Glaskasten im Wedding

Als Anfang des 20. Jahr­hun­derts der Restau­rant­be­sit­zer Hermann Schmidt seine Gast­stätte um einen Fest­saal für 300 Perso­nen erwei­terte, war nicht abseh­bar, was für eine wech­sel­volle Geschichte dieser Anbau auf dem Hinter­hof haben würde.

Den Namen Glas­kas­ten erhielt der Schmidt’sche Ball­saal in der Prin­zen­al­lee 33 wegen der verglas­ten Zugangs­ve­randa. Mitten im Weddin­ger Kiez gele­gen wurde er sofort zu einem kultu­rel­len Mittel­punkt für die prole­ta­ri­sche Bevöl­ke­rung. Neben güns­ti­gem Essen in der Gast­stätte gab im Unter­ge­schoss eine Kegel­bahn, darüber feier­ten Drosch­ken­kut­scher, Lauben­pie­per und Hoch­zeits­ge­sell­schaf­ten ihre Feste. Es gab Ausstel­lun­gen, Proben und Auftritte von Thea­ter- und Gesangs­ver­ei­nen.

In den 1920er Jahren wurde der Saal immer öfter von der KPD für ihre Versamm­lun­gen genutzt. Hier fanden auch kommu­nis­ti­sche Schu­lun­gen statt. Aller­dings war der Wirt über­haupt kein Linker, ihm ging es nur darum, Geld zu verdie­nen. So hatte er auch nichts dage­gen, dass die Nazis ab 1931 versuch­ten, den Glas­kas­ten künf­tig für sich zu nutzen. Das aber ließen die KPD-Leute nicht zu, immer wieder gab es in der Prin­zen­al­lee Schlä­ge­reien mit der SA.

Erst mit der Macht­über­gabe an die Faschis­ten gelang es ihnen, die Kontrolle über den Saal zu bekom­men. Die SA wandelte ihn zu einem Sturm­lo­kal um, im Keller wurden in den folgen­den Mona­ten Hunderte von Nazi­geg­nern gefol­tert, einige von ihnen star­ben an den Miss­hand­lun­gen.
Während des Kriegs wurde zwar das Vorder­haus teil­weise zerstört, der Glas­kas­ten selber aber blieb erhal­ten. Ab 1945 betrie­ben die fran­zö­si­schen Alli­ier­ten dort ein Kriegs­ge­fan­ge­nen­la­ger.

Bis in die 1950er Jahre hinein nutze dann die St. Petrus-Gemeinde den Saal für ihre Gottes­dienste, da ihre Kirche in der Beller­mann­straße durch Bomben­an­griffe im Krieg schwer beschä­digt worden war.
Seit den 1960er Jahren wird der Glas­kas­ten wieder kultu­rell genutzt, erst für Thea­ter­auf­füh­run­gen, dann als Tanz­lo­kal. 1983 diente er als Disco­thek „Top Secret“, in der es auch Konzerte von Rock­grup­pen gab. Danach folgte jahre­lan­ger Leer­stand.

Im Jahr 2000 bespielte das Varieté Chamä­leon einige Monate lang den Saal, leider oft vor wenig Publi­kum. Im Anschluss wurde der Glas­kas­ten saniert und schließ­lich von einem afri­ka­ni­schen Kultur­ver­ein über­nom­men. Bis heute finden dort Veran­stal­tun­gen statt, Konzerte, Thea­ter­auf­füh­run­gen. Und auch wenn er berlin­weit nicht wirk­lich im allge­mei­nen Bewusst­sein ange­kom­men ist, so ist der Glas­kas­ten doch einer der tradi­ti­ons­reichs­ten Veran­stal­tungs­orte der Stadt.

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3 Kommentare

  1. Hallo,wir, der Verein Mensch im Mittel­punkt e.V. sitzen euch genau gegen­über, Prin­zen­al­lee, im Genos­sen­schafts­haus 58, rechts/Terrasse hoch, möch­ten uns euch hier­mit kurz vorstel­len. Wir arbei­ten alle ehren­amt­lich, unter­stüt­zen unsere Bürger in allen alltäg­li­chen Dingen was das Büro­kra­ti­sche angeht, veran­stal­ten viel mit Menschen verschie­de­ner Herkunft. Bereits seit gerau­mer Zeit woll­ten wir euch mal sagen, dass Ihr uns nicht unbe­kannt seid und wie schön es ist, dass ihr da seid!! Nun woll­ten wir mal die Gele­gen­heit nutzen und euch zu unse­rer Veran­stal­tung einla­den. Wir würden uns sehr freuen euch bei uns empfan­gen zu dürfen.

    • Hallo,
      dies ist ein Arti­kel ÜBER den Glas­kas­ten, nicht VON ihm. Besser ist es sicher, direkt mal rüber zu gehen und die Einla­dung direkt abzu­ge­ben ;-)

  2. Hallo mich inter­es­siert die Geschichte vom Tanz­lo­kal top Secret gibt es da noch mehr zu erfah­ren und wo ?
    Wäre echt schön wenn man mir darauf eine Antwort hätte

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