Von IMs zur Plattenbau-Sanierung

Jahreswende 1989/90
Die Bevölkerung Ost-Berlins informiert sich über die Arbeitsweise der Angehörigen des Ministeriums für Staatssicherheit durch „Tage der offenen Tür“ in der MfS-Zentrale Normannenstraße. So wird offenkundig, dass die DDR mit einem dichten Netz von Informations-Zuträgern, -Verarbeitern und -Verwertern überzogen ist. Insgesamt ca. 250.000 hauptamtliche und inoffizielle Mitarbeiter („IMs“) haben dafür gesorgt, der abgesonderten SED-Altherrenriege ein von der tatsächlichen wirtschaftlichen Lage und der miserablen politischen Stimmung im Lande geschöntes Bild zu übermitteln.

März 1990
Bei den ersten freien Wahlen zur Volkskammer der DDR erreichen die christlich-demokratischen und die liberalen Parteien die Mehrheit. Die SPD schneidet unerwartet schwach ab, weil sich ihre Sprecher (außer Willy Brandt) gegen die mehrheitlichen Erwartungen der DDR-Bevölkerung – d.h. einer sofortigen deutschen Vereinigung – ausgesprochen hatten. Die noch Ende November 1989 von Bundeskanzler Kohl projizierte schrittweise Annäherung der beiden Staaten über einen Zeitraum von ca. 5 Jahren war aufgegeben worden, als sich kurz darauf zeigte, dass die Menschen schnell „zur DM“ wollten. Die Volkskammer wählt Lothar de Maizière (CDU) zum Vorsitzenden des Ministerrats der DDR. Seinem Kabinett gehören anfangs Minister aller Parteien an (außer der PDS).

1. Juli 1990
Einführung der Deutschen Mark (im Verhältnis 1:1 bzw. 1:2 zur Mark der DDR) in Ost-Berlin und der DDR, deren Bürger damit auch der politischen Vereinigung näher rücken (Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion). Der West-Berliner Einzelhandel schätzt die Besucher von „drüben“, die ihren Nachholbedarf an westlichen Konsumgütern ausgiebig befriedigen, nun besonders wegen ihrer Kaufkraft. Auf den Sparkonten der DDR-Bürger befinden sich – oft wegen des fehlenden Angebots höherwertiger Güter oder sehr langer Lieferfristen – z.T. beträchtliche Summen. In Ost-Berlin gehören schnell errichtete Verkaufsstände und dort zugelassene, meist gebrauchte Kraftfahrzeuge aus westlicher Produktion alsbald zum Stadtbild.

3. Oktober 1990
Erweiterung der Bundesrepublik Deutschland durch Beitritt der Deutschen Demokratischen Republik in den Geltungsbereich des Grundgesetzes. Die ehemaligen DDR-Gebiete werden nun amtlich „Beitrittsgebiete“, umgangssprachlich „Neue Bundesländer“ genannt. Wiedervereinigung der Stadt Berlin; Einwohnerzahl: 3,46 Millionen, Fläche: 889 km², 23 Bezirke (12 West + 11 Ost). Bundeshauptstadt ist Berlin, Regierungs- und Parlamentssitz vorläufig noch Bonn.

20. Juni 1991
Beschluss des Deutschen Bundestages (mit 338:320 Stimmen), dass der Bundestag (der Bundesrat entscheidet sich 1996 ebenso) und die Bundesregierung mit den „klassischen“ Ministerien in die Hauptstadt Berlin umziehen werden, sobald dafür die baulichen Voraussetzungen geschaffen sind. Genannt wird der Realisierungszeitraum zwischen 1997 und 2002. Das nun „Bundesstadt“ genannte Bonn bekommt zur Kompensation der auf 20-25.000 veranschlagten Arbeitsplatz-Verluste die Zusage, dass einige Bundesbehörden aus Berlin und Frankfurt a.M. an den Rhein verlegt werden.

1991/92
Mehrere Senatsbeschlüsse zur Wiederinbetriebnahme von stillgelegten Strecken, Grundsanierung, Modernisierung und Ergänzung des S- und U-Bahn-Systems. Zusammen mit den Planungen der Deutschen Bahn zum Bau eines zentralen Fernbahnhofs (neuer Lehrter Bahnhof) und einer neuen Fernbahn-Nord-Süd-Verbindung (Gesundbrunnen – Lehrter Bahnhof – Papestraße, im mittleren Abschnitt im Tunnel) wird Berlin ab ca. 2005 ein wesentlich verbessertes schienengebundenes Verkehrsangebot machen können.

ab Januar 1992
Die nach der Wende eingerichtete „Gauck-Behörde“ macht ihre vom MfS übernommenen Akten Personen zugänglich, die nach dem „Stasi-Unterlagengesetz“ ein berechtigtes persönliches Interesse nachweisen können. Es bewahrheitet sich, dass Mielkes Staatssicherheits-Apparat mithilfe seines weitverzweigten Mitarbeitersystems z.T. sehr tief in die Privatsphäre der DDR-Bürger eingedrungen war.

17. Oktober 1992
Staatsakt zu Ehren des am 8. Oktober 1992 in Unkel (bei Bonn) verstorbenen Willy Brandt (geb. 18.12.1913 in Lübeck). Sein letzter Wunsch: „Begrabt mich in Berlin“. Der ehemalige Berliner Regierende Bürgermeister (1957-66), Außenminister (1966-69) und Bundeskanzler (1969-74) der Bundesrepublik Deutschland, 1. Vorsitzende der SPD (1964-87), der Sozialistischen Internationale und Friedensnobelpreisträger (1971) wird auf dem Waldfriedhof Zehlendorf beigesetzt.

Herbst 1993
Beginn eines Sanierungsprogramms für 273.000 industriell gebaute Wohnungen, die bis 1989 in den östlichen Bezirken errichtet wurden. Für diese langfristig angesetzte „Kur der Platte“ sollen in zehn Jahren ca. 13 Milliarden DM aufgewendet werden. Integrierter Bestandteil dieses Erneuerungsprogramms sind Verbesserungen des Wohnumfelds, Ergänzung der sozialen Infrastruktur und ein Ausbau der Großsiedlungen zu möglichst autarken Gebilden (weitere Einkaufsmöglichkeiten, Arbeitsstätten-Ansiedlung, verdichtete Verkehrsanbindung). Der Senat von Berlin bewertet die soziale Mischung der Großsiedlungen positiv, d.h. die zu DDR-Zeiten bevorzugt an gut ausgebildete jüngere Familien vergebenen Hochhauswohnungen bleiben auch nach der Wende beliebt. Ein Problem stellt die infolge der zunehmenden Arbeitslosigkeit schnell wachsende Zahl der perspektivlosen Jugendlichen dar. In diesen anregungsarmen Vorstädten nehmen nun Eigentumsdelikte, Vandalismus und Körperverletzungen zu. Die einst als nahezu kriminalitätslos geltenden Milieus in Marzahn, Hellersdorf und Hohenschönhausen gleichen sich offenbar „normalen“ Verhältnissen in den vergleichbaren West-Berliner Bezirken an.

1994 bis 1995 >>