Der Tunnel

Nachdem er vor sieben Jahren geöffnet wurde, machte bald ein Witz die Runde: „Wenn man in Berlin mal richtig allein sein möchte, fährt man einfach in den Tiergartentunnel.“
In den ersten Monaten wurde er tatsächlich kaum genutzt. Der Grund für die zaghafte Annahme der Strecke war, dass sie anfangs keinen Vorteil erkennen ließ. Vor allem die beiden südlichen Ausfahrten endeten nicht an den gewohnten Strecken, so dass sich viele erst mal orientieren mussten. Der Grund dafür, dass der Tunnel im Süden irgendwo am Ufer des Landwehrkanals endet, ist die Rückwärtsgewandtheit mancher Politiker – und er liegt in der Vergangenheit. Schon seit Mitte der 70er Jahre wurde durch massive Bürgerproteste verhindert, dass die Stadtautobahn von Steglitz kommend über Kreuzberg und Moabit in den Wedding weitergeführt wurde. Seitdem endet sie kurz vor dem Sachsendamm an der Friedrich-Gerlach-Brücke, die deshalb eigentlich überflüssig ist. Wäre die Autobahn weitergebaut worden, wäre sie genau gegenüber der Stelle an den Landwehrkanal gestoßen, wo heute der Tiergartentunnel endet. Und so dachten sich wohl einige Betonpolitiker, wenn erstmal der Tunnel fertig ist, ist es leichter, die Autobahn doch noch durchzusetzen, als Verlängerung nach Mitte. Das hat jedoch nicht geklappt, dafür musste aber eine neue Brücke über den Landwehrkanal gebaut werden, damit die Tunnelausfahrt überhaupt einen Sinn hat.

Heute ist der Tunnel voll, er ist eine gute Verbindung, z.B. vom Hauptbahnhof zum Potsdamer Platz oder weiter nach Kreuz- und Schöneberg, Neukölln oder Tempelhof. Und weil man da doch so schön fahren kann, missbrauchen ihn zahlreiche Taxi-Kollegen, um einen Umweg zu nehmen. Wenn sie aus der West-City kommen und Fahrgäste zum Hauptbahnhof bringen, ist der kürzeste Weg oben herum, Großer Stern, Bellevue, durch die Lüneburger Straße oder auch über Paul- und Invalidenstraße. Aber manche Kollegen fahren in betrügerischer Absicht, oder weil sie sich eben nicht wirklich auskennen, die Tiergartenstraße bis zum Kemperplatz durch und dann in den Tiergartentunnel. Der Fahrgast merkt ja hoffentlich nichts. Dabei ist es ein Umweg von fast einem Kilometer.

Im Tunnel selber ist es dann mittlerweile recht voll. Da wird dann bei der Einfahrt von manchen Schlaubergern gerne auch die gesperrte rechte Spur genutzt, in die sich dummerweise aber die Autos der zweiten Zufahrt einfädeln müssen. Die meisten Tunnelsperrungen wegen Unfällen gehen darauf zurück.
Nachts, wenn die Röhren leer sind, verwechseln viele den Tiergartentunnel mit einer Autobahn. Auch ich halte mich dann nicht an die vorgeschriebene, innerstädtische Standardgeschwindigkeit. Doch selbst bei angemessenen 70 Stundenkilometern rasen manche Kollegen an mir vorbei, mit vielleicht 90 km/h. Nur dass die Breite der Fahrspuren gar nicht auf diese Geschwindigkeiten ausgelegt ist.

Skurril ist es manchmal, wenn der Tunnel gesperrt ist. Das kommt fast täglich vor und überfordert anscheinend manchen Autofahrer. Selbst wenn die Schranke quer über die Straße geschwenkt wurde und darauf fünf große, rote Lampen blinken, heißt das für manche noch lange nicht, dass man nicht da langfahren soll. So kann man immer wieder Autos beobachten, die minutenlang vor der Sperre stehen – vermutlich, weil die Fahrer nicht in der Lage sind, die Zufahrt wieder zu verlassen und sich oben herum einen anderen Weg als den vom Navi befohlenen zu suchen.
Besonders bei schlechtem Wetter verirren sich gerne auch Mopeds und sogar Fußgänger in den Untergrund. Unvergessen ist aber die Nacht, als ich vor mir plötzlich einen Polizeiwagen mit eingeschaltetem Blaulicht sah, im Schritttempo fahrend, schlichen sie in der Mitte der beiden Fahrspuren bis zur Tunnelausfahrt Kemperplatz. Dort angekommen sah ich den Grund für die merkwürdige Fahrweise: Ein Fuchs rannte quer über die Gegenfahrbahn und verschwand in den schützenden Büschen des Tiergartens.

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