Taxi-Dienstag oder: Die Verschwörung der Weihnachtsfeiern

Immer wieder diens­tags fahre ich Taxi. Auch mitt­wochs, sonn- und montags, aber diens­tags eben auch. Und wenn ich sonst nichts zu berich­ten habe, schreibe ich halt auf, wie eine solche Taxi­schicht abläuft. Das habe ich schon 2007 und 2012 so gemacht. Alles nicht spek­ta­ku­lär, nur der alltäg­li­che Wahn­sinn.

1. Tour
Wie meis­tens beginnt meine Schicht am Haupt­bahn­hof. Heute etwas später, weil ich erst­mal das Auto sauber machen und mich dann durch den dich­ten Verkehr zum Bahn­hof durch­schla­gen musste. Aller­dings kam ich gar nicht bis dort hin. Gerade als ich neben dem Motel One aus der Lehr­ter heraus fuhr, brummte mein Handy: Fahrt­an­ge­bot über mytaxi, die Taxi-App, die für den Fahr­gast den Anruf bei einer Taxi-Funk­ge­sell­schaft über­flüs­sig macht.
Der Auftrag kam genau von diesem Hotel, obwohl mir auf dem Display noch eine Entfer­nung von 700 Metern ange­zeigt wurde. Egal. Mitten auf der Kreu­zung legte ich einen elegan­ten U‑Turn hin, zwang dabei noch einen Poli­zei­wa­gen zum Brem­sen und musste dann noch ausge­rech­net neben ihm halten, weil das Hotel keine vernünf­tige Vorfahrt hat. In der Wanne disku­tier­ten sie offen­bar darüber, ob sie mich erst­mal zur Brust nehmen, aber die Faul­heit siegte und meine Schicht war nicht schon gleich am Anfang versaut. Sehr schön.
Aus dem Hotel kam ein Mann auf mich zu, ca. 50 Jahre, eine Froh­na­tur, das sah ich ihm gleich an. Ins Café Einstein Unter den Linden wollte er. Nicht weit, aber für den Anfang ok. Um dort­hin zu kommen, muss man unter dem Bahn­hof durch und sich dann über die Rein­hardt­straße und ein paar andere zur Neustäd­ti­schen Kirch­straße durch­schlän­geln, an deren Ende das Café liegt. Soweit die Theo­rie. Aber schon mehrere hundert Meter vor dem Beginn der Rein­hardt­straße stan­den die Autos im Stau. Mein profes­sio­nel­les Brem­sen und gleich­zei­ti­ges Wenden wurde von meinem Fahr­gast mit viel Lob bedacht: “Sowas krie­gen die Taxi­fah­rer bei uns in Hanno­ver nicht hin.” Danke.
Leider war die Aktion vergeb­lich, denn auch die Stre­cke an der Schwei­zer Botschaft vorbei war dicht. Voraus­sicht­li­che Warte­zeit: 20 Minu­ten plus. Ich konnte meinen Fahr­gast davon über­zeu­gen, dass es nicht sinn­voll wäre, hier den Abend zu verbrin­gen. Also folgte die dritte Wende, dies­mal gings zum Reichs­tag und an der Ostseite ließ ich ihn laufen, zusam­men mit einer Wegbe­schrei­bung für die letz­ten 300 Meter.

2. Tour
Da der Weg nach Mitte unpas­sier­bar war, fuhr ich zurück zum Haupt­bahn­hof und sammelte dort nach 10 Minu­ten zwei junge Damen ein. Die waren eben zu Fuß vom selben Hotel herüber gekom­men und woll­ten in den Fried­richs­hain. Aller­dings nicht zum Baller­mann, sondern in ein feines Restau­rant, das ein biss­chen am Rande liegt. Mit denen fuhr ich aber den Weg über Inva­li­den- und Torstraße, was erstaun­lich schnell ging, obwohl es hier eigent­lich auch immer zuge­staut ist. Die Wege der Berli­ner Auto­fah­rer sind eben uner­gründ­lich.
Meine beiden Fahr­gäste waren jeden­falls sehr begeis­tert, von Berlin, aber ausdrück­lich auch von mir :-)
Sie kamen aus einem Dorf aus Hessen, waren zu ersten Mal in Berlin und die eine über­legte gleich hier­zu­blei­ben. Ihre Firma hatte das Restau­rant zu einer großen Weih­nachts­feier ange­mie­tet, auch die Fahrt und das Hotel bezahlt und deshalb konn­ten die beiden mit 7 Euro auch ein echt groß­zü­gi­ges Trink­geld geben.

