Kennen Sie Koch? — Wenn ich jeman­dem zu DDR-Zeiten beschrei­ben sollte, wo ich wohnte, gab es einen siche­ren Tip: Schräg gegen­über von »Koch«! Denn Koch kannte jeder.
Gutes Essen, kleine Preise, schnelle Bedie­nung, das waren die Marken­zei­chen der Spei­se­gast­stätte Koch. Haus­manns­kost wie bei »Muttern«, ob Klopse oder Brat­wurst, Spinat mit Ei oder Boulette mit Rotkohl — und kein Essen teurer als 3,40 Mark. Und noch eine Beson­der­heit ist erwäh­nens­wert — bei Koch gab es nichts zu trin­ken. Das, was wie ein Tresen aussah, barg eine andere Köst­lich­keit. Dicht anein­an­der gereiht stan­den hier die »Roten« und die »Brau­nen«. Rote Grütze oder Scho­ko­la­den­pud­ding mit Vanil­le­soße, die man sich nach Bedarf selbst holen konnte, 40 bzw. 60 Pfen­nige das Stück.

Kurz vor Kriegs­ende — im Früh­jahr 1945 — kam Erich Koch nach Berlin. Der Hof in Darß/Pommern war verlo­ren, die Frau mit den beiden Kindern noch auf der Flucht. Um jeden Preis musste er irgendwo Fuß fassen und versu­chen, eine neue Exis­tenz aufzu­bauen. Er über­lebte das Kriegs­ende und ging kurz danach zur sowje­ti­schen Komman­dan­tur. Mit Erfolg, denn er erhielt einen Bezugs­schein zur Eröff­nung einer Suppen­kü­che.
Anfang Juli 1945 war es soweit — die Suppen­kü­che in der Brun­nen­straße wurde eröff­net, ein klei­nes schma­les Hand­tuch mit einem Tresen und ein paar Tischen. Zunächst gab es nur ein Essen — eine Suppe oder Brühe, was man eben besor­gen konnte. Aber über die Zeit wurde es mehr. Am Türpfos­ten ange­pinnt konnte jeder lesen, was täglich im Ange­bot war.

Die Spei­se­gast­stätte Koch, wie die Suppen­kü­che später hieß, war eine der weni­gen priva­ten Gast­stät­ten in der DDR. Und obwohl es kaum Konkur­renz gab, musste hart kalku­liert werden. Denn die Preis­in­spek­teure vom Amt waren uner­bitt­lich, wie sich Gabriela Koch (die Enke­lin von Erich Koch und heutige Inha­be­rin) erin­nert: »Bis zur Wende kostete das teuerste Gericht 3,40 Mark. Wir hatten alles, ab 40 Pfen­nige. Und selbst diesen Preis zu recht­fer­ti­gen war ein Problem. Vom Amt haben sie hier gestan­den und gesagt, das darf man nicht berech­nen, und das nicht. Obwohl wir mit Abstand die Billigs­ten waren weit und breit. Trotz­dem! Wir waren eben nicht staat­lich, sondern rein privat. Da waren die einfach nicht gut drauf zu spre­chen… Ein Schnit­zel, Kartof­feln und Beilage, Gurke und ein Ei drüber, das wurde ausge­rech­net auf 10 Portio­nen. Da durfte ich kein Salz berech­nen, da durfte ich keinen Pfef­fer berech­nen — aber kaufen musste ich es ja trotz­dem.« Also die Gewinn­spanne war nicht hoch. »Und wenn die Leute nun mit ’ner Selters stun­den­lang geses­sen haben für 21 Pfen­nig, davon konnte man nicht leben. Also haben wir gesagt — gut, Getränke weg! Wir haben auch mal Eis gehabt — schlechte Sommer — Eis nicht verkauft. Und wenn was nicht verkauft wird, lässt man es irgend­wann mal weg. Dann haben wir uns auf Mittags­tisch spezia­li­siert. Wir hatten nur den Mittags­tisch, das war unser Konzept!«

