Hohe Zahl antisemitischer Vorfälle in Berlin

Im Jahr 2016 erfasste die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Berlin (RIAS) 470 antisemitische Vorfälle in Berlin. Die Zahl der registrierten Vorfälle ist damit gegenüber dem Vorjahr (2015: 405 Fälle) um 16 % angestiegen. Dazu erklärt der Projektleiter von RIAS, Benjamin Steinitz: „Dass uns 2016 erneut mehr antisemitische Vorkommnisse als im Vorjahr gemeldet wurden, besorgt mich zwar, ist aber auch auf die steigende Akzeptanz und Bekanntheit von RIAS innerhalb der jüdischen Gemeinschaften zurückzuführen.“

Von den 470 Vorfällen sind 17 physische Angriffe, 18 Bedrohungen, 53 Sachbeschädigungen an Eigentum von Jüdinnen und Juden oder Orten der Erinnerung an die Schoa, sowie 382 auf Fälle verletzenden Verhaltens. Hierbei handelt es sich um mündlich und schriftlich vorgetragene Beschimpfungen, Diskriminierungen, antisemitische Propagandadelikte und Anfeindungen im Internet. Diese sind zwar nicht immer strafrechtlich relevant, erzeugen aber dennoch ein bedrohliches Klima und können die Lebensqualität von Betroffenen und Berliner Juden nachhaltig beeinträchtigen. Der Senator für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung, Dr. Dirk Behrendt erläutert mit Blick auf den bewusst niedrigschwelligen Ansatz des Projekts: „Zum Kampf gegen Antisemitismus gehört es zunächst, diesen zu erkennen und zu erfassen. RIAS bringt Licht in einen Dunkelbereich antisemitischen Alltags in Deutschland und zeigt, wie wichtig eine unabhängige, zivilgesellschaftliche Beobachtung antisemitischer Vorfälle ist. Das Projekt leistet damit einen Beitrag zum Kampf gegen Antisemitismus und gilt deshalb auch bundesweit als Vorbild. Jede antisemitische Tat ist ein Angriff auf unsere freie Gesellschaft, auf jede und jeden einzelnen von uns. Und es ist unser aller Pflicht zu widersprechen und uns schützend vor jene zu stellen, die antisemitisch angegriffen werden.“

Von 297 Vorfällen die sich gegen Menschen oder Institutionen richteten waren 303 Personen betroffen. Die Zahl der von Antisemitismus Betroffenen hat sich damit gegenüber dem Vorjahr verdoppelt (2015: 151 Betroffene). Bei 132 betroffenen Personen war den Täter bekannt, dass es sich um Jüdinnen oder Juden handelt. Das bedeutet ebenfalls einen deutlichen Anstieg gegenüber 2015 (57). Selbst niedrigschwellige Anfeindungen gegen ihre jüdische Identität können zu starken Verunsicherungen bei den Betroffenen führen. Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, betont in diesem Zusammenhang die besondere Bedeutung zivilgesellschaftlicher Unterstützungsangebote: „Die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Berlin besteht seit zwei Jahren. Bereits in dieser kurzen Zeit ist deutlich geworden, wie wichtig die Arbeit von RIAS ist. Die jüdische Gemeinschaft, aber auch jeder Bürger hat endlich die Möglichkeit, unbürokratisch antisemitische Vorfälle zu melden. Die Zusammenarbeit von Zivilgesellschaft und jüdischen Organisationen ermöglicht ein detaillierteres Monitoring und eine exaktere Problembeschreibung. Wir hoffen, dass diese Arbeit dazu beiträgt, erfolgreicher als bisher gegen die Bedrohung vorzugehen, die Antisemitismus für die Gesamtgesellschaft darstellt.“

Angriffe auf Orte der Erinnerung und des Gedenkens nehmen zu

2016 wurden in Berlin 42 Sachbeschädigungen an Orten der Erinnerung an die Schoa  gemeldet. Dies ist mehr als dreimal so viel wie im Vorjahr (2015: 15 Sachbeschädigungen). Es gab darüber hinaus 53 Fälle von mündlichen und schriftlichen Beschimpfungen und Bedrohungen, Reden auf Versammlungen und Propagandafällen, welche Abwehrhaltungen gegenüber dem Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus zum Motiv hatten. Dies drückte sich in Schoa-Leugnungen oder -Relativierungen, der Verhöhnung der Opfer oder der Figur der Täter-Opfer-Umkehr aus. Insgesamt stand jeder fünfte antisemitische Vorfall 2016 im Zusammenhang mit einer solchen Motivation.

Die Moabiter Initiative „Sie waren Nachbarn“, welche seit 2015 in der Ellen-Epstein-Straße mit einem fünf Meter langen Schild an die Deportationen Berliner Juden im Nationalsozialismus erinnert, beklagte im vergangenen Jahr zehn Fälle von Vandalismus und berichtete RIAS von ihren Erfahrungen: „Seit unserer Gründung im Jahr 2011 haben wir immer wieder antisemitische Beleidigungen und Sachbeschädigungen erfahren. Im Jahr 2016 erlebten wir das häufiger als zuvor. Die Anfeindungen spornen uns jedoch an. Wir lassen uns davon nicht einschüchtern. Derzeit planen wir, den Weg von der Sammelstelle zum Deportationsbahnhof Moabit dauerhaft zu kennzeichnen.“

Seit heute ist auf dem neugestalteten Online-Portal des Projekts (www.report-antisemitism.de) nicht nur ein ausführlicher Bericht antisemitischer Vorfälle in Berlin 2016, sondern erstmals auch eine Chronik aller Vorfälle einsehbar.

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