In der zwei­ten Hälfte des 18. Jahr­hun­derts platzte Berlin bereits aus allen Nähten. Doch anstatt die alte hölzerne Pali­sade abzu­rei­ßen, wurde sie durch eine neue Stadt­mauer, stei­nern und mit präch­ti­gen Stadt­to­ren verse­hen, ersetzt. Im Norden verlief »die Linie«, wie die Holz­mauer auch genannt wurde, entlang der heuti­gen Lini­en­straße. Der neue Bau wurde aber einige Meter weiter außer­halb errich­tet, der Name Torstraße erin­nert noch heute daran.

Mauern sollen ja immer einen Schutz vor Gefah­ren bieten, seien es Gefah­ren von außen oder auch von innen. So diente diese verbes­serte Umwal­lung unter ande­rem dazu, zu verhin­dern, dass die Solda­ten, welche inner­halb Berlins statio­niert waren, die Stadt unbe­merkt und unkon­trol­liert verlas­sen konn­ten. Dass das trotz­dem nicht immer wie vorge­se­hen klappte, zeigt dieser Bericht vom August 1814:

»Die Wache am Rosen­tha­ler Tor hat die Ordre, nach 9 Uhr abends keine Solda­ten zum Tor heraus­zu­las­sen, diese Ordre wird aber wenig oder gar nicht befolgt. Alle Nacht ist das Umher­lau­fen der Solda­ten in der Vorstadt zu beob­ach­ten, so sind gestern Abend um 11 Uhr drei Mann von der könig­li­chen Garde ganz unge­hin­dert an der Wache vorbei zum Rosen­tha­ler Tor heraus und nach dem Felde zu, wo sie sich Mädchen hinbe­stellt hatten. Ich ging ihnen mit meiner Wache nach, sie verlo­ren sich aber im Getreide, und wir konn­ten sie nicht habhaft werden. Euer Hoch­wohl­ge­bo­ren bitte ich ganz gehor­samst, die der Wache früher gege­bene Ordre zu wieder­ho­len und aufs strengste einschär­fen zu lassen, ehe ein größe­rer Unfug entsteht, oder die Solda­ten sich verun­rei­ni­gen. Denn nur schlechte Menschen sind es, die sich des Abends aus der Stadt schlei­chen und im Getreide herum­trei­ben.«

Ein ande­rer Bericht zeigt die zweite Bestim­mung der Stadt­mauer: »Voigt­land: Eine Vorstadt vor dem Rosen­tha­ler Tor, die den größe­ren Diebes­ban­den von jeher zum Schlupf­win­kel gedient hat. Da sie außer­halb der Ring­mau­ern auf freiem Feld liegt, so hat das lose Gesin­del hier immer den Rücken frei und kann zur Nacht­zeit seinen Frevel in den umlie­gen­den Dörfern und auf der Heer­straße ausüben.«

Die Mauer sollte also auch zum Schutz der Berli­ner Bürger vor Einbruch und Raub dienen — als wenn es das nicht auch inner­halb der Mauer gege­ben hätte.
Doch der eigent­li­che Grund, die Stadt­mauer aufrecht zu erhal­ten und noch auszu­bauen, wird durch ihren Namen ersicht­lich, denn sie wurde auch »Akzi­se­mauer« genannt. (Das dem Fran­zö­si­schen entstam­mende Wort »Akzise« bedeu­tet »Steu­ern« bzw. »Zoll«.) Sie diente damit also auch dem Schutz der Berli­ner Wirt­schaft, da auf einge­führte Waren ein Zoll erho­ben wurde. Vor allem Textil‑, Leder- und Metall­wa­ren aus dem Bran­den­bur­ger Umland soll­ten in der Stadt nicht billi­ger ange­bo­ten werden als von den einhei­mi­schen Hand­wer­kern und Händ­lern. Und solange es zwischen Berlin und den umlie­gen­den Gemein­den keine Eini­gung über die eigent­li­chen Gren­zen der Stadt gab, galt die neue Stadt­mauer eben als Steuer- und Zoll­grenze der Stadt; nach dem Bau der Mauer noch viele Jahr­zehnte. Erst knapp 90 Jahre später soll­ten der größte Teil der Stadt­mauer sowie die Tore abge­ris­sen werden.

