Die Schlacht um die Mainzer Straße

Die Bilder, die Mitte Novem­ber 1990 welt­weit in den Fern­se­hern zu sehen waren, erin­ner­ten mehr an Krieg, an Bürger­krieg. Und dabei war es nicht mal das, es war statt­des­sen der verzwei­felte Versuch einige hundert Auto­no­mer, ihr besetz­tes Terrain zu vertei­di­gen. Und das schaff­ten sie auch — für kurze Zeit und mit viel Gewalt.

Begon­nen hatte es kurz nach der Wende in der DDR. Auch im Stadt­vier­tel Fried­richs­hain gab es etli­che leer­ste­hende Wohnun­gen, oder wie in der Main­zer Straße sogar halb leere Stra­ßen­züge. Und es gab junge Menschen, die nicht mehr bei den Eltern leben woll­ten, sondern in einer eige­nen Bude. Nach der Öffnung der Grenze kamen auch Links­ra­di­kale aus West-Berlin zuhauf nach Fried­richs­hain, um hier ihre Poli­tik fort­zu­füh­ren, die bereits in Kreuz­berg geschei­tert war: Den Staat mit Gewalt heraus­zu­for­dern und rechts­freie Räume mili­tant zu erkämp­fen. Zu diesen Leuten gehörte auch ich.

Die Gewalt (wir nann­ten das heroi­sie­rend “Mili­tanz”) gehörte zum poli­ti­schen Konzept, egal ob man sie selbst anwandte oder nur vertei­digte, sie war selbst­ver­ständ­lich und wurde nicht in Frage gestellt. Wer dies tat, stellte sich außer­halb “unse­rer Reihen”. Diese Reihen waren damals gerade mit dem “Kampf gegen den Faschis­mus” beschäf­tigt. Tatsäch­lich gab es in West-Berlin nicht so viel Akti­vi­tä­ten von Neona­zis, das änderte sich aber nach der Mauer­öff­nung. Rechts­ra­di­kale Hooli­gans und Skin­heads aus Ost-Berlin trafen auf orga­ni­sierte Neona­zis aus dem Westen, man vermischte sich, und trotz vieler Streits und Konflikte etablier­ten sich die West­na­zis im Ostteil der Stadt. Sie arran­gier­ten sich und profi­tier­ten vonein­an­der. Zentrum der orga­ni­sier­ten Neona­zis wurde Lich­ten­berg, während wir West-“Antifas” uns auf Fried­richs­hain konzen­trier­ten — also direkt nebenan.

Viele Ost-Berli­ner Linke hatten keine Lust auf diese Konfron­ta­tion, sie versuch­ten im Prenz­lauer Berg eigene Struk­tu­ren aufzu­bauen, auch wenn sie sich natür­lich eben­falls rech­ter Gewalt ausge­setzt sahen und sich auch dage­gen wehr­ten.

In Fried­richs­hain entstand aber eine offen­sive auto­nome Struk­tur, die sich haupt­säch­lich auf die Main­zer Straße konzen­trierte. Hier wurden im Früh­jahr 1990 elf leer­ste­hende Wohn­häu­ser besetzt, ein ganzer Stra­ßen­zug, davon acht Häuser auf einer Seite, die alle in einer Reihe stan­den und mitein­an­der verbun­den waren. Es waren nicht auschließ­lich Auto­nome aus dem Westen in den Häusern, aber sie hatten das Sagen.

Als ich im Sommer ’90 eben­falls in der Main­zer Straße landete, hatten sich die Struk­tu­ren dort bereits gefes­tigt. Es gab Einkaufs­ge­mein­schaf­ten, Aufga­ben­tei­lung bei der Vorbe­rei­tung einer Vertei­di­gung der Straße, Plenen, Knei­pen usw. In “unse­rem” Haus lebten vor allem jüngere Leute aus einer Anti­fa­gruppe, die eben­falls mili­tant war, dane­ben aber auch andere Takti­ken auspro­bierte. So haben wir soge­nannte “Fascho­kids” in der Umge­bung besucht und versuch­ten mit ihnen zu reden, anstatt sie zusam­men­zu­schla­gen. Die Jugend­li­chen in der Gegend waren poli­tisch stark pola­ri­siert, es gehörte zum guten Ton, sich den Linken oder Rech­ten anzu­schlie­ßen — die meis­ten lande­ten rechts. Da wir es falsch fanden sie einfach zu schla­gen, versuch­ten wir eben, mit ihnen ins Gespräch zu kommen, oft mit Erfolg. So schaff­ten wir es, dass einige der “Jung­fa­schos” plötz­lich in der Main­zer Straße auftauch­ten, um z.B. in unse­rem Haus zu arbei­ten. Bei den Bewoh­nern der ande­ren Häuser waren sie dage­gen nicht so gern gese­hen, da sie die 14- bis 16-Jähri­gen als “Nazi-Spit­zel” ansa­hen. Ihnen passte es nicht, dass hier einige Leute eine anti­fa­schis­ti­sche Arbeit ohne Konfron­ta­tion aufzo­gen.

