Anzugträger

Man kann ihnen in Berlin nicht entge­hen, mindes­tens einen hat man in jeder Schicht im Taxi, meist kommen sie zu zweit. Anzug­trä­ger begeg­nen mir meist als Geschäfts­leute, ich hole sie von der Firma ab und fahre sie ins Restau­rant oder vom Hotel zum Flug­ha­fen. Fast immer tele­fo­nie­ren sie während der Fahrt oder bespre­chen gemein­sam ihre Geschäfte, das ist manch­mal ziem­lich unan­ge­nehm, vor allem wenn sie über Kolle­gen oder Geschäfts­part­ner lästern.

Ich habe oft den Eindruck, dass sie eine Rolle spie­len. Ihr Anzug macht sie zu Show­stars. Manch­mal treten sie auch in Rudeln auf, stei­gen aus schwar­zen Bussen mit “VIP”-Aufschrift und beneh­men sich wie Herren­men­schen. Anzug­men­schen waren für mich schon immer konser­va­tiv, spie­ßig und reak­tio­när. Daran sind bestimmt meine 68er Lehrer Schuld, obwohl mir durch­aus bewusst ist, dass mein Denken eben­falls into­le­rant und vorur­teils­ge­steu­ert ist. Nicht in jedem Anzug steckt ja ein verkapp­ter Rech­ter oder Bonze.

Es ist auch nicht nur der Anzug, sondern genauso die Krawatte. Noch nie habe ich verstan­den, wieso man sich ein Stück Stoff um den Hals schnü­ren kann, das einem das Atmen erschwert, sonst aber keiner­lei Sinn hat. Es unter­streicht die Unifor­mi­tät der Anzug­trä­ger, aber in diesem Bestre­ben nach Gleich­heit versu­chen sie sich mit verschie­de­nen Farben und Mustern vonein­an­der zu unter­schei­den. Krawat­ten haben eine merk­wür­dige Form, die wie ein Pfeil auf die Stelle zeigt, auf die Männer oft beson­ders stolz sind. Deshalb tragen Frauen wohl auch keine Krawat­ten.

Bisher konnte mir auch noch niemand erklä­ren, wieso Krawat­ten einen Mann (angeb­lich) seriö­ser erschei­nen lassen. Und warum über­haupt eine Krawatte, wieso hängt man sich nicht etwas ande­res um, z.B. einen Strick, eine Perlen­kette oder einen Fahr­rad­rei­fen? Das hört sich viel­leicht albern an, aber es ist nicht merk­wür­di­ger, als dieser Stoff­strei­fen, natür­lich nur in der genorm­ten Form.

Anzug­trä­ger mit Hemd und Krawatte sind ein gutes Beispiel dafür, dass Menschen etwas tun, nur weil es alle so machen, weil es normal ist. Dazu gehö­ren noch andere Rituale wie das, dass Poli­ti­ker bei Trau­er­fei­ern immer an den Kranz treten und an seinen Schlei­fen herum spie­len. Oder dass man “guten Tag” sagt, auch wenn einem das völlig egal ist, ob der andere einen guten Tag hat. Oder dass man die Krawatte — da ist sie wieder! — nur zu einem Hemd tragen darf, niemals zu T‑Shirt, Pull­over oder gar freiem Ober­kör­per.

Mir wird diese Welt des “rich­ti­gen Beneh­mens” immer fremd blei­ben, auch wenn ich die meis­ten Regeln kenne. Trotz­dem trage ich keine Krawat­ten und zu meinem über zwan­zig Jahr alten “Holz­fäl­ler­hemd” würden sie auch sicher nicht “passen”. Deshalb beschränke ich mich darauf, mir das anzu­se­hen und mich zu wundern.

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2 Kommentare

  1. “Ein Mann ohne Krawatte ist wie ein Hund ohne Leine”
    (aus einer Sendung der Serie “Der letzte Zeuge” mit dem unver­ges­se­nen Ulrich Mühe)
    P.S. War das nötig mit dem Captcha?

  2. Ach, Ulrich Mühe. Das war ein großer Verlust.
    Das mit dem Captcha ist leider nötig gewor­den, trotz Anti­s­pam-Soft­ware kam zu viel Müll durch. Mal schauen, ob ich das noch anders regeln kann, ich finds ka auch blöd. Sorry :-(

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