Schnatterinchen-Eisbecher in Erichs Lampenladen

Heute wird über den Palast der Repu­blik gestrit­ten. Aber: Schon zu DDR-Zeiten schie­den sich am “Palazzo Prozzo” die Geis­ter

Der Palast der Repu­blik ist wieder Thema. Es gibt eine Ausstel­lung. Es melden sich alte Vereh­rer, auch Nach­ge­bo­rene, die sich beson­ders gut ausken­nen. Das veran­lasst mich zu erwäh­nen, dass nicht alle Ostdeut­schen so funk­tio­niert haben, wie es sich die Erfin­der dieses Palas­tes gedacht haben.

Unser­eins ist da jeden­falls nicht hinge­gan­gen. Dieses Prunk­stück war nichts für uns. Ich erwähne das auf die Gefahr hin, mich unbe­liebt zu machen, den Trend der Veröf­fent­li­chun­gen zu stören. Aber in meinem Freun­des­kreis – wir kann­ten uns durch die Uni, durch Nach­bar­schaft im Prenz­lauer Berg, durch Part­ner­schaf­ten, auch durch die Kirche – war dieser Tempel kein Pilger­ziel. Da sind wir nicht rein­ge­gan­gen.

In meinem Fall stimmt das nicht ganz. Ich war damals in der Staats­bi­blio­thek beschäf­tigt, da war der verach­tete Glas­kas­ten nicht so weit weg. Plötz­lich gab’s in der Nähe funk­tio­nie­rende Tele­fone! Das rela­ti­vierte die Ableh­nung. Da waren auch die Klos schwer in Ordnung – “Welt­ni­veau”, sagte man damals. Eben alles vom Feins­ten – wie in einem Palast! Ja, da gab es alles, was es sonst nicht gab: sogar Wasser­hähne aus Edel­stahl, nicht aus Plaste, die muss­ten aller­dings bewacht werden, sonst waren sie immer weg.

Jeden­falls hatte der Palast viel zu bieten: Bowling­bah­nen, Thea­ter, groß­ar­tige Restau­rants, Cafés. Und alles sehr preis­wert! Es wird den armen DDR-Staat viel Geld gekos­tet haben, aber Milli­ar­den­kre­dite gab’s damals schon. Wenigs­tens hier sollte es alles geben – wie im “golde­nen Westen”, aber eben bei uns!

Ja, es war kein Schloss, das hatte der Ulbricht ja wegge­sprengt. Es war ein Palast, nicht irgend­ei­ner, sondern einer “des Volkes”. Ein Traum wurde wahr: alle mitein­an­der – Volk und Führung unter einem Dach. Den Leuten hat’s gefal­len, vielen jeden­falls. Für sie hat der Palast funk­tio­niert, wie er gedacht war. So ist dann das Volk von über­all­her, aus der ganzen “Repu­blik” in das Zentrum, in das Herz der “Haupt­stadt” geströmt. Hier konnte man was erle­ben! Dank­bar und mit erhe­ben­den Eindrü­cken schrit­ten die Menschen durch die hehren Hallen, schau­ten die Kunst­werke, erleb­ten gemein­sam die wunder­bars­ten Dinge, vor allem die Veran­stal­tun­gen mit West­künst­lern im Großen Saal! Da lohnte es sich zu warten.

Kein Wunder, dass viele dann, manche bis heute, daran fest­hal­ten, ihren Palast behal­ten woll­ten! Ein Palast ist ja nicht einfach ein Veran­stal­tungs­zen­trum. Die gibt’s inzwi­schen über­all – wie auch funk­tio­nie­rende Tele­fone, heute sogar Smart­phones, Toilet­ten und Restau­rants. Wer aber einmal im “Palast” war, der möchte nicht zulas­sen, dass sein Heilig­tum ange­tas­tet, schließ­lich geschleift wird. Inzwi­schen gibt’s sogar west­li­che Zeit­ge­nos­sen, die jene “armen” Ostler bedau­ern, denen man ihr Heilig­tum geraubt hat. Ich erkenne eine spezi­elle Form der Verach­tung!

Na ja, bei den Berli­nern selbst hat der Palast als DDR-Tempel nie rich­tig funk­tio­niert. Groß­städ­ter sind nüch­terne Leute, eher “cool”, sagt man heute, die haben weni­ger Verlan­gen nach staats­from­men Anwand­lun­gen. So hat der Volks­mund “Erichs Lampen­la­den” gleich verspot­tet, ihn “Palazzo Prozzo” gehei­ßen. Aber die Leute sind trotz­dem in die Milch­bar gegan­gen, haben den Eisbe­cher “Schnat­te­rin­chen” bestellt.

Und wenn man die Leute heute fragen würde? Ich vermute, viele würden sagen, dass man den entzau­ber­ten Glas­kas­ten auch hätte stehen lassen können. Ein “rich­ti­ger” Palast wär’s ohne­hin nicht mehr, da fehlt inzwi­schen der “Über­bau”: so etwas wie der “Zusam­men­halt des gesam­ten Volkes”, oder die “unein­ge­schränkte Zustim­mung” zur “huma­nis­ti­schen Poli­tik der Staats­füh­rung” und so weiter. Aber ohne eine gedie­gene Tempel-Ideo­lo­gie ist auch so ein Palast nicht mehr das, was er mal war.

Bleibt eigent­lich nur die Frage, was man in Berlins Mitte netter findet: eine baro­cke Fassade am Ende von Unter den Linden oder so einen Quader mit brau­nen Sonnen­schutz­schei­ben. Übri­gens: Ein Humboldt-Forum mit seinen künst­le­ri­schen, wissen­schaft­li­chen und kultu­rel­len Nutzun­gen hätte da auch rein­ge­passt.

Helmut Lück
(Helmut Lück ist Diplom-Theo­loge und hat bis 1976 bei der Deut­schen Staats­bi­blio­thek gear­bei­tet, war dann bis 1989 Redak­teur bei der Tages­zei­tung Neue Zeit, anschlie­ßend Pres­se­re­fe­rent beim Berli­ner Senat, schließ­lich im Hoch­schul­be­reich tätig. Heute lebt er als Rent­ner in Berlin.)

Foto: Diet­mar Rabich / CC BY-SA 4.0

[ Dieser Text erschien zuerst in der Berli­ner Zeitung und steht unter der Lizenz CC BY-NC-ND 4.0 ]

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