Aber es gab auch andere Begeg­nun­gen mit Rechts­ra­di­ka­len in unse­rer Straße: Mehr­mals zogen kleine Grup­pen von ihnen nachts in die Main­zer Straße, um wahl­los jeden zusam­men­zu­schla­gen, den sie in die Finger beka­men. Auch tags­über gab es mehr­mals Über­fälle, bis zu 200 Nazis versuch­ten dabei, die Straße zu stür­men. In der Regel wurden diese Angriffe abge­wehrt, doch es gab immer auf beiden Seiten Verletzte. Zum Schutz vor den Nazi­über­fäl­len, aber auch vor einem even­tu­el­len “Besuch” der Poli­zei in den Häusern, wurde eine Vertei­di­gungs­struk­tur aufge­baut. Wenn nun Rechte — wie es öfter vorge­kom­men ist — mit Autos durch die Straße rasten und aus den Fens­tern auf die Häuser schos­sen (teil­weise scharf, meist aber mit Pyro­mu­ni­tion), dann konn­ten Haken­kral­len auf die Straße gezo­gen werden, die alle Reifen der Autos sofort zerstör­ten, so dass sie nicht mehr flüch­ten konn­ten.

Front der besetzten Häuser

In den Häusern wurden zudem zahl­rei­che Molo­tow-Cock­tails gebun­kert, Sport­ka­ta­pulte mit Stahl­ge­schos­sen (Muttern) lagen an den Fens­tern bereit, die Dächer wurden gesi­chert. Der Poli­zei­funk wurde stän­dig abge­hört, nachts fuhren Patrouil­len durch die Stra­ßen und beob­ach­te­ten die Poli­zei­wa­chen und rech­ten Treff­punkte. Vor allem das Haus in der Lich­ten­ber­ger Weit­ling- Ecke Lück­straße war Ziel der Obser­va­tion, da dies vom Bezirk den orga­ni­sier­ten Neona­zis zur Verfü­gung gestellt worden war. Es war sozu­sa­gen das rechte Gegen­stück zur Main­zer Straße.

Im Herbst eska­lier­ten die Zusam­men­stöße zwischen Links- und Rechts­extre­mis­ten immer mehr, Neona­zis entführ­ten eine Auto­nome, die Links­ra­di­ka­len versuch­ten das Haus in der Weit­ling­s­traße zu stür­men, auf dem Alex­an­der­platz wurde ein 18-jähri­ger Rech­ter bei einer größe­ren Ausein­an­der­set­zung getö­tet. Der rot-grüne Senat unter Walter Momper ging kaum konse­quent gegen die Extre­mis­ten vor, aus der Poli­zei­füh­rung kam deshalb immer schär­fere Kritik.

Anfang Novem­ber 1990 zeich­nete sich ab, dass Poli­zei­prä­si­dent Schertz die Situa­tion been­den wollte. Er nannte die Häuser in der Main­zer Straße das Zentrum der Gewalt, wenn­gleich es zu diesem Zeit­punkt in Fried­richs­hain, Lich­ten­berg und dem Prenz­lauer Berg noch ca. 40 weitere besetzte Häuser gab. Mit seiner Einschät­zung hatte er recht, denn in der Main­zer lebten wohl dieje­ni­gen, die am wenigs­ten an einer einver­nehm­li­chen Lösung mit dem Senat inter­es­siert waren, für die meis­ten waren die Häuser nur Mittel im “Klas­sen­kampf”. In unse­rem Haus hatten wir aller­dings andere Gedan­ken, wir sahen es nicht als Trutz­burg an, aus der heraus die feind­li­che Welt drau­ßen bekämpft wird. Doch solch eine Posi­tion wurde in der Straße schon als “versöhn­le­risch” gebrand­markt und kate­go­risch abge­lehnt.