3. Tour
In Fried­richs­hain ist um diese Zeit noch nicht viel los, also machte ich einen Abste­cher zum Ostbahn­hof. Nach nur 15 min. Warte­zeit stieg ein hübscher, dunk­ler, junger Mann ein, der mir gleich sein Tele­fon nach vorn reichte. Das kenne ich schon: Am ande­ren Ende der virtu­el­len Leitung erzählt dann jemand, wo es hinge­hen soll. In diesem Fall war es sein Bruder, die Kreu­zung in Trep­tow kannte ich, sogar das Restau­rant, an dem er wartete. Mein Fahr­gast erzählte, dass er ursprüng­lich aus Jorda­nien stammt, derzeit aber in Frank­furt am Main eine Ausbil­dung macht und dann wieder zurück in seine Heimat will. In Deutsch­land ist aber aber eigent­lich nur deshalb, weil er die Spra­che lernen möchte, die Ausbil­dung ist dazu das Mittel. Zwar ist er erst seit zwei Mona­ten in Deutsch­land, aber seine Deutsch­kennt­nisse waren schon echt gut.
Es war eine lustige Fahrt, weil er auch noch ein paar Witze erzählt hat, die er gelernt hat. “In Jordan gibt es nicht viele Witze”, sagte er. Tja, rätsel­haf­tes Morgen­land…

4. Tour
Jetzt begann erst­mal das Crui­sen. Trep­tow, Kreuz­berg, südli­ches Mitte, schließ­lich stellte ich mich ans Hotel Ritz Carl­ton am Pots­da­mer Platz. Hier hat man zwar oft den Geld­adel als Kunde, aber wenigs­tens kommt man am frühen Abend immer gut weg. Tatsäch­lich ging es bald mit zwei reichen Russin­nen nach Char­lot­ten­grad. Das ist ja eine beson­dere Spezies, die eigent­lich fast immer dem Kischee entspricht: Blond, arro­gant, Char­lot­ten­bur­ger. In diesem Fall waren sie aber recht nett und spra­chen sogar gutes Deutsch, was wirk­lich unge­wöhn­lich ist.

5. Tour
Von der Bleib­treu­straße aus ist es nicht weit zum Savin­g­y­platz, einer meiner liebs­ten Plätze in Berlin, nicht nur mit dem Taxi. Von hier aus bin ich schon wirk­lich in alle Rich­tun­gen gekom­men, inner­halb Berlins, aber auch über die Stadt­gren­zen hinaus. Dies­mal habe ich es auch fast geschafft.
Es war die erste Berli­ne­rin an diesem Tag und sie wollte nach Span­dau, Stadt­rand­straße — was sich nicht nur weit anhört, sondern auch ist. Bingo.
Anders als die jungen Damen vorhin hatte sie die Weih­nachts­feier gerade hinter sich. Auch sie war extrem gesprä­chig, ich könnte jetzt ihre halbe Fami­li­en­ge­schichte aufschrei­ben. Trotz­dem war auch dies eine ange­nehme Fahrt, weil sie eine von den Frauen ist, die wirk­lich mit beiden Beinen im Leben stehen (obwohl ich ihre Stand­fes­tig­keit an diesem Abend eher als einge­schränkt bezeich­nen würde). Ich mag solche Menschen, sie sind nicht so ober­fläch­lich, nicht so auf die schi­cke Fassade bedacht.
Vor allem disku­tier­ten wir darüber, wie man sich trotz Unsi­cher­heit in einem großen Kreis­ver­kehr durch­setzt, und auch, wie man bei einer Verkehrs­kon­trolle trotz Haschisch­kon­sum den Poli­zis­ten davon über­zeugt, keine Blut­probe zu nehmen. Sie konnte da aus eige­ner Erfah­rung berich­ten.

