Der Molkenmarkt

Der sogenannte Molken­markt in Mitte ist in Wirklichkeit einer der hässlichsten Straßenkreuzungen der Stadt. Tag und Nacht tobt hier der Ost-West- sowie der Nord-Süd-Verkehr, vom Hackeschen Markt nach Kreuzberg und Friedrichshain, vom Potsdamer Platz zum Alex. Ruhig ist es hier selten. Das ist aber auch schon die einzige Gemeinsamkeit, die der Molkenmarkt heute mit dem von vor 750 Jahren hat.
Der heutige Name ist allerdings jünger, erst 1685 erhielt der „Olde Markt“ die Bezeichnung Molkenmarkt, weil damals die nahe Mühlenhofmeierei hier mit dem Verkauf ihrer Produkte begann. Allerdings wurde der Markt nach nur vier Jahren auf Betreiben des Kurfürsten Friedrich III. schon wieder geschlossen, stattdessen entstand ein Paradeplatz.
Lange vorher stand auf dem Platz das Standbild des Roland, das jedoch im Jahre 1448 in der Spree versenkt worden ist. Den Ausschlag dafür gab die Niederschlagung des „Berliner Unwillens“, einem Volksaufstand gegen die brandenburgischen Kurfürsten, in dem die Berliner erfolglos, versuchten, ihre städtische Freiheit zurückzuerobern. Leider gibt es keine Aufzeichnungen darüber, wie das Standbild ausgesehen hat; es ist auch nicht mit dem „Roland“ zu verwechseln, das sich heute am Märkischen Musum befindet.

Der Molkenmarkt war stets ein innerstädtisches Zentrum. Im 17. Jahrhundert stand hier zudem die städtische Scharfrichterei, bevor sie zusammen mit dem Galgen 1678 in die Heidereitergasse verlegt wurde. Fünfzig Jahre später adelte die neu aufgestellte Statue von Friedrich I. von Schlüter den Markt gar zum „Königsplatz“. Damals fand hier auch der erste Berliner Weihnachtsmarkt statt, der seitdem Tradition in der Stadt ist.
Trotz mehrerer Abrisse und Neubauten behielt der Molkenmarkt seine Ausmaße bis ins 20. Jahrhundert hinein, erst um 1935 wurde der Grundriss maßgeblich verändert. Ein Großteil der Gebäude fiel der Neugestaltung zum Opfer, doch erst der massive und rücksichtslose Abriss Ende der 60er Jahre zerstörte ihn endgültig. Die damalige Verkehrspolitik nahm auf den historischen Ort keine Rücksicht, fast alles was der Krieg übrig gelassen hatte wurde vernichtet. Lediglich das Stadthaus an der Neuen Jüdenstraße und das Palais Schwerin wurden verschont, sie hatten das Glück, dem Straßenbau nicht im Wege zu stehen.

Schon vorher dagegen wurde der „Krögel“ zerstört, eine enge Verbindung vom Molkenmarkt zur Spree, an die heute nur der Name einer Sackgasse erinnert. Ursprünglich verlief an dieser Stelle ein kleiner Seitenarm der Spree mit dem Namen Krögel, an dessen Ufer ein Lagerhaus stand, das direkt vom Schiff aus beliefert werden konnte. Der Seitenarm diente zugleich als Wasserreservoir, falls nahe des Molkenmarktes ein Brand ausbrach.

Am Krögel stand auch das erste Berliner Badehaus, eine Institution, die eine hohe gesellschaftliche Relevanz hatte: Die Badehäuser entwickelten sich zu sozialen Treffpunkten, neben der Reinigung wurden einem hier auch die Haare frisiert, man konnte sich ärztlich behandeln lassen, dabei gab es noch Essen und Musik. Außerdem waren diese Einrichtungen ein idealer Kontaktort zwischengeschlechtlicher Begegnungen. Dies war umso einfacher, da Männer und Frauen stets gemeinsam und nackt badeten. Ein Umstand, den sich übrigens auch so mancher Angehöriger des Klerus‘ zunutze machte!
Im 16. Jahrhundert wurde der Krögel jedoch zugeschüttet, an seiner Stelle entstanden Wohngebäude, nur die Gasse entlang des ursprünglichen Verlaufs behielt den Namen, zeitweilig hieß sie jedoch auch „Wassergasse“.

Auch das Palais Schwerin ist nicht ganz ungeschoren davongekommen: Als am Spreeufer ab 1936 die neue Münzpresse gebaut wurde, wurde nicht nur der Krögel abgerissen, sondern auch das Palais, das allerdings sieben Meter zurückversetzt wieder aufgebaut wurde, an der Stelle, an dem es heute noch steht.
Ursprünglich gehörte das Palais Schwerin zu einem dreiteiligen Gebäudeensemble: Molkenmarkt 1 bis 3. Die Nummer 1 wurde vom sächsischen Baumeister Caspar Theyß im 16. Jahrhundert für Erasmus Seidel errichtet, der es aber 1553 gegen das Dorf Tegel eintauschte. Noch im selben Jahr kaufte es der Kanzler Lamprecht Diestelmeyer, später lebte hier sein Sohn Christian Diestelmeyer, der ebenfalls Politiker wurde.
Das Haus Molkenmarkt 2 beherbergte unter anderem die Kurzwarenhandlung von Nathan Israel. Israel wechselte 1831 an die Spandauer Ecke Rathausstraße, an derselben Stelle entstand Ende des 19. Jahrhunderts das große Warenhaus Israel, das in etwa die Ausmaße des Roten Rathauses hatte und im Krieg zerstört wurde. In das Haus Molkenmarkt 2 zog währenddessen die Stadtvogtei ein, eine Polizeiwache mit angeschlossenem Gefängnis.