Als am Morgen des 12. Novem­ber dann die Nach­richt kam, dass in Lich­ten­berg und Prenz­lauer Berg gerade zwei Häuser von der Poli­zei geräumt würden, witter­ten viele in der Main­zer Straße einen Trick der Poli­zei: Nicht zu Unrecht speku­lier­ten wir darauf, dass die Poli­zei möglichst viele Unter­stüt­zer aus unse­rer Straße zu den Haus­räu­mun­gen locken wolle, um dann in Ruhe in der Main­zer Straße zuschla­gen zu können.

Statt­des­sen aber gab es eine Reak­tion vor der eige­nen Haus­tür: Die Main­zer Straße wurde an beiden Enden blockiert, Baucon­tai­ner und quer­ge­stellte PKWs waren die ersten Barri­ka­den. Dann ging ein Protest­zug in die Frank­fur­ter Allee, der dort einige zerstörte Schau­fens­ter­schei­ben sowie eben­falls Barri­ka­den hinter­ließ. Nun war klar, dass es zu einer Konfron­ta­tion kommen würde und die ließ nicht auf sich warten: Gegen 12 Uhr mittags rückte die Poli­zei mit Wasser­wer­fern, Räum­pan­zern und einige hundert Mann an, um die Main­zer Straße zu stür­men. Sie waren aber nicht auf die heftige Gegen­wehr gefasst: Aus etli­chen Fens­tern wurde mit Kata­pul­ten geschos­sen, ein Stein­ha­gel pras­selte auf sie nieder, die Beam­ten muss­ten zurück­ge­zo­gen werden, schon zu diesem Zeit­punkt gab es mehrere Verletzte, vor allem auf Seiten der Poli­zei.

Es war völlig klar, dass es nun einen besser koor­di­nier­ten Angriff geben würde, deshalb wurden bundes­weit Anti­fa­grup­pen und Auto­nome alar­miert, damit sie sofort nach Berlin kommen. Die Main­zer Straße war ja mitt­ler­weile bundes­weit ein Begriff und ein Symbol des mili­tan­ten Kamp­fes, so dass in den folgen­den Stun­den tatsäch­lich Dutzende Unter­stüt­zer aus allen Teilen Deutsch­lands zu uns stie­ßen.

Während die Poli­zei sich sammelte und eben­falls Unter­stüt­zung aus ande­ren Bundes­län­dern anfor­derte, wurde die Straße voll­ends dicht gemacht. Durch die vielen Baustel­len in der unmit­tel­ba­ren Umge­bung war sofort viel Mate­rial zum Barri­ka­den­bau vorhan­den. In der Main­zer Straße selbst stand ein Schau­fel­rad­bag­ger, der aufge­bro­chen wurde. Damit wurden nun an beiden Enden quer zur Straße Gräben ausge­ho­ben, um ein Durch­bre­chen der Poli­zei­pan­zer zu verhin­dern. Zwischen­durch gab es immer wieder mal Konfron­ta­tio­nen am Rande, meist mit der Poli­zei, aber auch mit empör­ten Bürgern sowie mit Rechts­ra­di­ka­len, die in völli­ger Verken­nung der Lage mein­ten, “die Linken” wären bereits geschla­gen und am Ende. Das Gegen­teil stimmte: Uns war klar, dass es nun zur Entschei­dung kommen würde, aber wir woll­ten unsere Häuser nicht kampf­los aufge­ben, auch wenn wir nicht daran glaub­ten, sie erfolg­reich vertei­di­gen zu können. Doch die folgen­den Stun­den bewie­sen erst­mal das Gegen­teil.

Angriff auf die Mainzer Straße

Immer und immer wieder versuchte die Poli­zei in die Straße einzu­drin­gen. Teil­weise mit massi­vem Tränen­gas­ein­satz von drei Seiten (die Scharn­we­ber­straße führte noch auf die Main­zer Straße), mit Rammen die auf Bagger geschweißt waren und natür­lich mit ihren Panzern. Sie schos­sen hilf­los mit ihren Wasser­wer­fern über die Barri­ka­den, aber sie schaff­ten es einfach nicht durch­zu­bre­chen. Zwischen­durch gab es immer wieder Ausbrü­che von Grup­pen aus der unse­rer Straße, die mit Stei­nen und Molo­tow-Cock­tails auf die Poli­zei losgin­gen. Als die Boxha­ge­ner Straße, die die Main­zer südlich begrenzt, einmal gerade poli­zei­frei war, versuchte ein Stra­ßen­bahn­fah­rer noch schnell seinen Zug in Sicher­heit zu brin­gen. Aber einige Leute stürm­ten hinein und die Fahr­gäste flüch­te­ten. Sofort war ein Schweiß­ge­rät zur Stelle und es wurde versucht, die Stra­ßen­bahn an die Schie­nen fest­zu­schwei­ßen, als vorge­la­gerte Barri­kade gegen die Poli­zei. Die hatte das Vorha­ben aber spitz­ge­kriegt und sich dann massiv auf die Leute am Zug konzen­triert, Wasser­wer­fer, Tränen­gas, das übli­che Reper­toire. So platzte dieser Plan.

