Die Jungs vom Alexanderplatz

Wer sich gefragt hat, wo eigent­lich die berühm­ten “Kinder vom Bahn­hof Zoo” geblie­ben sind (eigent­lich handelt es sich eher um Jugend­li­che, männ­li­che Prosti­tu­ierte), wird wohl vergeb­lich am neuen Haupt­bahn­hof gesucht haben. Doch der neue Glas­pa­last ist viel­leicht nicht ranzig genug, um das passende Ambi­ente zu bieten, in dem sich das Gewerbe wohl­fühlt. Und das ist nicht abwer­tend gemeint, stand ich in jungen Jahren doch selber hinter’m Bahn­hof Zoo und an eini­gen ande­ren Bahn­hö­fen Deutsch­lands und Euro­pas, um schnel­les Geld zu verdie­nen. Saubere, hell erleuch­tete Flächen waren mir damals ein Gräuel und auch die Freier sind ja nicht so wild darauf, gut ausge­leuch­tet zu werden.

Nach dem Aus des Fern­bahn­hofs Zoo hat sich der Strich deshalb schnell in die Joachim­s­ta­ler Straße verla­gert, was gleich mehrere Vorteile hatte. Zum einen ist die Passage über­dacht und deshalb auch bei Regen kein Problem. Außer­dem konn­ten die Jungs mit ihren Frei­ern gleich vor Ort ihr Geschäft erle­di­gen, wenn es denn ganz drin­gend war. Gleich zwei Etablis­se­ments stan­den für den schnel­len Sex in der Kabine oder im mäßig besuch­ten Dark­room zur Verfü­gung, Beate Uhse und ein schwu­ler Crui­sing-Schup­pen. Anders als hinter’m Bahn­hof war es hier auch möglich, die Anbah­nung rela­tiv unauf­fäl­lig zu gestal­ten, weil dort Tag und Nacht ein reger Fußgän­ger­ver­kehr herrscht.
Die jungen Männer, die heute noch am Bahn­hof Zoo stehen, sind in der Regel nicht sehr sauber und tragen auch gerne Krank­hei­ten zu Schau. Damit ist das ange­bo­tene “Extra” zwar nicht gemeint, aber die Anste­ckung ist inklu­sive.

Mitt­ler­weile zieht die Szene aber offen­bar weiter. Zumin­dest tags­über ist es auffäl­lig, wie viele Stri­cher sich rund um den Bahn­hof Alex­an­der­platz herum­trei­ben. Schon zu DDR-Zeiten war das Areal rund um die unter­ir­di­sche Toilette auf dem Alex Treff­punkt zur Anbah­nung von sexu­el­len Geschäf­ten, genauso wie in der Orani­en­bur­ger Ecke Lini­en­straße. Heute aber lassen sich die Jungs vom großen Hotel bis zum Fern­seh­turm trei­ben, auf der Suche nach einem willi­gen Herrn.

Ich kenne die heuti­gen Preise nicht, aber als ich kürz­lich ein entspre­chen­des Paar im Taxi hatte, rede­ten sie sehr offen über das, was der junge Mann für die 50 Euro machen würde und was nicht. Es war eine aufschluss­rei­che Fahrt, weil ich merkte, dass er sehr selbst­be­wusst auftrat. Auch ein Stri­cher in meinem Bekann­ten­kreis würde sich niemals von einem Freier zu etwas über­re­den lassen, zu dem er keine Lust hat. Man kennt es anders von den “Drogen­kids”, die es nicht nur in den 70ern am Zoo gab, sondern die auch heute noch in weib­li­cher Form tags­über rund um den U‑Bhf. Kurfürs­ten­straße abhän­gen. Es ist ein wahres Elend zu sehen, wie weit manche gesun­ken sind, wie sehr sie sich für einen Schuss aufge­ben.
Trotz­dem: Frei­wil­lige Prosti­tu­tion ist ein norma­les Geschäft auf Gegen­sei­tig­keit und auch wenn es oft mora­lisch in den Dreck gezo­gen wird, halte ich es durch­aus für legi­tim. Aber man darf nicht so tun, als gäbe es nicht auch die ande­ren, die auf der Straße sitzen und deren Lage ausge­nutzt wird. Beide Seiten sind real.

(Dieser Text erschien hier erst­mals 2012)

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