Interessanter ist die Geschichte des Palais Schwerin: Es entstand um 1690 als Ersatz für die Gebäude, die Andreas Schlüter für die Erweiterung des Schlosses abreißen ließ. 1698 kaufte es der Staatsminister Otto von Schwerin und ließ es sechs Jahre lang umbauen – dummerweise starb er schon 1705, ein Jahr nach der Fertigstellung.
In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts beherbergte das Gebäude die staatliche Tabak-Monopolgesellschaft, welche zeitweise auch das Haus Nummer 1 sowie das gegenüber liegende Ephraim-Palais nutzte. Doch schon 1794 kaufte die Stadt das Haus und richtete hier ein Polizeikommando sowie das Kriminalgericht ein. Erst über hundert Jahre später zog die Polizei wieder aus, in das dann berüchtigte Polizeipräsidium am Alexanderplatz.
Ab 1910 diente das Palais Schwerin als Wohn- und Geschäftshaus, bis es 1938 um einige Meter rückversetzt wurde. Ab 1954 bis 1990 nutzte es die DDR-Regierung als Ministerium für Kultur.

Auch die gegenüberliegende Seite des Molkenmarkts hat ihre Geschichte. Hier am sogenannten Nikolaiviertel befand sich zum Beispiel das Ephraim-Palais, ein Gebäude, das es fast doppelt gegeben hätte! Aber der Reihe nach:
Nathan Veitel Ephraim war ein erfolgreicher Bankier, selbst der alte Fritz stand jahrelang bei ihm in der Kreide. Bekannt wurde Ephraim durch einen großen Betrug: Er erhielt den Auftrag, eine Million Silbermünzen zu prägen, was er auch tat. Allerdings streckte er das Silber, so dass für ihn eine Menge übrigblieb. Offenbar störte man sich bei Hofe aber nicht daran, denn auch dort profitierte man: Etwa ein Viertel der Kosten des siebenjährigen Krieges sollen durch den Betrug gedeckt worden sein.
1762 bis 65 ließ sich Ephraim von Friedrich Wilhelm Diterichs auf dem Grundstück Molkenmarkt Ecke Poststraße 16 ein Palais errichten, das damals als „vielleicht schönstes Privathaus Berlins aus dem 18. Jahrhundert“ bezeichnet wurde.
Das pompöse Gebäude mit dem von acht Säulen getragenen Balkon ging 1823 in die Hände eines Kaufmannes und 20 Jahre später an den Staat über, der hier ein Einwohnermeldeamt und Dienstwohnungen einrichtete. Bis 1935 gab es immer wieder Erweiterungen an beiden Seiten sowie zum Hof hinein. Problematisch war die Lage des Gebäudes direkt am Mühlendamm, da dies einen Höhenunterschied von mehreren Metern ausmachte.
Im Zuge der Neugestaltung des Molkenmarktes und dem Neubau der Mühlendammbrücke wurde das Ephraim-Palais 1936 abgetragen. Dagegen gab es allerdings massive Proteste aus der Bevölkerung, die den Magistrat dazu veranlassten, einen Wiederaufbau auf dem Nachbargrundstück zuzustimmen. Bis es dazu kam, gingen jedoch noch fünf Jahrzehnte ins dann bereits geteilte Land.

Das abgetragene Gebäude wurde in der Folgezeit auf mehrere Stellen der Stadt verteilt, ein Teil davon ist während des Krieges verschüttet worden. Etwa 2.500 Fassadenstücke sind nach dem Krieg im Wedding gesammelt und aufgehoben worden, so dass sie bei der endgültigen Teilung der Stadt im Westsektor lagerten. Hier sind sie in den nächsten Jahrzehnten immer wieder mal an andere Orte verbracht worden, weil sie im Wege lagen.
Etwa parallel planten in den 60er Jahren der Ost-Berliner Magistrat wie auch der West-Berliner Senat einen Neuaufbau des Ephraim-Palais, im Osten als Kopie, im Westen mit den Originalteilen. Doch erst Ende der 70er Jahre wurden die Pläne konkret, allerdings dazu kam es glücklicherweise nicht, sonst würde es das Ephraim-Palais heute zweimal geben – ein falsches auf dem schon 1935 vorgesehenen Standort, nur elf Meter vom ursprünglichen Platz entfernt, sowie eines an einem neuen Standort, dafür mit originaler Fassade.
Stattdessen veranlasste der damalige Regierende Bürgermeister Richard von Weizsäcker, dass die Originalteile 1983 nach Ost-Berlin gebracht wurden, wo sie restauriert und in den Neubau integriert wurden. Das Ephraim-Palais ist also wie fast alle anderen Gebäude im Nikolaiviertel im Prinzip nur einer Kopie, wenn auch eine, in der viele originale Stücke eingebaut wurden.

Auch das „Gasthaus zur Rippe“, ebenfalls am Molkenmarkt gelegen, ist in Wirklichkeit ein Neubau von 1986, denn das alte Gasthaus kam 1935 unter die Spitzhacke. Das Gebäude hatte bald nach seiner Errichtung 1665 als Erkennungszeichen zwei riesige Rippen an der Fassade, die das Haus weithin bekannt machten. Kurz darauf eröffnete hier die erste Schankwirtschaft, in den folgenden 270 Jahren gab es die meiste Zeit Kneipen in dem Gebäude.
Bis heute ungeklärt ist die Herkunft der beiden Rippen, die später als Walknochen identifiziert wurden. Es wird vermutet, dass sie beim Umbau und der Erweiterung des Gebäudes im Jahr 1687 im Boden gefunden wurden. Wie auch immer, die heute an der Fassade hängenden Rippen sind lediglich aus Kunststoff – die originalen Rippen liegen im Märkischen Museum.

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