Nachts um 3 Uhr zog sich die Poli­zei endgül­tig zurück, sie hatte es in 15 Stun­den Kampf nicht geschafft, die Straße zu stür­men, ganz zu schwei­gen davon, die Häuser zu räumen.

Am nächs­ten Tag herrsch­ten in der Öffent­lich­keit zwei Meinun­gen vor: Die einen forder­ten, uns raus­zu­prü­geln und alle einzu­sper­ren; die ande­ren sahen es diffe­ren­zier­ter und mein­ten, wir führ­ten einen berech­tig­ten Kampf zum Erhalt der Häuser. Wie naiv, denn darum ging es auf unse­rer Seite leider kaum jeman­dem. Die meis­ten woll­ten die Konfron­ta­tion. Und wir aus unse­rem Haus konn­ten dem nun auch nicht mehr entge­gen­steu­ern.

Der 13. Novem­ber war davon geprägt, dass poli­ti­sche Kreise zu vermit­teln versuch­ten. Vor allem Funk­tio­näre der Alter­na­ti­ven Liste (heute Die Grünen), die immer­hin mit in der Regie­rung saßen, woll­ten sowohl die Poli­zei, als auch die mili­tan­ten Haus­be­set­zer von einer weite­ren Eska­la­tion abhal­ten. Poli­zei­prä­si­dent Schertz log öffent­lich, dass eine Räumung der Häuser in der Main­zer Straße nicht vorge­se­hen wäre. Doch uns war klar, dass dies nur der Verschleie­rung diente, zumal wir von Sympa­thi­san­ten aus mehre­ren Bundes­län­dern hörten, dass weitere Poli­zei­ein­hei­ten zur Unter­stüt­zung auf dem Weg nach Berlin wären. Auch wir mobi­li­sier­ten weiter bundes­weit, aber das Ergeb­nis war entmu­ti­gend: Viel­leicht 200 Unter­stüt­zer waren bis zum nächs­ten Morgen ange­kom­men.

Wir nutz­ten den Tag, um weiter an den Barri­ka­den zu bauen. Dazwi­schen wurden einige wich­tige Dinge aus den Häusern wegge­bracht, auf der Straße gab es zahl­rei­che Inter­view­fra­gen, in den Häusern bastelte man wieder Mollies. Alles wartete auf die große Schlacht und es war klar, dass sie am nächs­ten Morgen begin­nen würde. Noch einmal setz­ten wir uns zusam­men und berie­ten, wie wir uns verhal­ten würden. Da unser Haus ganz am Anfang der Straße stand, zudem noch etwas abge­le­gen von der Stra­ßen­front und nach hinten völlig offen, war klar, dass wir es nicht vertei­di­gen würden. Einige von uns woll­ten deshalb in andere Häuser, wir ande­ren blie­ben zur Vertei­di­gung drau­ßen. Wir wuss­ten, dass es der letzte Abend in unse­rem Haus sein würde.

