Stalinallee

Manche Straßen in Berlin gibt es schon ewig, zumindest einige hundert Jahre. Und einige von ihnen stehen zudem für die Geschichte unserer Stadt. Das gilt auch für die einstige „Große Frankfurter Straße“, heute Karl-Marx-Allee, die schon früh als Verbindungsweg zur Hansestadt Frankfurt/Oder führte. Hier endete das Leben von Michael Kohlhaas, hier schrieb Alfred Döblin seinen Roman „Berlin Alexanderplatz“, hier kam 1945 die Rote Armee in die Stadt, hier begann auch der Arbeiteraufstand vom 17. Juni 1953.

Am 21. Dezember 1949 erhielt die Straße den Namen Stalinallee, als „Geburtstagsgeschenk“ an den sowjetischen Diktator, dessen Rote Armee – trotz ihrer Schwächung durch eben diesen Stalin – den NS-Faschismus besiegt hat. Die Stalinallee sollte die erste „sozialistische Straße“ der noch jungen DDR werden. Sie wurde nun zum Symbol für ein neues städtebauliches und architektonisches Leitbild, das dem „Nationalen Aufbauprogramm“ voranleuchtete. Nach einem städtebaulichem Wettbewerb begannen 1951 die konkreten Planungen für die Stalinallee. Vor allem Hermann Henselmann, aber auch Egon Hartmann sowie Richard Paulick, Kurt Leucht, Karl Souradny und Hanns Hopp waren als Architekten für die Realisierung verantwortlich.

Am 25. November 1951 rief das SED-Zentralkomitee das „Nationale Aufbauprogramm“ (NAP) ins Leben. Trotz massiven Materialmangels musste nun im Zentrum der Stadt ein leuchtendes Beispiel sozialistischer Architektur entstehen, das sich vor allem am sowjetischen Vorbild orientierte. Tatsächlich beteiligten sich 45.000 Helfer am Neuaufbau, allein im Jahre 1952 wurden vier Millionen freiwillige Arbeitsstunden geleistet. 38 Mio. Tonnen Ziegelsteine und 1000 Tonnen Nutzstahl konnten aus den Trümmern geborgen und für die Neubauten aufgearbeitet werden. Die 2,3 Kilometer lange Stalinallee wurde zur größten Baustelle der DDR. Da die Arbeiten unter großem Zeitdruck stattfanden, wurden aus der gesamten Republik Arbeitskräfte, Maschinen und Baumaterial zusammengezogen, zum Ärger der Bewohner der restlichen DDR.
Bereits am 21. Dezember 1952 gab es eine feierliche Schlüsselübergabe für mehr als 1000 Wohnungen, im Januar 1953 wurden die ersten 70 Wohnungen bezogen. Etwa zwei Drittel des Wohnraums wurde an Trümmerfrauen, Bauarbeiter und Aufbauhelfer vergeben, der Rest ging an Angestellte und Akademiker. Die Wohnungen der Stalinallee waren damals reiner Luxus: Anders als die Löcher in den Mietskasernen waren sie nicht nur groß und hell, sondern verfügten über Fahrstühle, Fernheizung, Warmwasser-Versorgung, Einbauschränke, geflieste Bäder und Müllschlucker. Manche hatten zudem Telefonanschlüsse und Parkettfußboden, auf den Dächern gab es Terrassen zur allgemeinen Nutzung durch die Mieter.

Noch bevor die ersten Fundamente ausgehoben waren, würdige die DDR den Namensgeber der Straße: Am 3. August 1951 wurde ein 4,80 Meter großes Standbild Josel Stalins feierlich enthüllt. Als der Diktator am 5. März 1953 starb, gab es die erste große Demonstration in der Stalinallee, zehntausende Menschen zogen zum Denkmal, um dem Verblichenen zu kondolieren. Nur ein Vierteljahr später gab es die nächste Demo, diesmal nicht mehr so friedlich: Am 16. und 17. Juni demonstrierten die Bauarbeiter der Stalinallee gegen die kurz zuvor beschlossene Normerhöhung. Diese verlangte, dass die Arbeiter 10 Prozent mehr arbeiten sollten, allerdings ohne dafür mehr Lohn zu erhalten. Aus dem Protest gegen diese unbezahlte Mehrarbeit erwuchs ein Volksaufstand, der rasch auch auf andere Schichten der Bevölkerung sowie auf fast alle Städte und Landkreise der DDR übergriff. Erst mit dem Einsatz der sowjetischen Armee konnte der Aufstand am Nachmittag des 17. Juni blutig niedergeschlagen werden. An diesem und den folgenden Tagen kamen 55 Menschen ums Leben, darunter auch diejenigen, die als „Rädelsführer“ zum Tod verurteilt und hingerichtet worden sind.