Da sich Berlin als wohl­ha­bende Resi­denz präsen­tie­ren wollte, legte man viel Wert darauf, dass die Stadt­tore möglichst prot­zig erschie­nen. Die Tore der neuen Akzi­se­mauer wurden zum Teil sehr reprä­sen­ta­tiv gestal­tet, oft mit mehre­ren Durch­fahr­ten und Flügeln. So auch das Rosen­tha­ler Tor, das seinen Namen durch den Ort Rosen­thal erhielt, der heute zum Bezirk Pankow gehört. Um damals nach Rosen­thal zu kommen, musste man von Berlin aus das Rosen­tha­ler Tor durch­que­ren – und so ist es bis heute. Die Stra­ßen­bahn­li­nie 53 über­quert vom Hacke­schen Markt kommend den Rosen­tha­ler Platz und fährt Rich­tung Norden zu ihrem Ziel, Endsta­tion Rosen­thal. Das Rosen­tha­ler Tor hatte ein sehr hohes Mittel­tor, dane­ben zwei kleine Durch­gänge sowie links und rechts je einen Gebäu­de­flü­gel, in denen die Torwa­che und Solda­ten unter­ge­bracht waren. Das 1788 errich­tete Tor war im Stil römi­scher Triumph­bö­gen erbaut, mit Drei­ecks­gie­beln, die von Säulen getra­gen wurden, sowie mit Krie­ger­sta­tuen auf dem Sims.

Von den insge­samt 17 Stadt­to­ren gab es nur ein einzi­ges, das von Juden benutzt werden durfte, nämlich das Rosen­tha­ler Tor. Dort stan­den nun Vertre­ter der Jüdi­schen Gemeinde, die gleich­zei­tig als Vermitt­ler wie auch als Helfer der Staats­macht dien­ten. Denn die Jüdi­sche Gemeinde war für alle Juden inner­halb der Stadt verant­wort­lich! Und so nahm sie sich auch das Recht, ihr unlieb­same Besu­cher nicht nach Berlin einrei­sen zu lassen. Das traf natür­lich in erster Linie arme Juden, die versu­chen woll­ten, in der Stadt Arbeit zu finden. Sie hatten nur dann eins Chance, wenn sie nach­wei­sen konn­ten, dass sie in Berlin eine Unter­kunft hatten und auch jeman­den, der sie ernährte und für sie bürgte. Für dieje­ni­gen, die nicht in die Stadt durf­ten, wurde 1800 eine spezi­elle »Juden­her­berge« neben dem Rosen­tha­ler Tor ange­legt, wo die Abge­wie­se­nen dann bis zu ihrer Weiter­reise unter­kom­men konn­ten.

Dieses Haus exis­tierte noch nicht, als Moses Mendels­sohn 1743 als Vier­zehn­jäh­ri­ger versuchte, in Berlin einzu­rei­sen. Er kam am Halle­schen Tor an, musste von dort die halbe Stadt umrun­den, um dann am Rosen­tha­ler Tor eben­falls abge­wie­sen zu werden – er hatte kein Geld. Erst beim zwei­ten Versuch klappte es, weil er angab, zu seinem ehema­li­gen Dessauer Lehrer, dem Rabbi Frän­kel zu wollen, bei dem er auch leben könne. Frän­kel selber wusste davon natür­lich nichts…

Das neue Rosen­tha­ler Tor hatte seine Funk­tion bis 1865 inne; es verschwand 1867 im Zuge des Abris­ses der gesam­ten Stadt­mauer. Wer heute noch etwas von der ehema­li­gen Akzi­se­mauer sehen will, hat wenig Möglich­kei­ten: Ein klei­nes Stück wurde nach­träg­lich an der Kreuz­ber­ger Stre­se­mann­straße wieder aufge­baut, ein weite­rer Teil ist in eine Haus­wand in der Hanno­ver­schen Straße in Mitte inte­griert. Auch die Ober­baum­brü­cke in Fried­richs­hain gehört noch zum alten Mauer­en­sem­ble — und natür­lich das berühmte Bran­den­bur­ger Tor, das als einzi­ges Stadt­tor über­lebt hat.

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