Die Erstürmung der Straße

Morgens gegen fünf Uhr gab es plötz­lich Feuer­alarm: In einem der nicht besetz­ten, aber bewohn­ten Häusern mitten in der Main­zer Straße war im Keller ein Brand ausge­bro­chen. Wir haben nie raus­ge­kriegt, wie das passierte, aber die Vermu­tung, dass das dazu dienen sollte, die Barri­ka­den für die Feuer­wehr zu öffnen, ist nicht von der Hand zu weisen. Wenn es so war, dann haben dieje­ni­gen bewusst den Tod von unschul­di­gen Menschen in Kauf genom­men. Während die Feuer­wehr alar­miert wurde (und dann noch über­zeugt wurde, dass sie die Schläu­che von außer­halb in die Main­zer Straße brin­gen musste), rannte ich mit eini­gen ande­ren in den völlig verqualm­ten Trep­pen­flur. Gasmas­ken gehör­ten damals wegen des Tränen­ga­ses zu unse­rer Stan­dard­aus­rüs­tung, doch wie man sich im Qualm bewegt, haben wir nicht gewusst. Zu dritt sind wir mit Feuer­lö­schern in den Keller gestie­gen, ohne uns irgend­wie orien­tie­ren zu können. Wir woll­ten den Brand unten bekämp­fen, während andere bereits die Bewoh­ner über einen Balkon im ersten Stock und eine lange Leiter evaku­ier­ten. Doch wir muss­ten unser Vorha­ben aufge­ben, durch den dich­ten Qualm war die Sicht prak­tisch Null. Die Feuer­wehr löschte den Brand inner­halb weni­ger Minu­ten, danach musste sie die Straße sofort wieder verlas­sen.

Kurz danach stand ich mit eini­gen Freun­den müde vor der Barri­kade an der Frank­fur­ter Allee. Wir waren ausge­laugt, aber auch wütend und nervös. Noch war kein Poli­zist in Sicht. Gegen 6.30 Uhr kam dann die Nach­richt, dass hunderte Mann­schafts­wa­gen aus allen Rich­tun­gen unter­wegs wären, über uns tauch­ten die ersten Hubschrau­ber auf. Plötz­lich ging alles sehr schnell. Ein Sonder­ein­satz­kom­mando hatte sich durch die U‑Bahn oder angren­zende Häuser geschli­chen, sie stan­den plötz­lich vor uns, unser Wider­stand wurde sofort nieder­ge­prü­gelt. Blutend, teil­weise mit gebro­che­nen Knochen, ließen sie uns liegen und versuch­ten die Barri­kade zu zerstö­ren. Mein Freund Toni, der auf der Barri­kade stand, wurde kurz danach durch einen Schuss ins Bein verletzt.

Mehrere hundert Poli­zis­ten stürm­ten sofort hinten­dran, sie zogen uns weg, wer konnte, flüch­tete. Ich selber konnte noch einen Schwer­ver­letz­ten wegzie­hen und brachte ihn zwei Blocks weiter, wo ihn ein Kran­ken­wa­gen aufnahm. Der Weg zurück war versperrt, aber er öffnete mir doch die Augen: Insge­samt 3.000 Poli­zis­ten stürm­ten gegen die Straße. Auch auf den Dächern sah ich die ersten SEK’­ler, sie versuch­ten die Häuser von oben zu öffnen. Mir wurde schlag­ar­tig deut­lich, was unser Vorge­hen doch für ein Wahn­sinn war. Wir hatten ja keine Chance.

Diese Schlacht um die Straße dauerte etwa 2 Stun­den. Die Luft war voll Tränen­gas und flie­gen­den Stei­nen, aus den Häusern flog alles, was beweg­lich war, heraus. Selbst Balken, Gehweg­plat­ten und Gully­de­ckel wurden auf die Beam­ten herun­ter­ge­wor­fen, ihr Tod wurde einfach in Kauf genom­men. Hunderte Liter Benzin wurden entzün­det, Stahl­ge­schosse auf die Poli­zei geschos­sen. Auf einem Dach kam es zum direk­ten Kampf zwischen Poli­zis­ten und Haus­be­set­zern, glück­li­cher­weise stürzte niemand herun­ter.

Es hatte im Vorfeld die Abspra­che gege­ben, dass die Vertei­di­gung der Häuser been­det wird, wenn die Poli­zei die gesamte Straße unter Kontrolle hat. Die Beset­zer soll­ten dann versu­chen, über die Höfe und den Fried­hof zu flüch­ten.

Als es gegen 9 Uhr soweit war, kam die Rache der Poli­zei: Dieje­ni­gen, die nicht mehr raus­ge­kom­men sind, wurden zusam­men­ge­schla­gen und teil­weise wie im Blut­rausch miss­han­delt. In einem Haus zwan­gen die Poli­zis­ten jeman­den, aus dem 2. Stock in den Hof zu sprin­gen, andere wurden bis zu einer Stunde in ihrem Blut liegen­ge­las­sen, bevor sie ins Kran­ken­haus kamen.

