Berlinern

Mein Vater kam als Kind aus Hessen nach Berlin, als das Groß­deut­sche Reich gerade in Trüm­mer fiel. Und obwohl er mehrere Jahr­zehnte hier lebte, wurde er nie ein rich­ti­ger Berli­ner. Also einer, der gerne hier lebte und sich mit der Stadt iden­ti­fi­zierte. Ich konnte das nie so rich­tig verste­hen, fand es toll in dieser Stadt und wenn wir mal in „West­deutsch­land“ waren, also alles jenseits der DDR, konn­ten wir mit unse­rer Herkunft prima ange­ben. Entwe­der bedau­er­ten uns die Leute, weil wir ja „einge­sperrt“ waren, was wir natür­lich nicht so empfun­den haben. Als Kind nimmt man die Reali­tät hin, wie sie eben ist und West-Berlin war auch groß genug für einen klei­nen Jungen. Andere, vor allem Kinder, fanden meine Herkunft span­nend, vor allem wenn sie von den maschi­nen­ge­wehr-bestück­ten Ami-Jeeps hörten, die die Mauer abfuh­ren, von Todes­strei­fen, Wach­tür­men und den nächt­li­chen Schein­wer­fern.

Was mein Vater über­haupt nicht mochte, war das „Berli­nern“. Er versuchte uns beizu­brin­gen, hoch­deutsch zu spre­chen. Den Berli­ner Slang empfand er wohl als zu prol­lig. Am Liebs­ten hätte er uns Kindern wohl den Mund mit Seife ausge­spült, wenn wir berli­ner­ten. So rich­tig verstan­den habe ich das nie, was war daran schlimm? So spricht man hier nun mal, dachte ich, bei unse­ren Urlau­ben in Öster­reich hatten die dort ja auch alle ihren eige­nen Dialekt. Darüber regte er sich komi­scher­weise nicht auf. Streng genom­men ist das Berli­ne­ri­sche nicht mal ein Dialekt, sondern ein Metro­lekt, eine Stadt­spra­che.

In den 1970er Jahren war das Berli­nern noch sehr verbrei­tet in der Stadt. Nicht so wie heute, wo man es rela­tiv selten hört. Schon oft wurde ich von Taxi-Fahr­gäs­ten ange­spro­chen, dass ich ja wohl ein echter Berli­ner sei, das würden sie schon an meinem Dialekt hören. Dabei bin ich mir gar nicht bewusst, dass ich so spre­che. Klar kann ich es machen, „Ick, ditte, kieke mal, Oojen, Fleesch un Beene“, keen Problem.

Schon in den 80er Jahren konnte man bemer­ken, dass es weni­ger wurde. In West-Berlin war längst das Türkisch-Deutsch dazu gekom­men, oft auch gemischt mit dem Berli­ner Slang. Ansons­ten berli­ner­ten vor allem die Bewoh­ner im Wedding.

In den Jahren vor der Mauer­öff­nung war ich sehr oft in Ost-Berlin. Türkisch hörte man dort nie, dafür säch­sisch und thürin­gisch. Vor allem aber berli­ner­ten die Menschen dort viel mehr, als im Westen. Damals fiel mir auf, dass es sogar lokale Unter­schiede gibt. Noch heute kann ich sagen, ob jemand in Pankow oder Lich­ten­berg aufge­wach­sen ist, wenn er sich die Ausspra­che bewahrt hat. Fast immer, wenn ich jeman­den drauf ange­spro­chen habe, lag ich rich­tig.

Viele Berli­ner muss­ten ihren Heimat­be­zirk verlas­sen, weil der plötz­lich hip und damit zu teuer wurde. Wirk­li­che Einge­bo­rene, die schon ihr Leben lang in im selben Stadt­be­zirk wohnen, gibt es nicht mehr viel. Auch die Dialekte leiden darun­ter. Ebenso wie durch den massen­haf­ten Zuzug nach Berlin, die das Berli­ne­risch verwa­schen.

Heut­zu­tage gibt es da auch etwas, das ich beim Berli­nern pein­lich finde. Zum einen dieje­ni­gen, die auch beim Schrei­ben krampf­haft im Slang blei­ben. Oft findet man das in Online-Kommen­ta­ren von Zeitungs­web­sites und in manchen loka­len Inter­net­fo­ren. Das ist nicht nur schwer zu lesen, sondern man merkt, wie bemüht künst­lich das in die Tasten gequält wurde.

Pein­lich nenne ich aber auch den Versuch von Zuge­zo­ge­nen, den Berli­ner Dialekt nach­zu­spre­chen, um als „echter Berli­ner“ zu erschei­nen. Sie lernen manche Wörter auswen­dig und achten darauf, sie in ihre Sätze mit einzu­bauen. Und weil sie nicht wissen, dass man das „das“ zwar „det” schrei­ben kann, aber „dit“ ausspricht, verra­ten sie sich schnell.

Aber das ist noch besser als der Versuch, die eigene Spra­che den Berli­nern aufzu­zwin­gen. Dies hat vor allem die BVG jahre­lang versucht, indem sie den Tradi­ti­ons­be­griff „Stra­ßen­bahn“ durch „Tram“ ersetzte. Selbst wenn die Stra­ßen­bahn in Süd-Deutsch­land und ande­ren Ländern so heißt, nannte man sie hier in Berlin noch nie so. Tram ist kürzer auf den Schil­der und passt so besser als Pikto­gramm neben dem S, dem U und dem Bus. Der Versuch, uns den Begriff „Tram“ aufzu­zwin­gen, ist aber dane­ben­ge­gan­gen. Die BVG-Chefin hat zuge­ge­ben, dass das ein Schlag ins Wasser war und selbst wenn das Tram-Symbol erhal­ten bleibt, wird die Stra­ßen­bahn künf­tig auch wieder als Stra­ßen­bahn bezeich­net.
Dit find ick jut.

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Mein Vater­land ist fit und flei­ßig und macht was her Und seine Wert­ar­beit, die ist bis heute legen­där Wie lieb ich so‘n Land? Mit Herz oder Verstand? Blind oder mit Blick über den Rand? Mein […]

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