Schon mein ganzes Leben lang begleitet mich das “Krankenhaus am Urban” in Kreuzberg. Bereits als kleines Kind war ich öfter dort, wenn mal wieder was kaputt gegangen war. Da wir in der Nähe wohnten, war das sehr praktisch. Weil meine Schule gleich um die Ecke war, wurde das Krankenhaus auch Teil meiner Freizeitgestaltung. Neben dem Hochhaus-Neubau von 1970 gab es ja noch das alte Gelände, mit seinen 2- und 3‑stöckigen Gebäuden aus der Kaiserzeit. Natürlich durfte man als Kind da nicht allein rein und es war immer wieder spannend, wie wir es schafften, uns am Pförtner vorbei oder sogar über die Mauer auf das Grundstück zu schleichen. Besonders gruselig waren dann die “Mutproben”, die darin bestanden, in die Leichenkammer einzubrechen. Die lag in einem Kellergeschoss und man konnte von außen die Fenster aufdrücken. Nur einmal habe ich mich das getraut, aber mein Freund Ralph war sogar mehrmals drin.
Auch später, als ich 17 war, wurde “das Urban” für mich zum Haus des Schreckens. Meine liebe Oma hatte einen Schlaganfall erlitten und als ich sie dort im Neubau besuchte, war ihr Gesicht so verzogen, dass ich sie gar nicht mehr richtig erkannte. Ich sprach zwar mit ihr, wusste aber nicht, ob sie mich versteht. Während ich auf dem Weg nach Hause war, starb sie. Mehrere Jahre lang konnte ich nicht mehr an diesem Haus vorbei gehen, ohne sehr traurig zu werden.
Mit 19, 20 Jahren machte ich einige Male Bekanntschaft mit der Rettungsstelle des Krankenhauses. Während der Hausbesetzerbewegung wurde ich bei Straßenschlachten und Häuserräumungen mehrmals verletzt und ins Urban-Krankenhaus gebracht. Öfters holte die Polizei sogar Verletzte aus der Ersten Hilfe heraus, um sie zu verhaften. Einmal suchten sie einen Freund, der ebenfalls dort eingeliefert worden war. Ich hatte ihn begleitet und da ich die Örtlichkeiten längst ganz gut kannte, konnte ich ihn quer durchs Gebäude aus dem Krankenhaus raus schleusen. Wir fuhren dann in eine andere Klinik.
Mittlerweile ist das Krankenhaus geschrumpft. Das alte Gelände ist jetzt offen, die Gebäude sind verkauft und wurden zum Schöner Wohnen für Besserverdienende, so wie zuvor auch schon das Wartenburg-Krankenhaus, ebenfalls in Kreuzberg.
Der Neubau ist modernisiert worden, trotzdem hat er innen noch immer den etwas ranzigen Charme der 80er Jahre. Heute ist das Urban-Krankenhaus für mich nur noch ein Ort, an dem ich manchmal mit dem Taxi stehe und auf Kundschaft warte.
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