Mein russischer Fahrgast macht sich darüber lustig, dass die Deutschen gleich jammern, wenn es mal unter null Grad ist. In seiner Heimat würde es im Winter bis minus 40 Grad werden, dagegen sind die angekündigten 20 doch noch angenehm.
Tatsächlich zeigt mir das Außenthermometer sogar nur -13°C an, nachts draußen in Köpenick, in der Innenstadt sogar nur minus Elf. Das macht mich übermütig und deshalb wasche ich den Wagen mit einem Hochdruckreiniger. Danach sieht er aus wie ein fahrender Eisblock, die Scheiben und Türgriffe muss ich freikratzen.
Praktisch jeder Fahrgast beschwert sich über die Kälte, als ob ich daran schuld wäre, nur der Russe blieb cool. Dabei habe ich trotz des warmen Autos genug eigene Probleme. Die Straßen sind teilweise spiegelglatt; als ich am Savingyplatz zu schnell in die Kurve fahre, dreht sich das Auto noch fröhlich weiter, eine Pirouette wie bei Holiday on Ice.
Ich hatte ja gehofft, dass sich der Frost positiv auf das Geschäft auswirkt, stattdessen nehmen sich aber noch weniger Leute ein Taxi, überhaupt sind die Straßen ungewöhnlich leer. Anderes aber läuft alles wie sonst: Vor dem Ritz Carlton frieren ein paar Autogrammjäger, der Obdachlose liegt ein paar Meter weiter wie jede Nacht auf seiner Bank, die meisten Fahrräder fahren immer noch konsequent ohne Licht. Dafür brennt am Kudamm und am Potsdamer Platz weiterhin die Weihnachtsbeleuchtung, mit dem vielen weiß-grauen Schnee sieht sie endlich mal nicht aus wie ein Fremdkörper, mitten in der Stadt.
Im Radio melden sie 200 witterungsbedingte Unfälle, auf dem Mittelstreifen der Kantstraße rutscht direkt jemand vor mir aus und bleibt bewusstlos liegen, der Krankenwagen schlittert sich nur langsam heran. Manche Autofahrer ignorieren das Wetter und die schlechten Straßenbedingungen, einer stürzt mit seinem Wagen in der Landwehrkanal. Ein anderer rast in Treptow an mir vorbei und dreht sich quer über sechs Fahrspuren, glücklicherweise ist die Straße nachts um halb Eins leer. Über Funk meldet ein Kollege eine alte Frau ohne Hose und Mantel, ein anderer flucht über Jugendliche, die in Neukölln irgendwas auf die Fahrbahn gießen. Ich entschließe mich, Feierabend zu machen, bekomme aber noch eine Fahrt: Die Dame ist auf dem Bürgersteig ausgerutscht und mit dem Kopf gegen eine Schaufensterscheibe geflogen. Vom Krankenhaus Köpenick aus geht es nach Kreuzberg, am Schlesischen Tor mache ich noch Stopp beim 24-Stunden-Bäcker. Vor meinen Augen rutscht ein Mann mit seinem Fahrrad aus, prallt gegen ein geparktes Auto, seine Bierflasche aber überlebt den Sturz. Es ist nochmal alles gutgegangen.
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