Die Stalinallee hatte mit den Protesten ihre Vorbildfunktion unterstrichen, diesmal aber anders, als es sich die Machthaber wünschten. In der Folgezeit wurde in der Stalinallee nicht mehr nur aufgebaut, sondern auch abgerissen. Parallel zur Umbenennung der Straße in Karl-Marx-Allee fiel 1961 das Stalin-Standbild in einer Nacht- und Nebelaktion, es wurde später zu einer Bronzefigur für den Tierpark umgeschmolzen. 1968 wurde die bereits 1951 errichtete „Deutsche Sporthalle“ mit 4.000 Plätzen wegen Einsturzgefahr polizeilich geschlossen, 1971 folgte der Abriss.

Der oppositionelle DDR-Liedermacher Wolf Biermann widmete der Stalinallee sogar noch ein Lied, das 1969 (in der Bundesrepublik) auch auf einer Schallplatte erschien:

Acht Argumente für die Beibehaltung des Namens Stalinallee für die Stalinallee

Es steht in Berlin eine Straße, die steht auch in Leningrad
Die steht genauso in mancher andern großen Stadt
Und darum heißt sie auch Stalinallee, Mensch, Junge, versteh und die Zeit ist passe!
Und Henselmann kriegte Haue, damit er die Straße baut
Und weil er sie dann gebaut hat, hat man ihn wieder verhaut
Auch darum heißt das Ding Stalinallee, Mensch, Junge, versteh und die Zeit ist passe!
Und als am 17. Juni manch Maurerbrigadier mit Flaschen schwer bewaffnet schrie, da floss nicht nur das Bier
Ja, darum heißt sie auch Stalinallee, Mensch, Junge, versteh und die Zeit ist passe!
Es hat nach dem großen Parteitag, manch einer ins Hemde geschissen
Und hat bei Nacht und Nebel ein Denkmal abgerissen
Ja, darum heißt sie doch Stalinallee, Mensch, Junge, versteh und die Zeit ist passe!
Die weißen Kacheln fallen uns auf den Kopf ja nur
Die Häuser stehen ewig! (in Baureparatur!)
Auch darum heißt das Ding Stalinallee Mensch, Junge, versteh Und die Zeit ist passe!
Karl Marx, der große Denker. Was hat er denn getan
Dass man sein‘ guten Namen schreibt an die Kacheln dran?!
Das Ding heißt doch nicht Karl-Marx-Allee, Mensch, Junge, versteh: Stalinallee
Wir wolln im Sozialismus die schönsten Straßen baun
Wo Menschen glücklich wohnen, die auch dem Nachbarn traun
…könn’n!
Dann baun wir uns ’ne Karl-Marx-Allee!
Dann baun wir uns ’ne Engelsallee!
Dann baun wir uns ’ne Bebelallee!
Dann baun wir uns ’ne Liebknechtallee!
Dann baun wir uns ’ne Luxemburgallee!
Dann baun wir uns ’ne Leninallee!
Dann baun wir uns ’ne Trotzkiallee!
Dann baun wir uns ’ne Thälmannallee!
Dann baun wir uns ’ne Biermannstraße!
Mensch, Junge, versteh und die Zeit ist passe!
Die alte Zeit ist passe!
Die alte Zeit war passe…

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2 Kommentare

  1. Auf youtube findet sich (natürlich) einiges zum Thema, auch das Biermann-Lied. Kürzlich erschien von ihm „Barbara“, 18 unterhaltsame, teils amüsante Erzählungen aus seinem Leben. Wer kein Biermann-Hasser ist, kann es mit Vergnügen lesen. Besonders schräg, wie sein Freund Krug als Verkehrsrüpel dem Freund Havemann nachts auf der Strasse die Zähne eingeschlagen hat.
    Und nebenbei (mal wieder knapp am eigentlichen Thema vorbei) habe ich diesen Film über die Kaiserzeit Berlins mit Glanz und Elend entdeckt:
    https://www.youtube.com/watch?v=QhPR6fa68EY
    Und fast schon legendär ist die Serie „Ein Mann will nach oben“
    https://www.youtube.com/watch?v=zLwFyeTI6d4

  2. ich habe über zehn Jahre in den Stalinbauten (so heißen die immer noch) gewohnt und es war schon echt schön. Ja, Fahrstühle und Doppelfenster, aber auch Wände mit Bäuchen und nirgends ein rechter Winkel. :D Früher saß ein alter Mann immer hinten draußen und rauchte. Er erzählte mal, dass er früher mitschuftete an dem Bau und dass man dafür die Aussicht auf eine WOhnung bekam. Er hatte seinen Urlaub über Jahre auf der Baustelle verbracht und keine Wohnung erhalten. Kurz nach der Wende zog er denn endlich da ein. Er erklärte auch, warum so viele Fehler in dem Bau sind: „Det ham wir jemacht, einfache Leute, nicht Handwerker oder so..!“

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