6. Tour
Span­dau ist nicht gerade meine Traum­ge­gend, was das Taxi­fah­ren betrifft. Letz­tes Silves­ter habe ich hier zwar fünf Stun­den verbracht , was sich wirk­lich gelohnt hat, aber an norma­len Tagen fühle ich mich dort nicht wohl. Also cruiste ich gemäch­lich zurück Rich­tung Char­lot­ten­burg. Gegen 22 Uhr hat am Theo­dor-Heuss-Platz das Thea­ter Wühl­mäuse Feier­abend und tatsäch­lich ström­ten gerade die kulti­vier­ten Massen heraus. Und kein Taxi in Sicht. Norma­ler­weise kommen hier wenigs­tens zwei, drei Wagen weg, dies­mal aber wartete ich verge­bens. Alle gingen zur U‑Bahn oder ihrem eige­nen Auto. Nach 15 Minu­ten zog ich etwas frus­tiert ab, aber schon 100 Meter weiter wink­ten mich ein älte­res Ehepaar. Obwohl ich direkt vor dem Eingang gestan­den habe und sie zwangs­läu­fig an dem Auto vorbei muss­ten, hatten sie das Taxi nicht bemerkt. Egal, wir hatten uns ja nun gefun­den und ich brachte sie in ihr beschau­li­ches Vietel im Grune­wald.

7. Tour
Von dort den Kudamm runter, an der Halte Leib­niz­straße fuhr gerade das einzige Taxi weg. Kaum stand ich dort, stieg auch schon ein Geschäfts­mann ein, zum Schwei­zer­hof. Lob für das milde Wetter in Berlin. Danke, ich gebe mir Mühe.

8. Tour
Auch vor diesem Hotel ist eine Taxi­halte, abends lohnt es sich aber nicht, dort zu warten. Statt­des­sen ist der Halte­platz gegen­über am Inter­Conti ganz gut, aber dies­mal stan­den dort etwa zehn Taxen — eineu­tig zu viel. Deshalb schaute ich wieder bei Ritz Carl­ton vorbei und hatte auch bald ein Pärchen im Wagen. Auch sie kamen von einer Weih­nachts­feier, irgend­wie muss das eine neue Mode sein… Leider woll­ten sie nicht beson­ders weit, am Check­point Char­lie hatten sie ihr Auto stehen.

9. Tour
Gegen 23.15 Uhr stellte ich mich an 7. oder 8. Stelle an den Taxi­stand am Axel-Sprin­ger-Verlag an. Das ist eine gute Zeit, voraus­sicht­li­che Warte­zeit viel­leicht 20 Minu­ten. Es wurde aber nur eine, per mytaxi bekam ich einen Auftrag in der Schüt­zen­straße. Wieder ein junger Mann, wieder von einer Weih­nachts­feier, haben die sich alle abge­spro­chen? Er stammte aus Lübeck und wohnt jetzt in der Lübe­cker Straße, worüber er mir einige philo­so­phi­sche Erklä­run­gen vortrug. Zum Glück verging die Fahrt recht schnell, denn es war wirk­lich anstren­gend. Nicht, dass man mir niemals Abschwei­fun­gen vorwer­fen könnte, aber DAS ging echt zu weit.

10. Tour
Und dann war erst­mal Schluss. Ich fuhr zum Bahn­hof Zoo und stellte mich als 8. Wagen in die Reihe. Nach einer halben Stunde war ich Sechs­ter und hatte keine Geduld mehr. Crui­sing durch die Kant­straße, Neben­stra­ßen, Kudamm, über­all tote Hose. Nach unge­fähr 1 1/2 Stun­den ohne Fahr­gast stand ich wieder am Pots­da­mer Platz. Hier bestieg mich ein hete­ro­se­xu­el­les Pärchen, das nach Fried­richs­hain wollte. Na also, es geht doch. Offen­sicht­lich waren sie beide schon seit Langem ohne Sex (viel­leicht drei Stun­den oder so), jeden­falls musste ich während der Fahrt die Heizung runter drehen, um die beiden etwas abzu­küh­len. Ich habe ja nichts dage­gen, wenn sich zwei Menschen ganz doll lieb haben, aber im Taxi sollte es trotz­dem gewisse Gren­zen geben.