Markt­wirt­schaft­li­che Prin­zi­pien also führ­ten trotz oder gerade wegen der sozia­lis­ti­schen Plan­wirt­schaft dazu, dass es bei Koch nichts zu trin­ken gab. Hieran stör­ten sich die Kontrol­leure vom Amt nicht. Und auch die Gäste akzep­tier­ten es, denn die fehlen­den Getränke hatten auch etwas Posi­ti­ves. Bei Koch war es immer voll, meist stan­den die Leute sogar an. Aber es lohnte sich anzu­stel­len — nicht nur wegen des guten und preis­wer­ten Essens. Es lohnte sich, weil es schnell ging. Die Bedie­nung war flink und niemand hielt sich ewig an einem Glas Bier oder einer Selters fest.
Anfang der sech­zi­ger Jahre zieht Koch um, drei Häuser weiter in der Brun­nen­straße. Hier konn­ten sie einen etwas größe­ren Raum mieten. Und wenig später gab der Tabak- und Spiri­tuo­sen­la­den nebenan auf, so dass mit einem Durch­bruch noch ein zwei­ter klei­ner Raum dazu­kam. Jetzt hatten insge­samt ca. 40 Gäste bei Koch Platz. Durch den Mauer­bau jedoch beginnt die Brun­nen­straße zu ster­ben. Mittags ist es bei Koch nach wie vor voll. Abends aller­dings zieht es nieman­den mehr in die trost­los gewor­dene Gegend.

»Das Leben hier vor dem Mauer­bau war ganz anders. Da waren Kinos und eigent­lich immer ein reger Verkehr. Die Leute sind nach dem Kino oder Einkau­fen im Westen noch was essen gekom­men. Nach dem Mauer­bau haben wir die Zeiten immer mehr verkürzt, weil ja nichts mehr passierte. Vor 1961 war bis 21 Uhr offen, oder später. Der Opa war ja abends immer da. Als ich 1974 hier ange­fan­gen hatte zu arbei­ten, da war nur noch bis 17 Uhr offen. Ende der 70er-Jahre schließ­lich haben wir rigo­ros ab 15 Uhr geschlos­sen. Von 9 bis 15 Uhr. Aber die Zeit, da war es dann durch­weg voll. Und dadurch, dass wir keine Getränke hatten und eine reine Nicht­rau­cher-Gast­stätte waren damals, war das nur ein Rein und Raus gewe­sen. Die Leute sind nur rein­ge­kom­men, schnell geges­sen und wieder raus — so ein flie­gen­der Wech­sel. War für uns zwar stres­sig, aber nach sechs Stun­den hat man gesagt: ist o.k., machen wir zu. Da ging das.«

Das Publi­kum bei Koch war sehr verschie­den. Ob Rent­ne­rin oder Profes­sor, Student oder Mutter im Baby­jahr, alle waren hier zu tref­fen. Manch­mal kamen vom Amiga-Studio in der Brun­nen­straße 154 promi­nente Gäste wie Manfred Krug, Lippi oder der Jürgen-Erbe-Chor. Vor allem aber traf man Arbei­ter und Ange­stellte, denn Koch hatte seit den späten 70er-Jahren Verträge mit Klein­be­trie­ben aus der Umge­bung. Deren Mitar­bei­ter beka­men Essen­mar­ken und zahl­ten — je nach Gericht — den fehlen­den Betrag dazu. Dabei schwankte der Wert der Essen­mar­ken erheb­lich. Während der Poli­zist vom Revier gegen­über pro Essen nur 70 Pfen­nige dazu bekam, konn­ten die Mitar­bei­ter der HO Berlin für 3,50 Mark spei­sen.

