Tupamaro in Berlin

In den 1960er und 70er Jahren entstan­den in mehre­ren mittel- und südame­ri­ka­ni­schen Ländern linke, demo­kra­ti­sche Parteien und Gewerk­schaf­ten. Damals waren in Latein­ame­rika zahl­rei­che Staa­ten von rechts­extre­men Regie­run­gen oder sogar Mili­tär­re­gimes beherrscht, Oppo­si­tio­nelle wurden streng verfolgt. Verbote ihrer Orga­ni­sa­tio­nen, Folter und zahl­rei­che Morde waren Alltag in diesen Dikta­tu­ren. Fast immer hatte der US-ameri­ka­ni­sche CIA seine Finger mit im Spiel. Brasi­lien, Argen­ti­nien, Chile, Para­guay waren einige der betrof­fe­nen Staa­ten, die damals von faschis­ti­schen Gene­rä­len oder Olig­ar­chen kontrol­liert wurden.
Der grie­chi­sche Regis­seur Costa-Gavras hat dies in seinen Filmen “Vermisst” und “Der unsicht­bare Aufstand” verar­bei­tet. Darin wurde auch die zentrale Funk­tion der US-Geheim­dienste und Konzerne deut­lich gemacht.
Eines der klei­ne­ren Länder die betrof­fen waren war das südame­ri­ka­ni­sche Uruguay. Dort kämpfte die Stadt­gue­rilla Movi­mi­ento de Libe­r­ación Nacio­nal, genannt Tupa­ma­ros, die sich ursprüng­lich aus einer lega­len poli­ti­schen Gewerk­schafts­be­we­gung entwi­ckelt hatte.

Novem­ber 2015, Taxi­halte Wilmers­dor­fer Straße in Char­lot­ten­burg. Ein klei­ner alter Mann mit viel Gepäck tritt ans Fens­ter meines Taxis. Aller­dings will er anschei­nend nicht fahren, sondern einfach nur reden. Er spricht nur schlecht deutsch. Dafür aber sehr viel, ich habe kaum die Möglich­keit, dazwi­schen mal was zu fragen. Aber ich verstehe, dass er zu Besuch in Deutsch­land ist, eigent­lich wohnt er in Stock­holm. Dort ist er als Südame­ri­ka­ner Opfer von Rassis­mus, in Berlin fühlt er sich sicher.

Der Mann ist nicht betrübt, sondern recht fröh­lich. Er erzählt, dass er eigent­lich aus Uruguay stammt, dort aber vor vielen Jahren flie­hen musste. Er war im Gefäng­nis und wurde jeden Tag geschla­gen. Während des ganzen Gesprächs steht er auf der Stra­ßen­seite neben dem Taxi.
Ohne groß nach­zu­den­ken frage ich: “Tupa­maro?”
Plötz­lich ist er ruhig. Er schaut mich an und ich kann sehen, wie es in seinem Gehirn arbei­tete: Freund oder Feind? Um ihm einen Tipp zu geben, lächele ich ihn an.
Er nickt und spricht plötz­lich auf spanisch weiter, bis ich ihn stoppe. Auf deutsch fragt er: “Du kennst die Tupa­ma­ros? Warum?”
Auf einmal konnte er auch zuhö­ren, nicht nur reden. Ich erkläre ihm, dass ich ein biss­chen was über deren Geschichte gele­sen und einen Film gese­hen habe. Und dass ich weiß, dass der vorige Präsi­dent Uruguas ein Mitglied der Tupa­ma­ros gewe­sen ist. Er war inter­na­tio­nal bekannt gewor­den, weil er trotz seines hohen Amtes in seiner klei­nen Bauern­hütte wohnen blieb und weiter­hin den alten VW Käfer fuhr.
“José Mujica”, sage der Mann freu­de­strah­lend. Er schwankte zwischen Unglau­ben, Glück und Gerührt­heit, sucht nach deut­schen Worten, um seine Gefühle auszu­drü­cken. Nachts im kalten Berli­ner Regen trifft er jeman­den, der etwas mit seiner Geschichte anfan­gen konnte, für den er nicht nur irgend­ein Frem­der war. Dann beugt er sich durchs offene Fens­ter und flüs­tert mir etwas ins Ohr, das ich leider nicht verstehe. Dabei strahlt der Mann über das ganze Gesicht. Er nimmt meine Hand, drückt sie und schaut mich dank­bar an. Dann zeigt er mit beiden Händen auf sich: “Ich auch Tupa­maro!”

Lang­sam wurde mir das unheim­lich, mit welcher Herz­lich­keit er mir entge­gen trat. Aber es ist natür­lich schön.
Auf spanisch verab­schie­det er sich, dies­mal verstehe ich wenigs­tens das “Compa­ñero”, was soviel bedeu­tet wie Freund, Kame­rad oder Genosse. Seine Verbun­den­heit mit mir ist wirk­lich beein­dru­ckend.
Es ist schön, dass man einem Menschen mit einem einzi­gen Wort so glück­lich machen kann.

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