Eine Straße in Marzahn

Ceci­lie — das ist erst mal ein schö­ner Frau­en­name. Die heilige Cäci­lie, die Himmels­li­lie (coeli lilia), spielt seit dem 15. Jahr­hun­dert wunder­bar auf einer Hand­or­gel, zum Beispiel in der Gemäl­de­ga­le­rie in Tier­gar­ten auf einem Bild von Rubens. Aber an sie sollen wir hier in der Ceci­li­en­straße gar nicht denken, sondern an die letzte deut­sche Kron­prin­zes­sin, eine Herzogs­toch­ter aus Schwe­rin; 1884 gebo­ren, in den 50er Jahren gestor­ben, 1905, also 21 Jahre alt, heira­tete sie den ältes­ten Sohn von Wilhelm II., der jeden­falls ein böses Stück des Ersten Welt­kriegs mit auf dem Gewis­sen hat; 1918 floh er sang‑, klang- und verant­wor­tungs­los nach Holland. Der Kron­prinz, also der Mann von unse­rer Ceci­lie, war — abge­se­hen davon, dass er als soge­nann­ter Heer­füh­rer auch den Tod von ein paar Zehn­tau­sen­den zu verant­wor­ten hat — ein wenig bedeu­ten­der Mann. Er scheint keine beson­de­ren Inter­es­sen zu haben, halb Englän­der, halb Sports­mann, sagte der Hofmar­schall von Zedlitz-Trütz­schler, der die Ehefrau Ceci­lie (die er wie die Heilige immer mit einem ä schreibt) “sehr liebens­wert, klug und fein­ge­bil­det” nennt. Die Hoch­zeit dieses Adels­paa­res war 1905, sie verlief “glän­zend und gut”; Bies­dorf wollte das “Werder des Ostens” werden, da war ein Stra­ßen­name, der an ein Klat­sch­ereig­nis anknüpfte, ein Aufmerk­sam­keits­ha­scher: also hieß die 1901 ange­legte Straße Nr. 14 seit 1906 eben Ceci­li­en­straße. Ein biss­chen komisch ist es schon, dass sie immer noch so heißt. Viel­mehr sie heißt wieder so. Aber sollte sie heute noch nach Albert Norden heißen? Oder nach Max Beer, der angeb­lich von 1949 bis 1954 den Stra­ßen­na­men hergab. Seit 1992 glaubt die Stadt Berlin wieder, dass sie eine Kron­prin­zes­si­nen­straße braucht. Der Ceci­li­en­hof in Pots­dam heißt auch nach ihr; dort ist das Ende des Deut­schen Reiches unter­schrie­ben worden. Was sollen die norma­len Menschen mit den Namen, die die Obrig­kei­ten ihnen vorset­zen? Einfach hinneh­men, nicht darüber nach­den­ken?
Die Ceci­li­en­straße ist jeden­falls eine Marzah­ner Zentral­straße. Ich habe sie am Frei­tag — ange­reist mit der U5 bis Kauls­dorf Nord — vom Anfang bis Ende durch­wan­dert. Nicht das ganze Stück zu Fuß. Für Teil­stü­cke habe ich den 191er benutzt. Machen Sie diesen Stadt­gang doch auch, liebe Lese­rin, lieber Leser; wenn Sie nicht ohne­hin Marzahn­e­rin, Marzah­ner sind, lernen Sie viel über Berlin, was Sie auch an ande­ren Stel­len der Stadt gut gebrau­chen können.

Die Ceci­li­en­straße beginnt in Hellers­dorf, an der Lily-Braun-Straße. Lily Braun übri­gens, die Sozia­lis­tin mit adeli­ger Herkunft, lernte die Kron­prin­zes­sin kennen, als die noch ein Kind war, in Schwe­rin, “in engs­ten geis­ti­gen Verhält­nis­sen”. Dieses Hellers­dor­fer Stück der Straße hieß jeden­falls vor 1992 nie nach der Prin­zes­sin, weil es dieses Stra­ßen­stück erst seit 1986 gibt, mit dem kommu­nis­ti­schen Namen, der nicht mehr oppor­tun ist. Die Straße verläuft von da nicht gera­de­hin. Ihr jüngs­tes Teil­stück weist schon in die leichte Nord­rich­tung, die die Straße, an Kumme­rower Ring und Ehm-Welk-Straße vorbei, über Wuhle und Bezirks­grenze nach Bies­dorf Nord nimmt. Die Klein­gär­ten ziehen sich dicht an den Erho­lungs­park Marzahn heran mit dem Kien­berg, der so eindrucks­voll daliegt, dass man ihm mehr als die 100 Meter zutraut, die er offi­zi­ell hoch ist: eine schöne land­schaft­li­che Gegend: in der Jugend der Kinder aus der Fallada- und Ringel­natz­straße könnte sie eine ganz unstäd­ti­sche Rolle spie­len. Die Sied­lung an diesen beiden Stra­ßen ist neu; 1992 bis 1995 als erstes Neubau­pro­jekt der Wohnungs­bau­ge­sell­schaft Marzahn errich­tet; die Archi­tek­ten, die ihre Sache gut gemacht haben, heißen Dörken und Heise; die inter­es­sante Hofge­stal­tung ist vom Büro Extern. Die Häuser mit den Halb­ton­nen­dä­chern errich­ten eine Mehr­stö­ckig­keit am Rande eines Ein- und Klein­haus­ge­län­des, das sich auf der nörd­li­chen Seite der Ceci­li­en­straße über den Blum­ber­ger Damm hinaus bis ans Stra­ßen­ende an der Allee der Kosmo­nau­ten erstreckt. Die Sied­lung von Sieg­mar- bis Marat­straße hat eine eigene Geschichte, die bis in die Weima­rer Repu­blik zurück­reicht, teil­weise wird sie Stadt­rand­sied­lung genannt, Arbeits­lo­sen­sied­lung ist ein Name, der geschicht­lich vorkommt: Er steht für ein ganz typi­sches Berli­ner Wohn­ar­ran­ge­ment: ein Dahlem klei­ner Leute, des Häuser- und Garten­in­di­vi­dua­lis­mus; viel persön­li­cher Stolz wird hier wohnen über das endlich Geschaffte und Geschaf­fene; auf die hohen Tabak­pflan­zen vor der Terrasse, auf die dicht tragen­den Walnuss­bäume und die saube­ren Rosen. Es gibt nicht wenige solcher Gebiete in Berlin. Obwohl man dort immer Leute sieht, die an dem Ihren arbei­ten und nicht fertig sind, sind sie doch in ihrer Struk­tur so fertig und geschlos­sen, dass man bestimmt nicht weiß, wie in Berlin gedacht wird, wenn man nicht weiß, wie die Leute hier (oder in Buckow oder in Span­dau in solchen Quar­tie­ren) denken.