Das Jahr 1990 ändert viel — für »Koch«, seine Gäste, die Brun­nen­straße und das ganze Land. Anfang 1990 über­nimmt Gabriela Koch die Gast­stätte von ihren Eltern. Aber weiter machen wie bisher konnte sie nicht.
»Nach der Wende musste man sich umstel­len. Wir haben wieder Getränke mit aufge­nom­men und die Öffnungs­zei­ten geän­dert. Am schwie­rigs­ten war das mit den Prei­sen. Da hat man erst nur getes­tet, weil wir bis dahin nur ganz kleine Preise hatten. Zu große Preise konnte man nun auch nicht nehmen.
Die erste Zeit war über­haupt so ein Testen. Das hat man rich­tig gemerkt, wie die Leute von Lokal zu Lokal gegan­gen sind. Die haben sich umge­guckt, wo was wieviel kostet. Und nach und nach kamen alle wieder zurück. Dann fing das mit der Arbeits­lo­sig­keit an. Da sind viele Gäste rein­ge­kom­men und haben gesagt: Tut mir leid, wir können nicht mehr kommen. Zwei Kinder und arbeits­los. Das geht dann halt nicht mehr.
Es ist schwe­rer gewor­den, das Über­le­ben. Früher musste man sich nicht ganz so verrückt machen, wie das heute ist. Ja, damals hatte man die Schi­ka­nen vom Amt. Also ich weiß noch, wie wir damals mal 100 Mark Strafe zahlen soll­ten, weil unser Schnit­zel 120 g gewo­gen hatte, und 100 g durfte es nur wiegen. Da haben sie gesagt, das wäre unlau­te­rer Wett­be­werb. Heute aber sind die konstan­ten Kosten rela­tiv hoch. Und wenn der Laden leer ist, kommt nichts rein. Da muss man zirku­lie­ren. Ich hab eben früher genau sagen können, an dem Tag kommen sound­so­viel Gäste, und ich brau­che sound­so­viel. 50 oder 60 Schnit­zel am Tag. 20 kg Boulet­ten. Und wenn ich früher Eisbein gemacht habe, dann waren eben schon viele vorher — bevor ich sie verkauft hatte — ausver­kauft. Vorbe­stellt! Von den 40 ‑45 Eisbei­nen, die wir gemacht haben, da waren dann viel­leicht noch fünf, die man frei verkau­fen konnte. Das ist heute alles nicht mehr so. Heute mache ich 10 ‑15 Stück. Viel­leicht! Und dann freue ich mich, wenn sie alle werden. Gut, die Karte ist auch umfang­rei­cher gewor­den. Man hat auch mehr Möglich­kei­ten. Aber wir wollen unse­rem Stil ja auch ein biss­chen treu blei­ben.«

Und es ist Koch gelun­gen, sich treu zu blei­ben. Es gibt die bewährte Haus­manns­kost, das Essen schmeckt nach wie vor gut und auch die Preise sind erstaun­lich nied­rig geblie­ben. Für fünf bis sechs Mark bekommt man ein Mittag­essen. Aber diese nied­ri­gen Preise sind hart kalku­liert — auch das ist Tradi­tion bei Koch. Inzwi­schen ist Koch wieder umge­zo­gen. Genau ein Haus weiter in die Brun­nen­straße 153. Die 154 wurde saniert und da nutzte die Fami­lie die Chance, neue, freund­li­chere und größere Räume anzu­mie­ten.

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6 Kommentare

  1. Ich habe in meiner Studen­ten­zeit über Koch gewohnt. War toll. Ich konnte einfach mit meinem Teller hinten zur Küchen­tür im Hof gehen und mir Essen abho­len. Die Kochs waren immer unheim­lich nett!

  2. Toll dass ich diese Seite entdeckt habe, eine wunder­schöne Erin­ne­rung. Wir wohn­ten in der Brun­nen­strasse und sind oft zu Koch’s (mit anste­hen). In den Ferien hat uns unsere Mutter immer 5 Mark da gelas­sen, damit mein Bruder und ich mittags zu Koch’s essen gehen konn­ten. Das hat mit Nach­tisch immer gereicht. Ich mochte am liebs­ten Königs­ber­ger Klopse (1,80 Mark) oder Boulette mit Rotkohl (2,20 Mark) und natür­lich die Rote Grütze mit Vanil­le­sosse.:-) Das es keine Getränke gab, störte mich gar nicht. Es war immer ein Erleb­nis und Essen wie bei Muttern (oder besser…pssst)

    • Sehr geehrte FrauL­o­renz, bei den Prei­sen muss es schon lange her sein,dass Sie in Brun­nen­strasse gewohnt haben,deshalb möchte ich Sie fragen ‚ob Sie sich an ein großes
      mit roten Klin­kern verse­he­nes Haus in der Strasse erin­nern, ich war 1965 mit der Schul­klasse in diesem Haus unter­gracht (Arbeiterwohlfahrtheim?).Ich habe schon viele Leute ange­ru­fen (Ämter usw.),keiner konnte mir bisher Auskunft­ge­ben.
      Ich bin von da aus mal zur Bernau­er­strasse bis zur Aussichts­platt­form gelaufen,kann
      also nicht soweit weg gewe­sen sein.Vieleicht erin­nern Sie sich ?
      mit freund­li­chen Grüßen

  3. Es war immer super bei Koch.
    Ich habe eine Zeit lang in der Brun­nen­strasse gewohnt.
    Mit den Kumpels von damals waren sehr oft bei Koch essen.
    Es war immer lecker , preis­wert und sehr freund­lich.

  4. Ich habe meine Kind­heit ( 1969–1978 )in diesem Haus verbracht.Ich vermisse diese Zeit sehr.Überhaupt nicht zu verglei­chen mit heute.

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