Wer erfolgreich ist, muss aufpassen, dass er den Bogen nicht überspannt. Genau das aber hat der Vermittlungsdienst mytaxi getan: Seit gut zwei Jahren können die potenziellen Fahrgäste per Handy-App ein Taxi ordern, per GPS wird ihr Standort ermittelt, auf dem Display kann man die Anfahrt des bestellten Wagens verfolgen. Notfalls können Fahrgäste und Taxifahrer sogar direkt miteinander telefonieren. Alles toll und unkompliziert.
Von Fahrerseite aus ebenfalls, weil man nicht auf eine einzige Funkgesellschaft angewiesen ist, so dass man mehr Aufträge erhält. Allerdings muss man für jede vermittelte Tour 94 Cent zahlen, fast doppelt so viel wie bei den Funkgesellschaften. Kurze Touren lohnen sich dadurch noch weniger, wenn man von den z.B. sechs Euro Umsatz Zweidrittel dem Chef und fast einen Euro an mytaxi zahlen muss.
Zum 1. Februar hat die Firma ein neues Bezahlmodell eingeführt, und zwar eines, bei dem sie noch mehr verdienen können. Der Fahrer muss künftig einstellen, wieviel Prozent des Umsatzes er an mytaxi abgibt. Die Vorgabe war 3 bis 30 Prozent. Offenbar nach ersten Protesten wurde die Obergrenze auf 15 Prozent reduziert. Das Taxi, das den höchsten Prozentsatz eingestellt hat und in der Nähe ist, bekommt dann den Zuschlag. Vorher war ausschlaggebend, welcher Wagen am nächsten am Kunden ist, damit er möglichst kurz warten muss. Durchschnittlich habe ich bisher etwa 10% des Umsatzes an mytaxi abgegeben.
Wer künftig einen Auftrag haben möchte, ist faktisch gezwungen, den Satz auf 15% einzustellen. Dafür bekommt er aber kaum etwas von Gewinn ab. Wer jedoch einen niedrigeren Prozentsatz einstellt, wird dafür lange auf einen Auftrag warten können. Ausgerechnet die Taxifahrer, die eh schon wenig verdienen, soll sich nun noch mehr Konkurrenz machen als bisher und freiwillig auf einen Teil ihres Gehalts verzichten. Und das Ganze nennt sich auch noch frech “Fairmittlungsgebühr”.
Besonders schäbig finde ich, dass mytaxi nicht nur am Umsatz mitverdienen wird, sondern auch am Trinkgeld. Es ist nämlich branchenüblich, dass das mit auf die Quittung geschrieben wird. Künftig soll der Fahrgast seine Quittung von mytaxi per E‑Mail bekommen. Dafür muss der Gesamtbetrag vom Fahrer eingegeben werden, denn der Fahrgast will natürlich eine Quittung inklusive Trinkgeld. Und mytaxi hält auch dabei die Hand auf.
Vermutlich werden viele Fahrer aber tricksen, um nicht noch mehr zahlen zu müssen, als bisher. Außerdem ist es rechtlich fragwürdig, dass der Fahrgast seine Quittung nicht mehr im Wagen bekommen soll, sondern von der Vermittlungsfirma.
Alles in allem halte ich die Entwicklung für sehr bedenklich. Es ist ein weiterer Schritt in Richtung Selbstausbeutung und Leistungsgesellschaft, und weg von menschenwürdigen Arbeitsbedingungen. Mit fair hat das nichts zu tun, eher mit Abzocke. Das sehen jedoch nicht alle so. Mein lieber Kollege Sash postete auf seinem Blog Gestern Nacht im Taxi einen Artikel zum Thema, der eine interessante Diskussion zur Folge hatte, weil Sash die Maßnahme von mytaxi eher positiv bewertet.
Wie schrieb doch Wahlberliner zu meinem Artikel von 2012 in seinem Kommentar: Der Fahrer als unterstes Glied in der Nahrungskette ist es, der die tatsächliche Produktivleistung erbringt.
Sehr richtig!
Ich träume jetzt einfach mal von einer besseren Welt — und wenn sich alle Taxifahrer einigen nur 5% einzustellen? Immerhin möchte jeder möglichst viel in der eigenen Tasche behalten.