Meine Stammfahrgäste

Seit etwa zwei Wochen hat sich etwas verändert: Der Mai ist gekommen, die Bäume schlagen aus, plötzlich bekommen die Straßen wieder eine grüne Leibgarde oder sogar ein Blätterdach. Beim Fahren bleibt die Seitenscheibe offen und die Fahrgäste stöhnen entweder über die Hitze oder erfreuen sich am schönen Wetter. So wie die alte Dame, die an der Halte Turm/Strom immer ins letzte Taxi einsteigt, weil sie nur eine kurze Strecke fährt. Sie beschwert sich nicht über das Wetter, sondern über diejenigen, die sich übers Wetter beschweren. Ich fahre sie oft, alle paar Wochen, und kenne sie deshalb schon. Sie ist eine Frau, die fest im Leben steht und kein Verständnis für Klagen hat: „Sich erst über die Kälte aufregen und dann über die Hitze – na, das sind mir die richtigen!“ Immer wenn ich sie fahre macht sie Sprüche, meistens muss ich über irgendwas von ihr lachen.
Anders der junge Türke, der immer vom Wedding nach Neukölln will und jedesmal mit seiner Freundin telefoniert. Allerdings nicht immer mit der gleichen, die Mädels wechseln bei ihm recht oft. Die Probleme allerdings nicht, keine ist scheinbar bereit, den Pavian so kritiklos anzuhimmeln, wie er es sich wünscht. Von einer gleichberechtigten Beziehung will er aber nichts hören. Er sucht sich immer nur deutsche Freundinnen, sagt er, weil ihm die türkischen zu unselbstständig wären. Der Widerspruch fällt ihm nicht auf.
Mit dem Hotelmanager, den ich öfter von der Kantstraße zu seinem Arbeitsplatz Richtung Osten fahre, plausche ich besonders gern. Vor zwei Wochen begrüßte er mich mit den Worten: „Mit Ihnen fahre ich besonders gern!“ Das ist gut fürs Selbstbewusstsein.
Und dann gibts natürlich noch die Stamm-Nichtfahrgäste. Die Lady arbeitet für eine Sexbar, nicht edel, aber auch nicht heruntergekommen. Dort wo viele Taxis stehen taucht sie auf, klopft an jede Scheibe und tut sofort sehr vertraut. „Ach, hallo mein Lieber, wir kennen uns doch“, und dann versucht sie ins Gespräch zu kommen. Sie verteilt die Visitenkarte ihrer Bar, sagt dass man eine Belohnung bekommt, wenn man einen Fahrgast überredet, dort hin zu gehen. Es läuft immer genauso ab, sie tut mir ein bisschen leid, wie sie so Klinken putzen geht. Aber vielleicht ist es auch gar nicht so schlimm für sie, ich weiß nicht.
Wie bei Heinz. Er schleicht nachts in Charlottenburg herum, rings um den Savignyplatz, Kudamm, Kranzlereck. Schüchtern geht er – immer von vorn, weil er dann in die Autos schauen kann – an den Taxihalten die Reihe ab. Die meisten Kollegen ignoriert er und auch sie nehmen ihn nicht wahr. Dann aber bleibt er stehen, klopft an und fragt, ob man eine Kleinigkeit für ihn hat. Er ist dabei nicht aufdringlich, was ihn mir sympathisch macht. Von mir hat er schon ein paar Brote bekommen, ab und zu auch 50 Cent, und ein bisschen von meiner Zeit. Dann erzählt er von seinem Leben, das aber nicht so schicksalhaft ist, wie es zuerst den Eindruck hat. Er ist obdachlos, sagt er, aber das ist selbst gewählt. Er möchte es nicht anders und wenn es warm wird, so wie jetzt, dann ist es ihm gar nicht so recht. Weil er dann unter all seinen Klamotten schwitzt, die er ja immer am Körper trägt. So unterschiedlich sind eben die Gefühle im Mai.

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