Ich arbei­tete 1922 bei der AEG in der Brun­nen­straße, diesem heute noch sehr impo­san­ten mäch­ti­gen Gebäude. Damals waren da 30.000 bis 32.000 Mann beschäf­tigt. Ich fuhr da hin als so genann­ter Prüf­feld-Monteur. Es drehte sich um das Auspro­bie­ren von neuen Moto­ren, die in das Prüf­feld kamen, unter Belas­tung fuhren und bei denen 32 Messun­gen durch­ge­führt werden muss­ten, was eine ziem­lich verant­wor­tungs­volle Aufgabe war. Man musste aufpas­sen, dass die nicht durch­bren­nen oder explo­die­ren, was es übri­gens oft gege­ben hat.
Wir krieg­ten die Nach­richt von der Ermor­dung Rathen­aus [24.6.1922], und es gab eine helle Aufre­gung. Man befand sich ja am Rande einer Revo­lu­tion. Wir alle, wir jungen Burschen — ich war 21 Jahre alt — wir krieg­ten Gewehre, gela­dene Gewehre, von der Mili­tär­ver­wal­tung in Berlin, und rann­ten dann in Grup­pen zum Bahn­hof Gesund­brun­nen, dem Bahn­hof, der also damals verkehrs­tech­nisch dem riesi­gen AEG-Konzern am Nächs­ten lag. Wir soll­ten alle Rich­tung Unter den Linden / Fried­rich­straße fahren. Und da gab es ein sehr tragi­sches Ereig­nis.
Die Züge waren damals völlig über­las­tet, und man fuhr viel auf Tritt­bret­tern, hielt sich drau­ßen fest, was heute nicht mehr möglich ist. Damals gab’s noch die alte Kutschen­form der Eisen­bahn­wa­gen, wo also Eingang neben Eingang war und Messing­griffe zum Fest­hal­ten, soweit sie wegen des Messings nicht gestoh­len waren. Und mit einem dieser Züge fuhren wir dann Rich­tung Zentrum, auf den Tritt­bret­tern stehend, wie Trau­ben förm­lich. Und da bot sich uns ein grau­si­ger Anblick.

Kurz vorher, es musste zehn Minu­ten vorher gewe­sen sein, war einer dieser völlig über­las­te­ten Züge mit einem Gegen­zug, der einfah­ren wollte und bei dem die Türen eben­falls auf diese Weise besetzt waren und offen stan­den, anein­an­der gera­ten. Ich weiß es genau, es waren 32 Arbei­ter, die auf diesen Tritt­bret­tern gestan­den hatten, die waren runter­ge­fegt, runter­ge­ris­sen worden, als die Züge anein­an­der vorbei gingen, und die lagen, zum Teil lebend, hinter dem Bahn­hof Gesund­brun­nen, hinge­legt auf die Böschung. Es war ein entsetz­li­cher Anblick, ich hatte so eine Anzahl von Toten noch nicht gese­hen. Und das war das erste, was ich von dieser Demons­tra­tion gegen den Tod von Walter Rathenau sah. Und es stand in allen Zeitun­gen.

Ehem. Musi­ker, geb. 1901

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