Reiche Prolls

Walpurgisnacht, mein Chef hatte mich gebeten, mich hübsch vom Mauerpark fernzuhalten und am 1.-Mai-Abend auch von Kreuzberg. Klar, ein ausgebranntes Taxi bringt wenig Geld und selbst wenn nur die Reifen kaputt sind, ist die Schicht vorbei. So hab ich mich dann in den ersten Stunden brav im Westen aufgehalten, doch dann wollte jemand ausgerechnet zur Rheinsberger Ecke Schwedter, also musste ich in die Höhle des Löwen. Schon auf dem Weg standen überall Polizeiwagen, der Himmel war taghell, soviel Scheinwerfer hatte die Staatsmacht aufgestellt. Gerade als ich umdrehen und wegfahren wollte, kamen von hinten mehrere Mannschaftswagen mit Blaulicht an – und zwar auf beiden Fahrspuren. Blieb nur noch die Flucht nach vorn, Richtung Oderberger oder Bernauer Straße. Doch da stand ich sofort mitten in einer Menge jugendlicher Dorfprolls, mehrere hundert von ihnen bevölkerten den Platz. Ein besonders hübsches Exemplar klopfte auch gleich ans Fenster und wollte wissen, ob ich ihn für 2,50 Euro zum Alexanderplatz oder nach Friedrichshain fahren könnte. Ich lachte nur und sagte „nee, das wird nix.“ Die Stimmung auf der Kreuzung war friedlich erwartungsvoll, wie kurz vor einem Konzert, gespannt. Aber statt einer Band trat der Polizeilautsprecher in Aktion, der mich aufforderte, die Kreuzung zu verlassen. Alle Leute schauten zu mir und mussten lachen, denn der einzige offene Weg wäre der, wo die Mannschaftswagen standen. Nach vorsichtigem Wenden stand ich dann den beiden Wagen gegenüber und nun machten sie endlich den Weg frei. Nur raus hier.
Kurz danach landete ich am Bangaloo, einem Edel-Club am Nordbahnhof, der in der einstigen Post-Schalterhalle residiert. Der Eingang beleuchtet, ein freies Taxi davor, das sah gut aus. Vor der Tür vergnügten sich einige junge Frauen, schick und trotz der nicht mehr eisigen Temparatuen eindeutig zu leicht bekleidet. Farbenfroh wird die neue Saison, das ist schon mal klar. Ich kenne solche Damen, sie haben oft nicht viel im Kopf, dafür umso mehr auf dem Konto und ihre Lover unterscheiden sich nicht davon. Die Reichen und Schönen sind so schön nicht, denn die Ausstrahlung macht die Schönheit. Und eine aufgebrezelte Schaufensterpuppe macht nun mal nicht viel her, selbst wenn sie selbstständig sprechen kann. Drei von ihnen kamen zu mir, öffneten die hintere Tür und plapperten erstmal munter weiter. Ich erfuhr in der kurzen Zeit, dass Torsten nicht mit darf, weil er ein Arschloch ist, und Monique ebenfalls. Außerdem ist der Hackesche Markt viel zu prollig, was aber von den anderen sofort abgestritten wurde, sie wollten da hin. Parallel dazu unterhielten sie sich darüber, dass das mintfarbene Kleid der einen Lady über dem Busen zu sehr spannt, was man nach Aussagen der anderen auch sieht. Den Rest der Unterhaltung habe ich verdrängt. Nach etwa zwei Minuten entschieden sich die Schnatterinchens, doch da zu bleiben und gingen ohne ein Wort zu mir zu sagen zurück in den Club. Die Autotür ließen sie offen.
Ich hatte genug davon und entschied mich, weiter durch die Nacht zu cruisen. Gegen 1 Uhr landete ich am Ritz Carlton, kein Taxi am Stand, ich blieb stehen, direkt mit Blick auf den Eingang. Ein Hauch von Monaco liegt in der Luft, wenn die Reichen feiern, nur waren die Frauen hier nicht um die 20, sondern schon zehn Jahre älter. Aber sie gaben sich genauso wie die vor dem Bangaloo, aber prolliger. Vier kamen heraus, Sektgläser in der Hand wie Hooligans ihre Bierflaschen. Laut gröhlend liefen sie zwischen Hotel und Sony-Center herum, machten sich über andere Passanten lustig, tanzten auf dem Platz. Als sie wieder zum Hotel gingen, kamen zwei Männer in schwarzen Anzügen auf sie zu, ganz seriös gekleidet und lachten gequält über die Furien. Aber sie gehörten zu ihnen, küssten sie und führten sie ins Gebäude. Kurz danach waren es zwei junge Kerle, auch schwarz beanzugt, mit weißem Hemd und Krawatte, Typ Mamis Liebling. Aber ihr Verhalten hätte Mutti bestimmt nicht gefallen, sie liefen die geparkten Autos entlang und hauten mit der Hand auf die Dächer, bis bei einem die Alarmanlage losging. Einer von ihnen hatte ebenfalls ein Sektglas in der Hand, das er quer über den Platz warf. Sie verschwanden hinter dem Bahn-Tower. Aus dem Ritz kamen nun zwei ältere Damen, auch aufgeputzt bis unter die Perücke, auch betrunken, aber wenigstens nicht so laut. Sie stiegen bei mir ins Auto und wollten – zum Ritz Carlton! Ich war mir nicht sicher, ob sie mich veralbern wollten oder wirklich so verpeilt waren. Mit dem Finger zeigte ich zum Hotel und sagte „und schon sind wir da!“. Sie meinten es aber ernst und sagten, dass ich endlich losfahren solle. Meinen Einwand, dass es nur ein Ritz Carlton in Berlin gibt und dass wir genau davor stehen, ignorierten sie. Eine giftete nach vorn, dass sie sich über mich beschweren würde, wenn ich nicht sofort losfahre. Einen Moment überlegte ich, ob ich mit ihnen eine Runde über den Kudamm drehen und dann wieder zurückkehren sollte, aber die Aussicht war mir dann doch zu viel, so lange mit den Damen im Auto zu fahren und das Theater am Ende vielleicht nochmal zu erleben. Also sagte ich, dass sie mir entweder ein anderes Hotel nennen oder aussteigen sollten. Wütend verließen sie das Taxi, gingen zum Doorman und beschwerten sich offensichtlich über mich. Er geleitete sie ins Hotel und als er rauskam, lachte er mir zu.
Kurz darauf stieg ein Mann ein, nicht betrunken, nicht laut, nicht affektiert, der auch wusste wo er war und wo er hin wollte. Es war eine Wohltat, die reichen Prolls hinter mir zu lassen.

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2 Kommentare

  1. danke für die nette Geschichte aus Berlin. Es ist schön aus der Ferne ein bißchen Berliner Luft zu schnuppern. Ich freue mich auf mehr!
    derKEX p Ö

  2. Zeichen der Verwahrlosung sind beim Wohlstandspöbel besonders bedrückend, denn man erwartet ja Besseres. Andererseits gilt der amerikanische Spruch: Winners never put other people down. Die Betreffenden haben es also nötig.

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