Die Idee war gut: Eine 20.000 Quadratmeter große schiefe Betonebene mit eingeprägten Namen der jüdischen Opfer des Holocausts sollte die unvorstellbare Masse der Menschen deutlich machen, die dem NS-Rassenwahn zum Opfer fielen. Gleichzeitig sollten die Toten benannt werden, ihre Identität zumindest im Namen erhalten bleiben. Die Chance wurde vertan. Ein selbstherrlicher Bundeskanzler Helmut Kohl setzte sich 1995 über den Gewinner des Wettbewerbs hinweg, der Bundestag und der Förderkreis mit den Initiatoren wurden übergangen und der einstige Historiker Kohl erzwang 1997 weitere Entwürfe. Der von Peter Eisenman wurde genommen und in zweijähriger Bauzeit realisiert.
Seit Mitte Mai stehen nun 2711 Betonstelen unterschiedlicher Höhe direkt neben dem Ort, an dem der einstige Führer der Deutschen seinem unheilvollen Leben ein Ende setzte.
Die Besucher des Denkmals für die ermordeten Juden Europas fühlen sich allerdings weniger an ein Mahnmal erinnert, nur das Wissen um den Sinn des Ortes macht ihn zu dem, was er sein soll: ein Gedenkort. Kinder, Jugendliche und leider auch Erwachsene turnen auf den Stelen herum, spielen in ihnen Verstecken, rennen, lärmen, lachen. Erinnern an die schrecklichste Tragödie, die Deutschland einem Teil seiner Bürger und anderen Völkern angetan hat, ist hier nicht möglich. Das liegt aber nicht nur an denjenigen, die hier mit dem Labyrinth eine neue Freizeitattraktion gefunden haben, sondern auch an der Gestaltung. Nur mit einiger Phantasie kann man sich den Sinn des Mahnmals vorstellen.
Es könnte so gemeint sein, dass es die Entwicklung der Juden in den 30er und 40er Jahren symbolisiert, wobei die Stelen die Bedrohung darstellen. Anfangs sind sie noch klein und vereinzelt, dann aber werden sie regelmäßig und immer höher. Geht man in das Denkmal hinein, so wird der Weg immer schiefer, er schwankt scheinbar. In der Mitte dann wird man von den Wänden meterhoch überragt, der Ausweg ist weit weg, die Bedrohung hier am Größten.
Tatsächlich aber bleibt einem nicht die Ruhe, um solche Gefühle nachzuvollziehen. Der Lärm und die Hektik der umherrennenden Kinder machen ruhige Gedankengänge unmöglich. Nur nachts, wenn das Mahnmal fast verlassen ist und im Dunkel liegt, bekommt man eine schreckliche Ahnung davon, was es symbolisieren soll. Aber auch dann bleibt das Gefühl, dass es trotzdem misslungen ist. Dass eine riesige Chance vertan wurde, die nie wieder kommt. Es ist nur ein kleiner Trost, dass der unterirdische “Ort der Information” versucht, einen Teil des Versäumten wettzumachen. Hier werden einige Lebensgeschichten nachgezeichnet, hier wird versucht, den Opfern der Shoa ein Gesicht, einen Namen, eine Identität zurückzugeben. Wenigstens dies ist gelungen.
Es bleibt zu hoffen, dass sich das Denkmal eines Tages vom Spielplatz zu einem Gedenkort entwickelt. Immerhin geht es nicht um irgend etwas, sondern um das größte Verbrechen, an dem das deutsche Volk jemals beteiligt war — als Täter, als Unterstützer, Nichtwisser oder als Nicht-wissen-Wollender — und natürlich als Opfer. Zeugen wir diesen Opfern endlich die Ehre, die ihnen an einem zentralen Ort zusteht. Spielen kann man auch woanders.
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