Geld und gut

Arbeit

Arbeits­tei­lung ist eine nütz­li­che Erfin­dung. Sie brau­chen nicht alles, was Sie zum Leben benö­ti­gen, selbst zu sammeln, zu jagen, zu züch­ten, zu bauen, zu weben und zu gerben. Sie tun nur das, was Sie beson­ders gut können, und tun es auch für Ihre Mitmen­schen. Zum Beispiel Musik­in­stru­mente oder Häuser bauen, Kranke pfle­gen, Gemüse oder Tiere züch­ten oder kochen, Kindern etwas beibrin­gen oder Tote ordent­lich begra­ben. Dafür erhal­ten Sie Geld, und damit können Sie sich von ande­ren Menschen nütz­li­che Dinge oder Dienste kaufen. Weil jeder macht, was er gut kann, bleibt Zeit übrig, in der man die Früchte der Kultur pflü­cken kann: Bücher lesen, Musik hören oder selber machen, Kunst­werke anschauen. Und jeder kann im Klei­nen oder Großen auch selbst zur Kultur beitra­gen: viel­leicht nur in Gesprä­chen, viel­leicht aber auch, indem er ein Buch schreibt oder ein Bild malt.

Wer härter arbei­tet oder Dinge von höhe­rer Quali­tät herstellt, verdient mehr und kann sich mehr leis­ten. Kein redli­cher Mensch wird es ihm neiden.

Wenn Sie gut orga­ni­sie­ren können und gute Ideen haben, können Sie sogar eine Firma grün­den und Mitar­bei­ter beschäf­ti­gen. Wenn es Ihren Mitar­bei­tern gut geht, wird man es Ihnen danken. Sie selbst können dennoch viel Geld verdie­nen und sich Beson­de­res leis­ten. Viel­leicht sammeln Sie Kunst und leihen die einem Museum. Oder sie fördern junge Musi­ker oder Wissen­schaft­ler. Oder Sie spen­den für gute Zwecke. Oder Sie leis­ten sich etwas so Extra­va­gan­tes wie Renn­pferde. Manch­mal werden Sie vor Sorgen um Ihre Mitar­bei­ter oder Kunden schlecht schla­fen. Das gehört dazu. In Roma­nen lesen Sie, dass Sie nicht der Einzige sind, der Sorgen hat.

So können Sie nicht nur ange­nehm leben, so nehmen Sie Teil an der Kultur und wissen, dass das, was Sie tun, auch ande­ren nützt oder Freude macht. Sie sind ein guter Mensch. Es ist gar nicht schwer.

Geld

Wenn Sie Geld übrig haben, aber es nicht ausge­ben möch­ten, können Sie es jeman­dem leihen, der gerade zu wenig hat, zum Beispiel, weil er durch einen Unfall höhere Ausga­ben hat, als er sofort bezah­len kann, oder, weil er eine gute Geschäfts­idee hat, aber nicht die Mittel, um sie zu reali­sie­ren. So kann man sich gegen­sei­tig helfen. Das hat viel mit Vertrauen zu tun. Der Gläu­bi­ger vertraut darauf, dass der Schuld­ner seine Schul­den bezah­len wird. Der Schuld­ner vertraut darauf, dass der Gläu­bi­ger die verein­barte Sicher­heit, zum Beispiel ein Haus, wirk­lich nur als Sicher­heit sieht, nicht als Mittel, um sich zu berei­chern.

Das Chris­ten­tum hat lange verbo­ten, Zinsen für gelie­he­nes Geld zu fordern. Der Islam verbie­tet es immer noch. Inzwi­schen gelten bei uns mäßige Zinsen nicht als verwerf­lich, aber Wucher­zin­sen, mit denen man den Schuld­ner in immer größere Abhän­gig­keit bringt, sind gesetz­lich verbo­ten. Darauf achtet der Staat.

Sie können auch Anteile einer Firma kaufen. Dann tragen Sie in schlech­ten Zeiten einen Teil des Risi­kos und erhal­ten in guten Zeiten Divi­dende.

Leider kann man mit Geld mehr anfan­gen, und wie Sie es damit halten, entschei­det darüber, ob Sie ein guter oder ein schlech­ter Mensch sind.

Speku­la­tion

Zum Beispiel rich­ten Sie sich aufs Speku­lie­ren. Sie kaufen einem armen Schlu­cker, der gerade in Geld­not ist, etwas ab, das im Wert stei­gen wird, und verdie­nen so ohne jegli­che ehrli­che Arbeit Geld. Speku­lie­ren hat früher etwas Anrü­chi­ges gehabt, aber Sie und andere Speku­lan­ten haben es heut­zu­tage geschafft, arglo­sen Poli­ti­kern einzu­re­den, dass es gut ist. Wer hart arbei­tet, der darf ruhig mehr verdie­nen. Sie sind mit Speku­la­tio­nen reich gewor­den, also haben Sie härter gear­bei­tet. Dass diese Schluss­fol­ge­rung logisch Unsinn ist, merkt niemand mehr, wenn man sie nur oft genug wieder­holt.

