Missionare

Das Los des Taxi­fah­rers ist, dass er viel mehr steht als fährt. Manche stel­len sich nach jeder Tour gleich an die nächste Taxi­halte, um möglichst wenig Sprit zu verbrau­chen. Das hat den Nach­teil, dass man schnell an einem Ort landen kann, an dem es kaum Aufträge oder Einstei­ger gibt. Andere fahren stun­den­lang durch die Gegend, den Blick immer auf die Stra­ßen­rän­der gerich­tet, auf der Suche nach winken­den Fahr­gäs­ten.

Bei großen Taxi­hal­ten steht und fährt man: Wenn an der Spitze wieder ein, zwei Autos losge­fah­ren sind, zieht die Kara­wane vor. Das kann bei großen Taxi­stän­den wie z.B. am Haupt­bahn­hof bedeu­ten, dass man viel­leicht 20 mal den Motor star­tet, Schal­tung einstellt, ein paar Meter vor fährt und den Motor wieder ausschal­tet. Gerade wenn das stän­dig passiert und man jede Minute etwas vorrückt, schalte ich den Wagen gar nicht erst aus. Stän­di­ges Anfah­ren verbraucht mehr Diesel und belas­tet die Batte­rie.

Es gibt Kolle­gen, die machen das anders, kein Problem. Jeder muss das für sich selber entschei­den. Leider gibt es auch einen, der meint, seine Meinung ande­ren aufzwin­gen zu müssen. Er geht von Auto zu Auto und sagt im Befehls­ton: “Mach den Motor aus!” Das bleibt natür­lich nicht unwi­der­spro­chen. Als er bei mir ankam, klopfte er nicht etwa ans Fens­ter, sondern machte sofort die Tür auf. Das ist etwas, das ich über­haupt nicht haben kann. Ich zog sie also wieder zu, öffnete das Fens­ter und baffte ihn an: “Nimm deine Pfoten da weg!”
Der etwa 30-jährige Kollege ließ sich nicht beir­ren und befahl mir, den Motor auszu­schal­ten. Statt­des­sen aber fuhr ich weiter, weil vor mir wieder zwei Taxis vorge­rückt waren. Er lief hinter­her. Wieder verlangte er, ich solle den Motor ausma­chen. “Kümmere dich um deinen eige­nen Kram”, antwor­tete ich und zog wieder ein paar Meter vor.

Von ziem­lich weit hinten hörte ich ein Hupen, erst eins, dann immer mehr. Dort hatte sich eine ziem­lich große Lücke gebil­det, weil das Auto des Missio­nars ja nicht weiter­ge­fah­ren ist und nun alle nach­fol­gen­den Taxis behin­derte. Betont lang­sam schlen­derte der Kollege zurück zu seinem Wagen. Aus 30 bis 40 Meter Entfer­nung hörte ich, wie andere Kolle­gen hinten ihn anbrüll­ten — was ihn aber offen­bar nicht störte.

Ich finde es ja gut, wenn sich Menschen Gedan­ken über die Umwelt machen. Das gibt ihnen aber nicht das Recht, ande­ren ihre Form des Verhal­tens aufzu­zwin­gen. Wer mir mit auto­ri­tä­ren Metho­den kommt, hat sowieso schon verlo­ren. Das schlägt dann eher ins Gegen­teil um.

Genauso wie bei der Fahr­gäs­tin, die mich nach ein paar Metern Fahrt im aggres­si­ven Ton fragte, wieso ich solch eine sexis­ti­sche Musik höre. Mein Einwand, dass ich die engli­schen Texte im Radio nicht verstehe, ließ sie nicht gelten. Schließ­lich hätte ich die Verant­wor­tung dafür, was ich meinen Fahr­gäs­ten vorspiele. “Ich spiele nichts vor, das ist ein Radio”. Es war genau so süffi­sant gemeint, wie ich es gesagt habe.
“Trotz­dem haben Sie die Verant­wor­tung dafür!”
Einen Moment über­legte ich, ob ich mich auf die Ausein­an­der­set­zung einlas­sen sollte, aber ich hatte keine Lust darauf. Also schal­tete ich das Radio aus.
“Sie brau­chen es nicht auszu­schal­ten, ich möchte nur nicht diese sexis­ti­sche Scheiße hören.”

