Am Kurfürstendamm, in dem freundlichen Behandlungszimmer des fürsorglichen Arztes, lagern heute morgen in den Therapiestühlen nur ältere Herren. Während die Infusionen langsam in die Venen tropfen, blättern sie unkonzentriert in Zeitschriften und blicken mürrisch in die Gegend, weil sie an die Geschäfte denken, die sie versäumen. Alle paar Minuten klingelt in anderem melodischen Ton ein anderes Handy. Schließlich sagt einer, dem es zu bunt wird: „Erst wollte ich mich verbrennen lassen. Aber jetzt nehme ich mir einen großen Sarg, mit Ladestation.“ Wir leben in einer Kultur des Klingelns und der Erreichbarkeit. Mir nützt es jetzt nichts, auf diesem kleinen Klingelwege jemanden zu erreichen oder erreicht zu werden. Es gibt Vorgänge im Leben, die können nicht beschleunigt werden. Der Stadtspaziergänger muss schließlich gehen.
Mein heutiges Ziel wäre das Schloss Britz gewesen. An sich sind Schlösser nicht meine bevorzugten Berlin-Spaziergangsziele. Berlin ist keine Stadt der Schlösser. Schlösser sind Highlights. Die Eigenarten Berlins sind keine Highlights. Das ist einer der wesentlichsten Unterschiede zwischen Berlin und anderen Metropolen der Welt. Wer wissen will, wie Berlin ist, der darf es nicht vor allem da suchen, wo es „schön“ ist. Schloss Britz war also die Idee von Jagusch, dem Fotografen. Fotografisch ist es was. Nein, es ist auch sonst ein Stadtort, bei dem man sich etwas denken kann.
Am U-Bahnhof Hermannstraße wäre ich von der U8 in den Bus 144 gewechselt. Von der Station Britzer Damm / Tempelhofer Weg wäre der Spazierweg bequem gewesen. Das Schloss ist eigentlich ein Gutshaus, vom Beginn des 18. Jahrhunderts. Mehrfach innen und außen baulich verändert, ist es heute schön renoviert. Man kann es als ein Beispiel bezeichnen. Als ein Beispiel für manche solcher Landschlösser um Berlin herum, die sich Mühe gaben, nicht zu übertreiben, die nicht protzten. Von dem Humboldt-Schloss in Tegel wollen wir gar nicht erst reden, wo Leute saßen, die dachten. Zu den bekannteren Eigentümern von Britz gehören zwei preußische Staatsminister. Der bedeutendere von ihnen hieß Hertzberg. Das war der Mann, der für Friedrich den Großen den siebenjährigen Krieg mit Frieden beendete. Ihm müsste man ein viel größeres Stück von dem Ruhm abgeben, den sein königlicher Herr dafür erlangt hat, dass er Preußen ziemlich verwüstet hatte. Hertzberg war der Mann, der den schönen Park um Britz errichten ließ, von dem die Lindenallee noch da ist. Er hat aus Schloss Britz eine bedeutende Landwirtschaft gemacht.
Das wäre die Geschichte, die sich über Schloss Britz erzählen ließe, diese und jene andere Einzelheiten natürlich auch noch wie um alle Orte, an denen Schlösser stehen. Dafür haben wir Theodor Fontane. Aber der Stadtwanderer, der nun diesen Stadtspaziergang schließlich bis zur U-Bahnstation Parchimer Allee zu Ende geht, der erfährt, dass eins der berühmtesten Beispiele des Wohnungsbaus aus der Weimarer Republik, die Hufeisensiedlung von Martin Wagner und Bruno Taut gerade hier, auf dem Landwirtschaftsgelände von Britz, liegt. 1924 hatte die Stadt Berlin die Ländereien gekauft, um anständige Wohnungen zu schaffen für die, die bisher nur die Lasten der Kriege und der Schlösser getragen haben. Martin Wagner ist in den Vereinigten Staaten als Professor gestorben. Nach dem Zweiten Weltkrieg hat ihn im Bonner Deutschland niemand mehr haben wollen, auch in Berlin konnte man ihn nicht gebrauchen, man wusste es selber besser. Dieser Spaziergang könnte mit einem Schuss Bitterkeit enden. Aber ich konnte ihn gar nicht unternehmen. Hoffentlich komme ich bald wieder auf die Beine.
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