Feierabend

Es ist morgens gegen zwei, drei Uhr. Die letz­ten Fahr­gäste hatte ich vor fast einer Stunde. Danach ein biss­chen rumcrui­sen, von der West-City zum Pots­da­mer Platz, Hotel Adlon, Haupt­bahn­hof — über­all freie Taxis, keine Fahr­gäste. Ich merke, wie mich die Müdig­keit in den Arm nimmt, meine Augen schwer macht. Alles klar, Zeit für den Feier­abend.

Auf dem Weg zum Abstell­platz lasse ich die Fackel noch an, viel­leicht kriege ich ja noch einen Winker oder doch noch einen Funk­auf­trag. In diesem Zustand bin ich noch in der Lage, Fahr­gäste zu beför­dern. Ich kann dann wieder umschal­ten, noch­mal für eine halbe oder ganze Stunde wach werden. Aber es winkt niemand. Einen kurzen Abste­cher noch über die Tank­stelle. Nach­fül­len, evtl. mit dem Hoch­druck­strah­ler übers Auto, für einen Euro.
Dann einen Park­platz suchen. Das Taxi steht immer in dersel­ben Straße, damit mein Tagfah­rer es am Morgen auch findet. Wenn dort nichts frei ist, schi­cke ich ihm eine SMS. Rück­wärts einpar­ken, die Abrech­nung machen, Kilo­me­ter­stand, Anzahl der Fahr­ten, Zuschläge, Einnah­men, alles muss seine Ordnung haben. Das Zusam­men­pa­cken meiner Sachen geht schnell. Handy, Flasche, Zeit­schrift, Geld­börse in den Ruck­sack. Dann ziehe ich meine Jacke an, schaue rund ums Auto, ob alle Fens­ter geschlos­sen sind, schließe das Taxi ab und mache mich auf den Heim­weg.

Die Stra­ßen sind natür­lich leer um diese Zeit, die Autos fahren jetzt hier in der 30er Zone mindes­tens doppelt so schnell. Ich komme an einem Park vorbei. Manch­mal im Sommer gehe ich da für ein paar Minu­ten rein, setze mich auf eine Bank und genieße die Ruhe und den leich­ten Wind. Aber jetzt in den noch eiskal­ten Näch­ten bin ich dafür zu weich­eie­rig.

Es ist immer wieder inter­es­sant, nachts durch leere Stra­ßen zu gehen, die tags­über voll und laut sind. Man hört die eige­nen Schritte, das Gekrei­sche einer Frau aus der Kneipe quer über der Kreu­zung. Dort geht ein Mann mit seinem Hund, den sehe ich fast jede Nacht, egal um welche Uhrzeit. Anschei­nend läuft er stun­den­lang herum.
Im Früh­jahr rieche ich die Blüten an den hohen Sträu­chern, manch­mal sehr inten­siv. Sowas genieße ich. Das ist der Zauber der Natur. Was für eine blöde Beschrei­bung, aber sie passt. Jetzt jedoch sind da nur die leeren Äste, dazwi­schen hat sich Papier­müll verfan­gen. Schön riechen tut hier nichts. Die alten Later­nen lassen die Spinn­we­ben an den Stra­ßen­schil­dern glit­zern, das sieht man nur in der Nacht.

An der Litfaß­säule haben irgend­wel­che Anwoh­ner heim­lich ihren Sperr­müll abge­legt, einen alten Schmink­tisch mit großem, kaput­ten Spie­gel. Das Zeug stand gestern Nacht noch nicht hier. Kann sein, dass sie gerade eben erst hier gewe­sen sind.
Zwei Poli­zei­wa­gen rasen mit Blau­licht an mir vorbei, ohne Martins­horn. Viel­leicht zu einem Einbruch oder einer häus­li­chen Gewalt. Nachts sind die Gründe für Poli­zei­ein­sätze ja nicht so viel­fäl­tig.

Mein Weg nach Hause ist nicht so lang, nur ein paar hundert Meter. Manch­mal treffe ich den Zeitungs­aus­trä­ger, ein Schwar­zer, der immer sehr tänzelnd läuft, den Wagen von sich abstößt, oft singend hinter läuft. Es macht Spaß, ihn zu sehen. Es gibt Menschen, die machen eben das Beste aus ihrem Job, auch wenn der schlecht bezahlt ist.
Vor der Haus­tür treffe ich eine Nach­ba­rin. Wir grüßen und freuen uns, haben ein gutes Verhält­nis. Mit dem Fahr­rad fährt sie zehn Kilo­me­ter zu einer Post-Vertei­ler­sta­tion. Jeden Morgen, mitten in der Nacht. Für sie fängt der Tag jetzt an, meiner geht bald zu Ende.

In meiner Wohnung ange­kom­men trage ich die Daten der Schicht in die Tabelle ein, lege das einge­nom­mene Geld raus und setze mich vor den Rech­ner. E‑Mails beant­wor­ten, viel­leicht noch einen Text schrei­ben, etwas fern­se­hen. Nach zwei Stun­den liege ich im Bett. Bis morgen.

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Wieder mal ging das Leben einen ande­ren Weg, als gewünscht. In den vergan­ge­nen fünf Jahren habe ich mit meinem besten Freund zusam­men­ge­lebt, einige Monate war auch noch mit seine Freun­din dabei. In der Nach­bar­woh­nung wohn­ten […]

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