Ja aber, sagen Sie, man muss doch hin und wieder speku­lie­ren, um Geld für Inves­ti­tio­nen zu haben. Der Zweck heiligt das Mittel, nicht wahr? – Das ist eine schwie­rige Diskus­sion, auf die wir uns hier nicht einlas­sen wollen. Wir stel­len nur fest, dass der Zweck bei Ihnen oft nichts ande­res ist als erneute Speku­la­tio­nen, die weitere Speku­la­tio­nen ermög­li­chen, damit Sie noch mehr speku­lie­ren können.

Produk­ti­ons­mit­tel

Oder Sie brin­gen knappe Produk­ti­ons­mit­tel in Ihren Besitz. Ganz früher waren das Lände­reien, dann Maschi­nen, heute sind es vor allem Rechte und Patente, sogar Rechte an der Luft und an Funk­fre­quen­zen im Äther. Oder ganze Wasser‑, Strom- und Eisen­bahn­netze von Städ­ten und Ländern. Sie können dann Preise und Löhne diktie­ren, Sie haben Macht über alle Mitar­bei­ter und Kunden und brau­chen immer weni­ger auf Quali­tät zu achten, denn niemand kann noch ohne Sie.

Vor Jahren hat ein deut­scher Bundes­kanz­ler mal seine Lands­leute beru­higt: ja, sicher seien Bund, Länder und Gemein­den hoch verschul­det, aber dem stün­den ja enorme Werte gegen­über. All diese Eisen­bah­nen, Wasser­lei­tun­gen, Kran­ken­häu­ser, Sozi­al­woh­nun­gen, U‑Bahnen, das Tele­fon­netz und so weiter, das sei doch Eigen­tum von uns allen. Nur, leider waren die Poli­ti­ker und Bürger­meis­ter nach ihm so geld­geil und dumm, dass sie Leuten wie Ihnen all dies verkauft haben. Sie als Eigen­tü­mer dieser Mittel und Rechte können nun über­all Geld abschöp­fen und noch mehr knappe Mittel und Rechte kaufen, ohne irgend­et­was Nütz­li­ches zu tun. Zeitun­gen nennen es Refeu­da­li­sie­rung, und das ist es auch.

Feuda­lis­mus

Ein Feudal­herr muss immer auf der Hut sein, dass ihm ein ande­rer seinen Besitz nicht abnimmt. Dazu muss er stark sein und blei­ben, also am besten regel­mä­ßig einem ande­ren alles abneh­men. Früher ging das mit viel Blut­ver­gie­ßen einher, jetzt gibt es dazu soge­nannte Märkte. Und die Staa­ten sorgen dafür, dass Ihre Raub­züge durch Gesetze gedeckt sind. Alles ganz legal, auch wenn dadurch viele recht­schaf­fene Menschen ihre Arbeit verlie­ren.

Jeden­falls haben Sie so wieder Arbeit: sie müssen stän­dig lauern und jede Chance ergrei­fen. Und Sie müssen Lobby­is­ten und Jour­na­lis­ten beschäf­ti­gen, die den Menschen immer wieder einstamp­fen, dass das nütz­li­che Arbeit wäre. Und sie müssen dafür sorgen, dass an allen Schalt­stel­len Ihre Schlüs­sel­fi­gu­ren sitzen. Oder Sie sind selbst nicht einer der ganz Großen, sondern solch eine Schlüs­sel­fi­gur. Wie das eben im Feuda­lis­mus so ist.

So werden Sie und Ihre Schlüs­sel­fi­gu­ren immer reicher und mäch­ti­ger. Den Preis zahlen die Menschen, die noch nütz­li­che Arbeit tun, zum Beispiel Lehrer, Kran­ken­schwes­tern, junge Wissen­schaft­ler und sowieso alle Arbei­ter. Die werden lang­sam immer ärmer und müssen immer mehr um ihre Zukunft bangen. Deren Pensio­nen und Renten sind ja auch schon verspe­ku­liert. Darauf werden wir noch zurück­kom­men.

Moral

Sind Sie ein guter Mensch, wenn Sie Feudal­herr eines wissen­schaft­li­chen Verlags­kon­glo­me­rats oder einer Kran­ken­haus­kette sind? Oder wenn Sie für einen Feudal­herrn einen Verlag oder ein Kran­ken­haus leiten und dafür ein Viel­fa­ches dessen verdie­nen, was ein Hoch­schul­leh­rer oder ein Kran­ken­pfle­ger verdient? Sie finden das, und Ihr Einkom­men beweist es Ihnen täglich: wer so viel verdient, muss doch gut sein.