Die Räumung der Main­zer Straße war ein Symbol, so wie es zuvor ein 3/4 Jahr lang ihre Beset­zung war. Poli­zei und Innen­se­nat setz­ten sich durch, die rot-grüne Koali­tion zerbrach daran, weitere Haus­be­set­zun­gen wurden danach nicht mehr tole­riert. In der Folge­zeit gab es gegen einige der etwa 150 Fest­ge­nom­me­nen Verur­tei­lun­gen wegen Land­frie­dens­bruch, mehrere Menschen (auf beiden Seiten) werden als Folge der Gewalt ihr Leben lang behin­dert sein. Mir haben diese Erfah­run­gen deut­lich gemacht, dass Gewalt in der poli­ti­schen Ausein­an­der­set­zung nicht das rich­tige Mittel sein kann. Sie erzeugt nur Gegen­ge­walt und Verhär­tung der Fron­ten, aber keine Verstän­di­gung. Aber ohne Verstän­di­gung gibt es keine wirk­li­che Lösung von Proble­men. Das gilt übri­gens nicht nur für die Auto­no­men, sondern für alle Betei­lig­ten.

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2 Kommentare

  1. Ich war damals als Jour­na­lis­tin eben­falls in der Main­zer Straße unterwegs,müsste aller­dings die Zeitung dazu raus­su­chen, wir vom Verlag “das Blatt” haben eine Sonder­aus­gabe heraus­ge­bracht. Wir spra­chen mit Hausbesetzer/Innen, wir sahen, wie eine der SEKler auf der Straße brüllte, dass es unmög­lich ist, dass sie ausbü­geln müssen, was die Politiker/der Staat versaut haben.Ich sprach einen der SEKler (ich glaube sie waren aus Nordrhein/Westfahlen) an, der mit eine Absper­rung bildete. Und fragte: “macht Dir das Spaß?” Kaum merk­lich schüt­telte er den Kopf. Ich weiß, dass der Bürger­meis­ter von Fried­richs­hain eben­falls fassungs­los war, da er ja noch in Gesprä­chen mit eini­gen Haus­be­set­zern war . viel­leicht mit Euch? Es ging um regu­läre Verträge für Euch? Naja, die gesamte Geschichte ist wenig rühm­lich für alle Seiten, ich für meinen Teil muss nicht noch einmal neben einem Wasser­wer­fer stehen, der auf Menschen gerich­tet ist. Ich sah damals­vor allem eins — hier wurde eine Gene­ra­tion gegen­ein­an­der getrie­ben. Ich finde Deine Reflek­tion sehr ehrlich und achtungs­wür­dig!!!

  2. Ich habe damals in einer Nach­bar­straße der Main­zer gewohnt und die Kämpfe erlebt.

    Es war schon eine gefähr­li­che Aktion, mit dem “Schau­fel­rad­bag­ger”, es handelte sich um einen T‑174–2 Mobil­bag­ger vom VEB Kombi­nat Fort­schritt, die Straße aufzu­bud­deln. Nicht nur Wasser‑, auch Gaslei­tun­gen hätten beschä­digt werden können. Die Räumung hätte so nicht sein brau­chen, viele Ostber­li­ner und vor allem die Fried­richs­hai­ner sahen in dieser Aktion eine Macht­de­mons­tra­tion der neuen gesamt­deut­schen Herr­scher. Die “neue” BRD war ja erst ein paar Wochen alt. Den Ostber­li­nern sollte gezeigt werden, wer die neuen “Bosse” sind. Nichts mit Wieder­ver­ei­ni­gung, nein, es war ein Anschluß und das sollte jedem Ostdeut­schen klar gemacht werden.
    Auf jeden Fall war es Krieg, eine ganz böse Sache die damals abge­lau­fen ist. Nach der Räumung das stun­den­lange fest­hal­ten der Verhaf­te­ten, vor allem hatten diese fast nichts mit der Vertei­di­gung der Main­zer zu tun, das waren normale Bewoh­ner der Straße. Die meiß­ten der akti­ven Vertei­ti­ger, nicht alle, waren längst weg, als die Poli­zei in die Häuser einbrach. Brutal, wie die Poli­zei gegen Unschul­dige vorging. Wer das damals erlebt hat, oder dem es berich­tet wurde, wird diesen Hass nicht mehr los…

    Die Räumung der Main­zer Straße — ein unrühm­li­ches Kapi­tel (Ost)Berliner Nach­wen­de­ge­schichte und ein Beweis für die Unfä­hig­keit der Berli­ner Momper Regie­rung aus dem Jahre 1990.

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