, daß sie wegen Beschaffenheit des Materials, oder aus einem anderen triftigen Grunde die verlangte Fahrt nicht ausführen können. In der Zeit zwischen 2 und 3 Uhr Mittags dagegen können Behufs Umspannens die Kutscher der nicht auf den Halteplätzen stehenden Droschken mit ungeraden Nummern, und zwischen 3 und 4 Uhr Nachmittags die Kutscher mit geraden Nummern, die Fahrt ablehnen.
§ 29
Kein Kutscher darf mit unbesetzter Droschke bei einem Halteplatze vorüberfahren, auf welchem noch nicht die festgesetzte Anzahl der Droschken aufgefahren ist, sondern muß auf dem noch nicht vollbesetzten Halteplatz auffahren.
Das Umherfahren in den Straßen, um Fahrgäste anzuwerben, ist nicht gestattet.
§ 30
Auf den Halteplätzen, auf welchen die Wagen nach der Halteplatz-Liste hintereinander anzufahren haben, muß dies in der Weise bewirkt werden, daß jedes Fuhrwerk augenblicklich und ohne Hinderniß aus der Reihe biegen und wegfahren kann.
Im Uebrigen hat sich jede später hinzukommende Droschke der letzten in der Reihenfolge unmittelbar anzuschließen und sobald eine vorstehende Droschke abfährt, in den frei gewordenen Raum sofort hineinzurücken.
§ 32
Während des Verweilens der Droschken auf den Halteplätzen ist den Kutschern das Zusammentreten auf den Bürgersteigen und der Aufeinhalt im Innern, sowie das Verlassen der Droschken verboten, sowie nicht in letzterer Hinsicht Ausnahmen in der Halteplatz-Liste gestattet werden.
Der als erster in der Reihenfolge oder auf dem rechten Flügel haltende Kutscher darf sein Gespann weder tränken noch füttern, muss vielmehr auf dem Bock sitzen und zur Abfahrt bereit sein.
Dieselbe Verpflichtung haben sämmtliche Kutscher der vor den Theatern und anderen Orten, wo sich ein zahlreiches Publikum versammelt hat, haltenden Droschken, sobald die Theater-Vorstellung oder Versammlung beendet ist.
§ 33
Zahl der aufzunehmenden Fahrgäste
Der Kutscher ist nicht verpflichtet, in eine zweisitzige Droschke mehr als zwei, in eine viersitzige mehr als vier erwachsene Personen und ein in deren Begleitung befindliches Kind unter zehn Jahren aufzunehmen.
Sollten mehr Kinder an der Fahrt Theil nehmen, so gelten zwei Kinder unter 10 Jahren einer, und drei oder vier Kinder zwei erwachsenen Personen gleich.
§ 34
Wer als Fahrgast zuzulassen ist.
Jede reinlich gekleidete Person ist als Fahrgast zuzulassen. Zum Transport von Personen, welche mit ansteckenden Krankheiten behaftet sind, dürfen die Droschken nicht benutzt werden. Betrunkenen Personen kann die Fahrt verweigert werden.
§ 35
Vorrang unter mehreren Fahrgästen.
Von mehreren Fahrgästen hat derjenige, welcher die Droschke zuerst besteigt, den Vorrang.
Im Zweifel geht derjenige Fahrgast vor, welcher von der rechten Seite eingestiegen ist.
§ 40
Droschkenfahrten innerhalb des Polizei-Bezirks von Berlin
Jede Fahrt, welche dem Kutscher aufgegeben wird, ist, insofern nicht ausdrücklich eine langsamere Gangart verlangt wird, in einem Trabtempo von durchschnittlich wenigstens 160 Metern in der Minute auszuführen, selbst wenn durch vorübergehende Verkehrshindernisse Verzögerungen der Fahrt eintreten. Auf ungepflasterten und unchaussierten Wegen jedoch braucht der Kutscher nur in der Gangart zu fahren, welche die Beschaffenheit des Weges gestattet.
Bei Streitigkeiten über die Geschwindigkeit der ausgeführten Fahrt entscheidet, soweit nicht der letzterwähnte Ausnahmefall vorliegt, der amtliche Wegemesser von Berlin in der Weise, dass für jede Minute Fahrtzeit ein Farbenabschnitt des Wegemessers gerechnet, hierbei jedoch der Farbenabschnitt, in welchem die Fahrt begonnen, und derjenige, in welchem sie beendet worden ist, zusammen nur einmal einmal zum Ansatz gebracht werden.
Die Bezahlung der Droschkenfahrten erfolgt nach Maßgabe der Zeitdauer, während welcher, die Innehaltung der vorgeschriebenen Fahrgeschwindigkeit vorausgesetzt, die Droschke in Anspruch genommen worden ist, entsprechend den Bestimmungen des beifolgenden Tarifs. Zahlungen über de Tarif hinaus, insbesondere Trinkgelder, zu verlangen, ist den Kutschern verboten, desgleichen Vereinbarungen mit dem Fahrgaste zu schließen, durch welche ein höherer, als der tarifmäßige Fahrpreis festgesetzt wird.
Wird von dem Fahrgast nicht der zu befahrende Weg, sondern nur das Ziel der Fahrt angegeben, so hat der Kutscher den zu dem Ziele führenden kürzesten fahrbaren Weg einzuschlagen.
§ 44
Das Rauchen während der Fahrt, gleichviel, ob die Droschke besetzt ist oder nicht, ist dem Kutscher untersagt.
§ 45
Der Kutscher ist berechtigt, von dem Fahrgast oder von Demjenigen, der die Droschke vom Halteplatz abholt oder bestellt, vor Antritt der Fahrt die Bezahlung des niedrigsten, nach dem Tarif möglichen Fahrgeldes zu verlangen. Verpflichtet aber ist er, den vollen Fahrpreis vor Ankunft am Ziele einzuziehen bei allen Fahrten nach den Theatern, den Eisenbahnhöfen, größeren Vergnügungslokalen und sonstigen Orten, an welchen ein größerer Wagenverkehr stattfindet.