Viel­leicht war es ja ein sexis­ti­sches Lied, ich weiß es nicht. Im Rock­ra­dio kommen sicher nicht nur p.c.-gerechte Lieder, so wie auch nicht auf ande­ren Sendern.
“Ich muss mich auf den Verkehr konzen­trie­ren, da kann ich nicht auch noch gleich­zei­tig die Lieder zensie­ren. Tut mir ja leid.”
“Es geht nicht um Zensur”, zischte sie, aber man wird ja wohl noch Taxi fahren können, ohne gleich sexu­ell beläs­tigt zu werden.”
“Ich habe Sie ganz sicher nicht sexu­ell beläs­tigt. Das ist doch lächer­lich.”
“Ach, finden Sie, ja? Auch akus­ti­sche Beläs­ti­gung ist Sexis­mus!”
“Ja, ja, ist klar. Dann bleibt das Radio eben aus.”
Glück­li­cher­weise ging die Fahrt nicht allzu lang und die Dame stieg nach ein paar Minu­ten wieder aus. Beim Weiter­fah­ren habe ich gedacht, dass sie bestimmt ein sehr anstren­gen­des Leben haben muss, wenn sie immer so empfind­lich ist.

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3 Kommentare

  1. Ist ein schö­ner Text. Und eine interne Diskus­sion, die gerade wenn du dich in poli­tisch akti­ven Krei­sen bewegst, sehr häufig und oft geführt werden muss. Idea­list vs. Realist.
    Ich plau­der auch ma: Früher in unse­rem linken Jugend­haus hatten wir einen Verein gegrün­det, der damals einige, mitun­ter betracht­lich große Punk- und Hard­corebands in die Gegend brachte. Wir hatten gute Kontakte durch unsere eige­nen Bands, aber natür­lich hat das Ganze gekos­tet und daran entbrannte die Diskus­sion, ob wir weiter so defi­zi­tär die Sache laufen lassen soll­ten ‑die Getränke brach­ten die Gage nicht zurück — oder was am Eintritt schrau­ben. Das woll­ten in unse­rem Verein die Idea­lis­ten auf gar keinen Fall, da auch die Stras­sen­punks die Möglich­keit haben soll­ten sich die Musik anzu­hö­ren und vorbei­zu­kom­men. Deswe­gen sei der Verein damals gegrün­det worden, um allen die Chance bieten zu können, in der toten Gegend mal eine große Band zu sehen. Die Realis­ten mein­ten, dass der Verein so bald vor die Hunde gehen würde. Was er auch getan hätte, wenn die Bullen nicht irgend­wann gestürmt hätten, weil der Vereins­vor­sit­zende schließ­lich vorbe­straft war, was er in einem Verein nicht sein darf. Aber das ist ne andere Geschichte.
    Auf den Plenen gingen solche Diskus­sion, ob man auf 2 Euro erhö­hen solle mitun­ter über ganze Abende mit mehre­ren, nach­hal­tig gestör­ten Bezie­hun­gen unter­ein­an­der.
    Aber bewun­dert habe ich die Idea­lis­ten. Ihr Wort­füh­rer ist heute noch in einer kompro­miss­lo­sen Punk­band, die so konse­quent sind, dass die Leute im Scho­ko­la­den bspw. schlu­cken müssen, wenn der Sänger seine Reden vor den Songs hält.
    Es bleibt die Frage, ob das öde ist oder einfach unbe­irrte Träu­me­rei von besse­ren Verhält­nis­sen. Inwie­weit egois­tisch oder soli­da­risch. Oder halt einfach nervig..

  2. Gegen Idea­lis­mus ist ja auch nichts. Ich gehöre schon zu den Menschen, die Ideale und auch Utopien haben und an eine bessere Welt glau­ben — trotz aller Wider­stände in der verdamm­ten Reali­tät. Aber ich versu­che nicht, ande­ren Menschen meine Sicht der Dinge aufzu­zwin­gen und sie gar zu nöti­gen, bestimmte Dinge zu tun. Nichts gegen Argu­mente, alles andere aber schreckt eher ab, über­zeugt aber nieman­den.

  3. Findest du? Ich glaube, dass die Leute v.a. auf kompro­miss­lo­ses Gebrüll hören, eher als auf gute Argu­mente. Gerade hier, wo alle sehr satt sind und dennoch unglück­lich, wollen sie einen, der ihnen klar macht und auch ein wenig dazu bringt, das zu tun, was sie (vermeind­lich) glück­lich machen wird. Das muss man auf keinen Fall gut finden, ist aber mensch­lich wohl einfach so, und modern: alles ist voller Ideo­lo­gie und die Menschen, die der einen oder ande­ren anhän­gen alles andere als still.

    Also ja, ich finde das auch nicht gut, wenn man missio­na­risch darauf pocht, aber anders ist es nach­hal­tig für den Missio­nar wohl nicht so effek­tiv.

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