Aber schauen wir uns einmal Ihren Verlag an. Die Univer­si­tä­ten bezah­len Summen für ein Abon­ne­ment einer wissen­schaft­li­chen Zeit­schrift, die in keinem Verhält­nis zu den Druck­kos­ten und zur Redak­ti­ons­ar­beit stehen. Die Univer­si­tä­ten kommen dadurch in Geld­not, und jüngere Wissen­schaft­ler bangen auf schlecht bezahl­ten, befris­te­ten Verträ­gen um ihre Exis­tenz. Indem sie veröf­fent­li­chen, veröf­fent­li­chen, veröf­fent­li­chen, müssen sie immer wieder ihre Quali­tä­ten bewei­sen. Die dafür nötige Forschung bezahlt nicht Ihr Verlag, sondern die Univer­si­tät. Der Autor, immer unter Veröf­fent­li­chungs­druck, tritt alle Rechte an seinem Text an Ihren Verlag ab, weil er keine andere Möglich­keit hat. Wenn es um die Veröf­fent­li­chung eines Buches geht, zahlt er in seiner Not darüber hinaus auch noch einen Druck­kos­ten­zu­schuss. Wenn es in Ihrem Verlag so zugeht, sind Sie kein guter Mensch. Sie scha­den den Univer­si­tä­ten und Forschern, um sich selbst zu berei­chern. Dabei haben Sie weni­ger Affi­ni­tät mit Forschung und Lehre als der Bauer mit seiner Melk­kuh.

Oder schauen wir uns Ihr Kran­ken­haus an. Der Staat verbie­tet viel­leicht, dass Kran­ken­häu­ser Gewinn machen. Aber da haben Sie eine Lösung gefun­den: Outsour­cing. Alles Mögli­che wird von Firmen gemacht, die sehr wohl Gewinn machen dürfen: die Reini­gung, das Essen, die Apotheke, Herstel­lung von Prothe­sen und medi­zi­ni­schen Gerä­ten, sogar das Beant­wor­ten von Tele­fon­ge­sprä­chen. Diese Firmen lassen sich sehr gut bezah­len, weil sie ja hoch­spe­zia­li­sierte Dienste liefern. Ein Kran­ken­haus kann schließ­lich nicht von der ersten besten Putz­frau gerei­nigt werden. Dazu braucht man eine Spezi­al­firma, in der hoch bezahlte Mana­ger, Ihre Schlüs­sel­fi­gu­ren, die Putz­frau mit Hunger­lohn beauf­sich­ti­gen. Damit das alles opti­mal funk­tio­niert, müssen Sie Ärzte derge­stalt um ihre Gehäl­ter und Stel­len bangen lassen, dass diese auch dann Gelenke einbauen und Organe entfer­nen, wenn es eigent­lich gar nicht nötig ist. Wer sich als Pati­ent mit schmer­zen­den Knien in eines Ihrer Kran­ken­häu­ser wagt, kommt nicht ohne künst­li­che Gelenke wieder heraus. Die Angst regiert: Angst bei Ärzten, Kran­ken­schwes­tern, Pati­en­ten und bei all den Leih­ar­bei­tern, die im Outsour­cing schuf­ten. Wenn es in Ihrem Kran­ken­haus so zugeht, können Sie kein guter Mensch sein. Schon deshalb, weil Ihnen Sorge und Nächs­ten­liebe nicht am Herzen liegen.

Und weil Sie kein guter Mensch sind, sich aber selbst einre­den, dass hohe Beloh­nun­gen und Gewinne zeigen, wie gut Sie sind, suchen Sie nach immer neuen Einnah­me­quel­len.

Da sind zum Beispiel die Arbeits­lo­sen und Arbeits­un­fä­hi­gen. Die bekom­men vom Staat eine geringe Unter­stüt­zung, damit sie nicht verre­cken. Die können Sie spiel­süch­tig machen, damit die in einer Ihrer Auto­ma­ten­hal­len Geld verzo­cken, das sie sich zusam­men­bet­teln oder ‑steh­len. Oder, wenn Sie die rich­ti­gen Bezie­hun­gen haben, machen Sie sie rausch­gift­süch­tig. Dann scheuen die auch nicht vor Raub zurück, um Ihr Heroin zu bezah­len. Und wenn sie dann in eine Entzugs­kli­nik kommen, können Sie auch wieder an Ihnen verdie­nen. In Amerika sind auch schon Gefäng­nisse priva­ti­siert, womit sich der Kreis schließt.

Ihre ganze Moral besteht aus der Glei­chung „Geld = gut“. Eine einzige Zahl reicht aus, um zu ermit­teln, wie gut Sie im Vergleich zu ande­ren sind.

Dies ist der Anfang des Büch­leins “Geld und gut” von Hanno Wupper, 2012, 100 Seiten A6
ISBN: 3844213821

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