Berlin hat viele einstige Vergnügungsorte, von denen heute nichts mehr zu sehen ist. Kaum jemand kennt noch den Lunapark am Halensee, das Haus Vaterland am Potsdamer Platz oder die West-Eisbahn am Bahnhof Zoo. Ein solch verschwundener Ort ist auch das Seebad Mariendorf.
Heute sieht die Häuserzeile in der Ullsteinstraße aus wie Tausende andere in Berlin. Nachkriegsbauten aus den 1950er Jahren, ein paar Neubauten, dazwischen gehen Wege in den Block hinein. Sie führen allerdings nicht in Höfe, sondern in einen kleinen Park, der sich um eine Seniorenresidenz windet. Dahinter im Blockinneren liegen zwei Fußballplätze, sie sind zu allen Seiten von Häusern umgeben, weder vom Mariendorfer Damm, noch von der Rathausstraße aus sind sie zu sehen.
Genau hier befand sich seit dem 19. Jahrhundert das Seebad Mariendorf. Adolf Lewissohn hatte das feuchte Wiesengelände einst von seinem Vater geerbt. Am Grenzweg (heute Ullsteinstraße) ließ er Anfang der 1870er Jahre ein mehrstöckiges Gebäude mit einem Restaurant errichten, aber das eigentliche Geschäft machte er mit den Teichen auf der Wiese. Er ließ sie tiefer ausbaggern und wenn sie im Winter zufroren, begann die Eisernte. Das Eis wurde in die kühlen Keller des Gebäudes gebracht und dort Monate lang gelagert. Damals gab es noch keine Kühlschränke und so waren Gastwirte zur Kühlung des Bieres auf Stangeneis angewiesen. Dies lieferte ihnen nun Adolf Lewissohn, dessen Auslieferungskutschen bald selbst im damals noch weit entfernten Berlin zu sehen waren. Bis zu 500 Touren am Tag soll er geliefert haben.
Parallel dazu baute Lewissohn ein Teil des Geländes zu einer öffentlichen Badeanstalt aus, die er 1876 eröffnete. Dass im gleichen Jahr der Ingenieur Carl von Linde den ersten funktionstüchtigen elektrischen Eisschrank erfand und damit das Ende vom Stangeneis einläutete, ahnte Lewissohn zu diesem Zeitpunkt noch nicht.
Doch in den folgenden Jahren ging die Eisproduktion immer mehr zurück und an ihrer Stelle wuchs das Schwimmbad. Adolf Lewissohn ließ ein 130 Meter langes Sportbecken anlegen, in dem Wettkämpfe stattfanden. Aus einem 60 Meter tiefen Brunnen wurde ständig neues Wasser gepumpt, so dass die Werbung von der größten und schönsten Badeanstalt Groß-Berlins mit ständigem Zu- und Abfluss sprach.
Das Bad wuchs jedes Jahr, es entstanden feste Betonbecken, und im Jahr 1912 fanden im Seebad Mariendorf sogar Ausscheidungskämpfe für die Olympischen Spiele in Stockholm statt. Mit dem Ersten Weltkrieg war dann erstmal Schluss mit Baden, das Restaurantgebäude wurde zum Lazarett umfunktioniert.
In den 1920er Jahren hatte das Seebad dann seine beste Zeit. Bis zu 4.000 Gäste am und im Wasser, 7.000 konnten im Restaurantgebäude gleichzeitig bewirtet werden. Der Rand des Geländes wurde als Park angelegt, dort waren noch einige der alten Teiche vorhanden. Es gab einen hölzernen Sprungturm und zur Markgrafenstraße hin am südlichen Ende des Bades eine große Sandfläche als Strand.
1934 musste Helene Lewissohn, Witwe des einige Jahre zuvor verstorbenen Adolf, das Bad verkaufen. Im Rahmen der „Arisierungen“ durch die Nazis erhielt sie dafür nach Bezahlung aller Rechnung gerade mal 151,25 Reichsmark. Nur ein kleiner Teil des Grundstücks blieb in ihrem Besitz, bis auch dieser 1939 zwangsversteigert wurde. Wie schon im Ersten Weltkrieg wurde das Restaurantgebäude wieder zu einem Hilfskrankenhaus.
Trotz des Krieges ging der Badebetrieb weiter, erst 1947 wurde es geschlossen. Nur im Sommer 1950 öffnete das Seebad Mariendorf nochmal für einige Monate, danach aber wurden die Becken zugeschüttet. Das Technische Hilfswerk nutzte das einstige Bad als Übungsgelände, bis es ab 1954 teilweise bebaut wurde. Auch das Restaurant wurde abgerissen.
Helene Lewissohn, die nach dem Krieg versucht hatte, das Bad und das Restaurantgebäude zurück zu erhalten, hatte damit keinen Erfolg. Sie starb verarmt 1957 in der nahen Prühßstraße. Vom einstigen Seebad ist heute nur noch einer der Teiche sowie ein kleiner Torbogen übrig.
Schreibe den ersten Kommentar