Die Entwicklung der südlichen Ackerstraße vollzog sich im 19. Jahrhundert so, dass immer mehr Häuser der Erstbebauung abgerissen und durch höhere Gebäude ersetzt wurden. Die ehemaligen Besitzer hatten die Häuser entweder verkauft oder vermietet, sie selbst (oder ihre Nachfahren) lebten dort aber in der Regel nicht mehr. Im Zuge der Stadtentwicklung wurde immer mehr Wohnraum benötigt und so lohnte es sich natürlich, die kleinen Familienhäuser durch größere Wohnhäuser zu ersetzen, die mehr Mieteinnahmen brachten. Zudem konnte man auf den größeren Grundstücken noch mehrere Häuser hintereinander, in den Block hinein, bauen. Und auch reine Gewerbebetriebe wurden innerhalb des Blocks angesiedelt. So ist die südliche Ackerstraße in den Jahren zwischen 1820 und 1835 fast komplett neu bebaut worden, allerdings nur für durchschnittlich 50 Jahre. Denn ab etwa 1875 gab es einen neuen Bauboom bei dem die noch heute stehenden Häuser errichtet wurden sowie die Markthalle an der Ecke Invalidenstraße. Allerdings gibt es noch einige Ausnahmen. So ist das Haus Ackerstraße 9 bereits 1842 gebaut worden, 1827 und 1843 entstanden die verschiedenen Teile der Ackerstraße 6/7 sowie die später zerstörten “Borussia-Festsäle”. Die Ackerstraße 148 steht bereits seit 1822, und auch der Seitenflügel des gegenüberliegenden Hauses Nr. 18 stammt aus der gleichen Zeit.
In der Ackerstraße lebten viele arme Leute und oft kam es vor, daß die Familien ihre Miete nicht mehr bezahlen konnten. Dann kam es zu sogenannten Exmittierungen oder Exmissionen — also zu Räumungen, wie wir sie bis heute kennen. Am 27. Juli 1831 kam es in der Ackerstraße zu Räumungen von Menschen, die ihre Miete nicht zahlen konnten. Der folgende Bericht stammt vom betroffenen Hausbesitzer Wiesecke:
“Heute gegen Mittag also begab ich mich selbst in Begleitung des Gerichts-Executors Reimann und meiner Hausofficianten in die Wohnungen der zu exmittierenden Einwohner. Bei vieren derselben gelang es uns, die Leute zum Abzug zu bewegen; der fünfte aber — ein Schneider namens Weißbecker — wollte durchaus nicht weichen, drohte trotz allem Zureden mit tätlichem Widerstand und raste schließlich — das Bügelholz in der Hand — wie ein Wahnsinniger im Zimmer umher. Der Executor war endlich, zu seiner persönlichen Sicherheit und um auch für künftige Fälle nicht ganz seine Autorität einzubüßen, durchaus notgedrungen, sich von der Torwache zwei Mann zu erbitten, mit deren Hülfe es endlich gelang, auch diese Familien aus dem Zimmer zu bringen. Inzwischen hatte das lärmende Toben dieses Menschen eine Masse Neugieriger herbeigezogen. Dicht gedrängt standen diese auf dem Korridor, murrten und stießen Verwünschungen aus, als wir uns in das sechste Zimmer begaben, die letzte Execution vorzunehmen. Hier fand der Executor den hartnäckigsten Widerstand, und soviel Güte er auch verschwendete, man wollte weder Vorstellungen, noch der Gewalt weichen. Ja bereits sich mehrere hundert Männer und Weiber versammelt hatten, welche unter trotzigen Drohungen und selbst Injurien sich entschlossen erklärten, die Sache zu der ihrigen zu machen und Gewalt mit Gewalt zu vertreiben. Kein Zureden, kein Bitten half, und von dem tumultarischen Haufen eng umgeben, blieb mir nichts übrig, als diese letzte Exmission aufzugeben und, von meinem Vorhaben abstehend, das Haus mit dem Executor zu verlassen.
Ohnerachtet dieser Nachgiebigkeit war indessen die Aufregung der Friedensstörer immer größer. Man rottete sich auf dem Hof in großen Haufen zusammen, insultirte meine Hausofficianten und wurde immer unverschämter und herausfordernder. Unter diesen Umständen mußte der Executor den Beistand der Wache aufs neue fordern, und da diese nur aus vier Mann bestand, so verstärkte sie sieh von der Hauptwache und aus der Artillerie-Caserne, so daß im kurzem 30 Mann und ein reitender Gendarm auf dem Hof erschien. Statt diesen Demonstrationen zu weichen, ging nun der Lärm erst recht los, man brüllte, pfiff und schrie, verhöhnte die Wache und insultirte mich, der ich stets zu vermitteln und zu begütigen suchte, nebst meiner Umgebung, bewarf uns mit Sand und drohte zu Steinwürfen zu schreiten.
Mittlerweile erschienen mehrere Polizei-Beamte, welche ich zur Schlichtung des Handels aufgerufen hatte, und um den Sturm nicht sich weiter — vielleicht bis in die Stadt verbreiten zu lassen, indem schon mehrere gar nicht in diesen Häusern ansässige Menschen sieh den Tumultanten beigesellt hatten, beschloß ich auf Anraten des Herrn Polizei-Commissarius von meinem früheren Vorhaben einstweilen ganz abzusehen. Ich ließ den bereits exmittierten Einwohnern die Schlüssel wieder zurückgeben, die Wache sich entfernen und redete dann mit Hülfe der Polizei-Beamten den versammelten Leuten zu, sich in ihre Wohnungen zu verfügen. Nach einigem Widerstreben taten sie das auch, und so wurde die Ruhe für den Augenblick wieder hergestellt.”
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