Wie so viele Orte in Berlin hat sich auch die Nürnberger Straße grundlegend gewandelt. Vor allem im Teil zwischen Augsburger und Tauentzienstraße gab es mal ein reges Nachtleben. Sie war einer der Orte, die den „Goldenen Zwanzigern“ ihren Namen gaben. Aber auch nach dem Krieg ging es hier weiter, bis in die 1980er Jahre hinein.
Bis heute dominiert das lang gezogene Hotel Ellington die östlichen Straßenseite. Nachts schick beleuchtet hat es nichts von seiner Eleganz verloren, die dem Gebäude schon bei der Eröffnung Ende der 1920er Jahre viel Ruhm einbrachte. Dabei handelte es sich nur um ein Bürohaus. Aber eines, bei dem Hauseingänge und die Schaufenster der Ladenfront in Messing gefasst sind.
Interessanter war, was sich unter und hinter dem Verwaltungsgebäude „Haus Nürnberg“ befand. Am 1. Oktober 1929 öffnete dort das Ballhaus Femina, mit 2.000 Sitzplätzen, zwei großen Bars und drei Kapellen.
„Durch ein Marmor-Vestibül und einen zweiten Vorraum betritt man eine Herrenbar, in der Stimmungssänger und -sängerinnen sich hören lassen. Von den Garderoben fährt ein Fahrstuhl, der gleichzeitig 16 Personen befördert, die Gäste in die Tanzbar des ersten Stocks, wo zwanzig junge Damen bedienen und ein allererstes Tanzorchester spielt. Es gibt Tischtelefone und eine Rohrpost mit Zentrale, von der aus junge Mädchen in Uniform die Briefchen austragen. Die Tanzfläche kann ganz oder teilweise um einen halben Meter erhöht werden, um die Darbietungen allgemein sichtbar zu machen. Elegante Tanzpaare, Grotesk-Tänzer und vollständige Ballette werden sich nachmittags und abends dort zeigen. Allermodernste Beleuchtung taucht den Saal in blendendes Licht.“
Offenbar aber hatte sich der Betreiber übernommen, zudem war die Konkurrenz in der Gegend enorm. Stückchenweise wurden ab 1931 einzelne Bereiche geschlossen, im April 1933 machte das Femina dicht.
Zwei Jahre später ging es wieder los. Das Femina sollte ein Zentrum der deutsch-völkischen Musik werden, Kapellen der SA, SS und Wehrmacht spielten zum Tanz. Langsam jedoch entwickelte es sich trotz Bedrohung durch die Nazi-Herrschaft zum beliebtesten Swingpalast Berlins – also für eine Musik, die in den braunen Ohren undeutsch klang. Die britischen Bomben jedoch beendeten die Party und die Existenz des großen Ballsaals.
Aber schon 1946 zog wieder Kultur ein. Erst mit dem Kabarett „Ulenspiegel“, zwei Jahre später wurde der Saal zum Kino umgebaut. Im Juli 1949 öffnete im gleichen Haus auch die „Badewanne“. Das einzigartige Künstlerkabarett konnte innerhalb eines Jahres sechs Programme präsentieren, machte aber trotzdem schon 1950 pleite. Doch in den 13 Monaten seines Bestehens wurden die Weichen für die Karrieren mehrerer Künstler gestellt, hier entstanden unter anderem die „Stachelschweine“.
Im gleichen Gebäude, direkt nebenan, wurde das „Berliner Theater“ gegründet. Dort traten Lil Dagover, Olga Tschechowa, Grethe Weiser auf, aber auch spätere Stars wie Günter Pfitzmann, Edith Hancke oder Klaus Kinski.
Mit dem Ende des Kabaretts übernahm eine ganz andere Mannschaft die Badewanne, den Namen aber behielten sie und auch die namensgebende, ungenutzte Badegelegenheit blieb gleich hinter dem Eingang stehen.
Jazzer mögen das verrauchte Dämmerlicht, die Kelleratmosphäre muss ihnen sofort gefallen haben. Schnell entwickelte sich die „Wanne“ zu einem der berühmtesten Jazz-Clubs in West-Berlins. Die us-amerikanischen Soldaten kamen, ebenso Louis Armstrong, Ella Fitzgerald, Duke Ellington, Count Basie, Lionel Hampton, Dizzie Gillespie. In langen Nächten klangen die Trompetensoli bis auf die Straße, die ansonsten längst ihren Reiz verloren hatte.
Zwanzig Jahre später war vom Zauber der Badewanne nichts mehr übrig. Es folgte eine unstete Zeit, mit Schlager und Disco. Manch einer kennt vielleicht noch die Namen „Sugar Shack“, später „Garage“, unter denen man dort tanzen ging.
Ende der Siebziger aber kam „New Wave“ und mit ihr der stylisch-schicke „Dschungel“, der zuvor nur eine Kneipe am Winterfeldtplatz war. Schnell wurde er mit Wendeltreppe zur Empore, Aquarium und kleinem Springbrunnen zur absoluten Szene-Discothek. Und wieder kamen die prominenten Namen in die Nürnberger Straße. Nach den Kabaretisten, Schauspielern und Jazzern waren es nun Namen wie David Bowie, Romy Haag, Barbra Streisand, Lou Reed, Nick Cave, Frank Zappa, die den Räumen Glanz verliehen. Mick Jagger, Prince oder Boy George verbrachten hier die Nächte nach ihren Konzerten. Der Dschungel verstand sich als Gegenstück zu New Yorks „Studio 54“, entsprechend kam längst nicht mehr jeder herein.
Mit dem Aufkommen des Techno Ende der 1980er Jahre begann aber der Abstieg des Dschungels. Ein paar Jahre hielt man sich noch mit der Erinnerung an eine große Vergangenheit über Wasser, doch 1993 kam das Ende.
Party ist an diesem Ort nicht mehr angesagt. Das 2007 eröffnete Hotel nutzt sämtliche Etage und Räume oder hat sie an hochwertige Geschäfte vermietet. Nur der Name des Restaurants und Hotels („Duke“ und „Ellington“) sowie das ebenfalls im Haus beheimatete Jazzradio erinnern noch an die kulturelle Vergangenheit.
Wer gerne die Menschen die mit dem Dschungel verbunden waren einmal wiedersehen möchte, geht einfach am ersten Mittwoch des Monats in den alten Dschungel. Aber Vorsicht – es sind unterdessen viele Jahre vergangen…
@ Michael Hellebrand: Warum fällt mir zu deinem Kommentar ein kürzlich gelesener Spruch ein: „Der Rollator ist das Fahrzeug der Zukunft“ ? ;-)
@Bernd: Rollator vielleicht noch nicht, aber Dreirad bin ich vor 50 Jahren auch schon gefahren…
Ich grüße alle die damals das sugar shack mit umgebaut haben.Jungs das war eine tolle Zeit mit euch.Gruss Mike