Dieser Artikel erschien zuerst am 7. August 2012

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5 Kommentare

  1. @ ednong
    Danke für den Hinweis, jetzt sollte es funktionieren.

    @ Antara
    Vorher gab es in Berlin sogar öffentliche Sänften. Die Träger konnten einem sicher auch leid tun.

  2. Dank dieser Seite weiß ich jetzt, wie schnell eine droschke ungefähr fährt (10km/h). Was irgendwie schon echt langsam ist. Weshalb ich mich ja frage warum zu der zeit von sherlock holmes (kurz vor 1900) er nicht Fahrrad fährt. Das würde ja schneller gehen und es war zu der zeit auch schon gut entwickelt :D

  3. Hahaha… diese Regeln gelten ja wohl sinngemäß fast bis heute. Auch in manchen Köpfen. Durch sämtliche Epochen hat sich die preussische Gründlichkeit hierzulande behauptet. Wie dies politisch einmal geendet hat wissen wir alle. Erst die kürzliche Übernahme des Gewerbes durch andere Strukturen hat dies geändert. Heute fährt jeder 2. Taxifahrer ohne Ortskenntnis oder ohne alles. Bei einer der seltenen Kontrollen ist die Trefferquote der Schwarzfahrer extrem hoch. Und wie immer hat auch diese Medaille zwei Seiten. Heute gibt es viel mehr Freiheiten, aber eben auch Menschen die diese mißbrauchen. Von „Uber“ oder minderjähigen Menschen auf Elektrorollern im Straßenverkehr ganz zu schweigen. Da ist eine unmotorisierte Rikschafahrt fast wie eine Reise in die Vergangenheit. Andere Länder an dere Sitten. https://www.berliner-zeitung.de/stil-individualitaet/im-rikscha-takt-durch-hanoi-haben-vietnams-fahrradtaxis-ausgedient-li.245870

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