Wo Armut ist, wird gebettelt, das ist normal. Anders als noch vor ein paar Jahren ist es heute aber selten, dass jemand am Bahnhof Zoo die Taxis abklappert und nach ein paar Cent fragt. Das liegt sicher nicht daran, dass es heute weniger Arme gibt als noch vor zehn Jahren. Vielleicht geben die Taxifahrer heute nichts mehr, obwohl es früher sicher auch nicht viel besser war. Das Elend ist jedenfalls noch immer sichtbar und wenn die Bahnhpolizei ihre Streife läuft, fliegen regelmäßig 10, 15 Obdachlose aus dem Bahnhof raus. Zehn Minuten später sind sie aber wieder drin.
Rein äußerlich gehörte der junge Mann nicht zu ihnen. Sauber gekleidet mit weißer Jacke, einer Umhängetasche, etwa 20 Jahre alt, lief er die Taxis ab, ohne jedoch einen meiner Kollegen anzusprechen. Ich stand etwa an der achten Position. Bei mir blieb er stehen und fragte durch’s offene Fenster nach 50 Cent. Während ich die Geldbörse rauszog, wollte er wissen, ob ich eine Notunterkunft wüsste. Die in der Franklinstraße wollte er aber nicht, die Alkoholiker dort wären ihm zu eklig. Der Jugendnotdienst war überfüllt und die Notübernachtung in der Lehrter Straße war schon geschlossen. Gegen Mitternacht ist es schon schwierig, noch irgendwo unterzukommen. Er tat mir leid, zumal ich solche Situationen auch aus eigener Erfahrung kenne und froh war, wenn ich endlich einen Schlafplatz gefunden hatte. Andererseits machte er einen recht zufriedenen Eindruck, fast schon fröhlich, offenbar kann er mit seiner Situation ganz gut umgehen. Wir unterhielten uns ein paar Minuten, er erzählte ein bisschen, dass er vor einer Woche bei seiner Ex-Freundin rausgeflogen ist, kurz nachdem sie zusammengezogen waren. Dass er eigentlich noch zur Schule geht, aber jetzt keine Kraft dazu hat. Dass er von nirgendwo Geld bekommt. Dass seine Familie aus Alkies und Junkies besteht und er dort keine Hilfe zu erwarten hat. Dann verschwand er mit einem freundlichen Lächeln und der 2‑Euro-Spende.
Kurz danach sah ich ihn an der Taxischlange nebenan. Wieder ging er schüchtern Wagen für Wagen ab, erst beim sechsten blieb er stehen und sprach den Fahrer an. Auch dort entwickelte sich ein kurzes Gespräch, dann steckte er eine Münze ein und verließ den Taxistand. Vorher winkte er nochmal zu mir herüber.
Es ist schon die Ausnahme, dass ein Kollege überhaupt etwas gibt, die meisten öffnen ja nicht mal das Fenster. Der Junge hat bei rund 20 Taxis gerade mal zwei Fahrer angesprochen und beide Male Erfolg gehabt. Anscheinend ahnt er schon, bei dem sich das Ansprechen gar nicht erst lohnt. Ich hoffe jedenfalls, dass er das nicht mehr lange machen muss und dass er bald etwas mehr Glück im Leben hat.
Ja, auch bei den Bettlern gibt es sone und solche. “Deinem” wünsche ich von ganzem Herzen, dass es bald wieder besser läuft.
Ist doch eigentlich sowieso merkwürdig, daß es überhaupt Bettler gibt — wo wir doch einen Sozialstaat in blühenden Landschaften haben!
Früher hat sich Betteln noch gelohnt;)
Eine alte Bekannte aus der Punkszene hat mir mal gesteckt, daß sie zu guten Zeiten durchaus 50–80 Mark/Stunde damit machen konnte.
Und bettelnde Obdachlose: lieber betteln sie, als vorm Amt zu Kreuze zu kriechen. Es hat irgendwas mit Unabhängigkeit zu tun (und für diese nehmen sie durchaus Nachteile in Kauf).
btw: ein mir bekannter Inder, der mal für ein Projekt hier war, meinte nur “ich kann Eure Bettler nicht ernst nehmen, die haben ja noch alle Arme&Beine”.