11. Tour
Mitt­ler­weile war es 1.30 Uhr, meinen Mindest­um­satz von 100 Euro hatte ich längst drin. Ich beschloss, Feier­abend zu machen. Aller­dings wunderte ich mich, wieso an der Kreu­zung Danzi­ger Straße und Landes­ber­ger Allee so viele Menschen waren. Und alle kamen sie vom Velo­drom. Irgend­wie ist das nicht die Zeit, dass da Veran­stal­tungs­ende ist, außer beim 6‑Tage-Rennen, aber das war jetzt nicht. Um mal zu kucken fuhr ich also hin und wurde auch gleich von zwei Küken geen­tert. Die beiden Mädels waren zusam­men­ge­zählt sicher schon im Puber­täts­al­ter und woll­ten nach Kreuz­berg in ihr Hostel. Sie sangen irgend­wel­che schreck­li­chen Schla­ger und erst als ich ein biss­chen nach­hakte erzähl­ten sie, dass es im Velo­drom seit 20 Uhr eine TV-Aufzeich­nung mit der Schla­ger­sän­ge­rin Helene Fischer gab und dass sie manche Sachen mehr­mals gesun­gen hat, dass super Stim­mung war, dass Helene über­haupt sooo toll ist, und so weiter. Mich hat daran vor allem der Satz inter­es­siert, dass noch ein paar hundert Fahr­gäste unten stehen und auf Taxis warten.

12. Tour
Deshalb wurde der Feier­abend also verscho­ben und ich fuhr nach dem Abla­den der jungen Damen mit höchs­tens dem Doppel­ten der erlaub­ten Geschwin­dig­keit zurück zum Velo­drom. Die Gier trieb mich, nach Geld und weite­ren Geschich­ten über Helene Fischer. Und diese Gier wurde befrie­digt.
Die Taxi­vor­fahrt des Velo­droms befin­det sich im Keller. Dort ange­kom­men stan­den nicht Hunderte, aber wenigs­tens noch genau vier Perso­nen. Wer mich kennt weiß, dass ich nicht gerade der Schlan­kes­tes bin. Dass aber in meinen klei­nen B‑Klasse-Merce­des noch vier Perso­nen passen, die alle geschätzt 50 bis 70 Prozent Über­ge­wicht hatten, hat mich schon erstaunt. Ich musste wirk­lich lang­sa­mer als normal fahren, wir haben die armen Stoß­dämp­fer wohl ans die Grenze der Belas­tungs­fä­hig­keit gebracht. Und auch meine psychi­sche Belas­tungs­grenze war erreicht, weil zwei der vier Sach­sen anfin­gen, Lieder von Hele­nie Fischer zu singen. Natür­lich in erbärm­li­cher Quali­tät und nicht etwa gemein­sam, sondern jeder ein ande­res Lied.
Wenigs­tens ging die Tour ins west­li­che Kreuz­berg, was noch­mal ein biss­chen Geld in die Kasse spülte. Danach war ich aber wirk­lich reif für den Feier­abend. Zu Hause ange­kom­men musste ich mir erst­mal die Ohren ausspü­len.

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Zufallstreffer

2 Kommentare

  1. Dein Beitrag beweist es wieder einmal: Es gibt in Sach­sen wirk­lich viele, viele Kranke.
    …Ich meine natür­lich wegen des Über­ge­wich­tes!

  2. Ja, Weih­nachts­fei­ern und kein Ende. Ich habe am Diens­tag meine letzte in dieser Saison. Dann noch eine knappe Woche und dann ist erst mal wieder Schluss mit diesem Brauch.
    Kopf hoch Aro, gleich danach kommt dann Taxi­fah­rers Hoch-Zeit ;-)

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