Gegen­über der “Tonnen­sied­lung” (“Zeppe­lin-Sied­lung”, “Loko­mo­tiv-Schup­pen­sied­lung” und — nach dem Ex-Bause­na­tor — sogar “Nagel-Sied­lung” sollen andere Namen sein) über­quere ich die Ceci­li­en­straße, um auf der Südseite das kleinste der kompak­ten Marzah­ner Wohn­ge­biete zu errei­chen, das sich von hier bis zum Buckower Ring erstreckt: über 2.500 Wohnun­gen. Es ist ein geschlos­se­nes, sozu­sa­gen in sich ruhen­des Areal, dessen glän­zend weiße Hoch­stö­cker Höfe und Innen­an­la­gen in fast zu inti­mer Stadt­wir­kung umschlie­ßen. Schön oder wenigs­tens inter­es­sant reno­viert von der Berlin Bran­den­bur­gi­schen Wohnungs­bau­ge­nos­sen­schaft stehen sie da, beson­ders wirkungs­voll zusam­men­ge­fasst in der Wuhle­straße durch ein wegen seines guten Quali­täts-Preis-Verhält­nis­ses preis­ge­krön­tes rotfas­sa­di­ges Quer­haus, das unter 45 Wohnun­gen eine Geschäfts­straße bildet, einige Laden­lo­kale sind noch frei; der ausge­zeich­netste Ort ist das Eiscafé, in das wir jetzt auch einkeh­ren. Fast alle Tische sind besetzt. Zwei junge taffe Frauen mana­gen den Laden, Kaffee, Kuchen, klei­ner Imbiss, gutes Eis, ordent­lich serviert, vier Luft­fil­ter surren an der Decke. Ihr Sohn hätte eine Eins im Rech­nen krie­gen können, erzählt uns die Servie­re­rin, wenn er nicht so gleich­gül­tig wäre, es ist ihm egal ob er ’ne Eins hat oder nur ’ne Zwei. “Ist doch auch egal!”
“Einer­seits schon”, sagt die Mutter mit der leich­ten Armtä­to­wie­rung und lässt den Rest des Satzes in der Schwebe.
Hinterm Blum­ber­ger Damm wird die Ceci­li­en­straße rechts immer eigen­hei­mi­ger; links ein grün­fas­sa­di­ger Bau.
“Sieht aus wie ’ne Schule”, denn das Gebiet hat reich­lich Schu­len, scheint uns.
“Nee, dafür sieht’s zu triste aus.“
Es ist die ehema­lige Hoch­schule der Volks­po­li­zei, 1973 bis 1976 errich­tet, auf 17 Hektar; seit 1991 für fast 9 Millio­nen zur Landes­po­li­zei­schule rekon­stru­iert; jetzt ist die Poli­zei unsi­cher über die Rolle, die dieser Schule zukom­men soll: manch­mal denkt der Staat eben nicht in der rich­ti­gen Reihen­folge.
Die Straße über­quert die das Gebiet konsti­tu­ie­rende Ober­feld­straße, dann die Otto-Nagel-Straße, in der Otto Nagel tatsäch­lich gewohnt hat, und endet kurz hinter der Marat­straße als Auto­sack­gasse vor schö­nen Bäumen in einer so priva­ten Stim­mung, dass man fast verges­sen kann, dass nach dem schma­len Fußweg die auto­leb­hafte Allee der Kosmo­nau­ten kommt, die das alte Marzahn umarmt. Mit der Tram Nr. 8 brau­chen wir von dort kaum mehr als 20 Minu­ten bis zur S4, mit der wir Berlin südlich umrun­den. In weni­ger als einer Stunde sind wir am Kudamm. Die Ceci­li­en­straße hat uns einen schö­nen Nach­mit­tag berei­tet aus dich­tes­tem Berlin.

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